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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

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Physik angegeben. Man mag wohl darunter Erklärung aus den Ursachen verstehen. Aber wie viel giebt es denn Phänomene, die wir aus ihren wahren Ursachen richtig, vollständig und ohne Einmischung von Hypothesen zu erklären wissen? Soll also die Physik nicht blos Hypothesen, sondern Wahrheiten lehren, so muß man in den meisten Fällen mit Erklärungen aus den allgemeinen Erfahrungen oder Naturgesetzen zufrieden seyn, die uns oft hinlänglich belehren, was geschehe und geschehen müsse, ohne uns zu sagen, warum und wodurch es geschehe, s. Phänomene. Da nun die Naturgesetze nur durch Induction aus Erfahrungen bewiesen werden können, so müssen wir in die Gründe unserer Erklärungen einen großen Theil des Schatzes von Beobachtungen und Versuchen hineinziehen, der noch bis jetzt die einzige wahre Grundlage aller Physik ausmacht, der aber ohne mathematische Betrachtung weder verstanden, noch richtig gebraucht werden kan, und der überdies einen großen Theil der Chymie und Naturgeschichte selbst in sich begreift. Wenn wir einst zu vollkommner Kenntniß der Ursachen gelangen, und im Stande seyn werden, die Naturgesetze als nothwendige Folgen aus diesen Ursachen zu erweisen dann erst wird es Zeit seyn, die analytische Methode zu verlassen, und das Gebäude mit genauer Absonderung des historischen und mathematischen Theils von der philosophischen Kenntniß der Ursachen, synthetisch aufzuführen.

Von der Geschichte der eigentlichen Physik bleibt hier nicht viel zu sagen übrig, da die Schicksale so vieler zum Umfange der Naturwissenschaften gehörigen Theile und Abschnitte, selbst einzelner Lehren und Gegenstände, besonders erzähit worden sind. Ich will also nur etwas weniges von den Systemen und Methoden im Ganzen genommen beybringen.

Erfahrungen über die Körper bieten sich dem Menschen, so bald er thätig wird, von selbst dar. Nothwendigkeit und Neugiede veranlassen ihn auch bald, darüber nachzudenken und weiter zu forschen. So entstanden schon bey den ältesten Völkern Kenntnisse, die zur Physik gehören.


Phyſik angegeben. Man mag wohl darunter Erklaͤrung aus den Urſachen verſtehen. Aber wie viel giebt es denn Phaͤnomene, die wir aus ihren wahren Urſachen richtig, vollſtaͤndig und ohne Einmiſchung von Hypotheſen zu erklaͤren wiſſen? Soll alſo die Phyſik nicht blos Hypotheſen, ſondern Wahrheiten lehren, ſo muß man in den meiſten Faͤllen mit Erklaͤrungen aus den allgemeinen Erfahrungen oder Naturgeſetzen zufrieden ſeyn, die uns oft hinlaͤnglich belehren, was geſchehe und geſchehen muͤſſe, ohne uns zu ſagen, warum und wodurch es geſchehe, ſ. Phaͤnomene. Da nun die Naturgeſetze nur durch Induction aus Erfahrungen bewieſen werden koͤnnen, ſo muͤſſen wir in die Gruͤnde unſerer Erklaͤrungen einen großen Theil des Schatzes von Beobachtungen und Verſuchen hineinziehen, der noch bis jetzt die einzige wahre Grundlage aller Phyſik ausmacht, der aber ohne mathematiſche Betrachtung weder verſtanden, noch richtig gebraucht werden kan, und der uͤberdies einen großen Theil der Chymie und Naturgeſchichte ſelbſt in ſich begreift. Wenn wir einſt zu vollkommner Kenntniß der Urſachen gelangen, und im Stande ſeyn werden, die Naturgeſetze als nothwendige Folgen aus dieſen Urſachen zu erweiſen dann erſt wird es Zeit ſeyn, die analytiſche Methode zu verlaſſen, und das Gebaͤude mit genauer Abſonderung des hiſtoriſchen und mathematiſchen Theils von der philoſophiſchen Kenntniß der Urſachen, ſynthetiſch aufzufuͤhren.

Von der Geſchichte der eigentlichen Phyſik bleibt hier nicht viel zu ſagen uͤbrig, da die Schickſale ſo vieler zum Umfange der Naturwiſſenſchaften gehoͤrigen Theile und Abſchnitte, ſelbſt einzelner Lehren und Gegenſtaͤnde, beſonders erzaͤhit worden ſind. Ich will alſo nur etwas weniges von den Syſtemen und Methoden im Ganzen genommen beybringen.

Erfahrungen uͤber die Koͤrper bieten ſich dem Menſchen, ſo bald er thaͤtig wird, von ſelbſt dar. Nothwendigkeit und Neugiede veranlaſſen ihn auch bald, daruͤber nachzudenken und weiter zu forſchen. So entſtanden ſchon bey den aͤlteſten Voͤlkern Kenntniſſe, die zur Phyſik gehoͤren.

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[496/0502] Phyſik angegeben. Man mag wohl darunter Erklaͤrung aus den Urſachen verſtehen. Aber wie viel giebt es denn Phaͤnomene, die wir aus ihren wahren Urſachen richtig, vollſtaͤndig und ohne Einmiſchung von Hypotheſen zu erklaͤren wiſſen? Soll alſo die Phyſik nicht blos Hypotheſen, ſondern Wahrheiten lehren, ſo muß man in den meiſten Faͤllen mit Erklaͤrungen aus den allgemeinen Erfahrungen oder Naturgeſetzen zufrieden ſeyn, die uns oft hinlaͤnglich belehren, was geſchehe und geſchehen muͤſſe, ohne uns zu ſagen, warum und wodurch es geſchehe, ſ. Phaͤnomene. Da nun die Naturgeſetze nur durch Induction aus Erfahrungen bewieſen werden koͤnnen, ſo muͤſſen wir in die Gruͤnde unſerer Erklaͤrungen einen großen Theil des Schatzes von Beobachtungen und Verſuchen hineinziehen, der noch bis jetzt die einzige wahre Grundlage aller Phyſik ausmacht, der aber ohne mathematiſche Betrachtung weder verſtanden, noch richtig gebraucht werden kan, und der uͤberdies einen großen Theil der Chymie und Naturgeſchichte ſelbſt in ſich begreift. Wenn wir einſt zu vollkommner Kenntniß der Urſachen gelangen, und im Stande ſeyn werden, die Naturgeſetze als nothwendige Folgen aus dieſen Urſachen zu erweiſen dann erſt wird es Zeit ſeyn, die analytiſche Methode zu verlaſſen, und das Gebaͤude mit genauer Abſonderung des hiſtoriſchen und mathematiſchen Theils von der philoſophiſchen Kenntniß der Urſachen, ſynthetiſch aufzufuͤhren. Von der Geſchichte der eigentlichen Phyſik bleibt hier nicht viel zu ſagen uͤbrig, da die Schickſale ſo vieler zum Umfange der Naturwiſſenſchaften gehoͤrigen Theile und Abſchnitte, ſelbſt einzelner Lehren und Gegenſtaͤnde, beſonders erzaͤhit worden ſind. Ich will alſo nur etwas weniges von den Syſtemen und Methoden im Ganzen genommen beybringen. Erfahrungen uͤber die Koͤrper bieten ſich dem Menſchen, ſo bald er thaͤtig wird, von ſelbſt dar. Nothwendigkeit und Neugiede veranlaſſen ihn auch bald, daruͤber nachzudenken und weiter zu forſchen. So entſtanden ſchon bey den aͤlteſten Voͤlkern Kenntniſſe, die zur Phyſik gehoͤren.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/502>, abgerufen am 22.11.2024.