Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
In der That bleibt auch der Physiker, der sich ohnedem nur mit dem sinnlichen Scheine beschäftiget, am besten bey dem atomistischen System stehen, welches mit diesem Scheine die meiste Uebereinstimmung zeigt. Da er doch die Eristenz der Materie annehmen muß, und bey allen Theilen derselben das Materielle wiederfindet, so kan er fast nicht umhin, dasselbe auch an der letzten Grenze der wirklichen Theilungen zu vermuthen, und sich in diesem Sinne Atomen zu denken, s. Atomen. Hiemit kan er nun alle physische Erfahrungen und Gesetze sehr wohl vereinigen. Er kan aber auch dabey die sinnliche Vorstellung von dem, was wirklich ist, unterscheiden, und es für sehr möglich halten, daß Materie etwas ganz anders sey, als was sie zu seyn scheinet. Nur ist es Pflicht für ihn, hierüber seine gänzliche Unwissenheit zu gestehen. Die Schwierigkeiten, welche der cartesianische Dualismus in Absicht auf die Verknüpfung zwischen Geist und Materie zurückläßt, haben eine Menge metaphysischer Systeme veranlasset. Dahin gehört zuerst der Idealismus, nach welchem es gar keine materielle Welt giebt, und die Ideen davon blos Vorspiegelungen sind, welche die Gottheit in unsern Seelen erweckt. Descartes hatte selbst zu dieser Meinung Anlaß gegeben, indem er (Princip. II. 1.) das Daseyn der Materie blos aus dem Grunde erweiset, daß uns Gott nicht täuschen werde, auch sogar zur Entstehung der Ideen von Materie die Mitwirkung der Gottheit für nöthig hält. Hierauf baute nun der P. Malebranche (De la Recherche de la verite. 7me ed. a Paris, 1721. II To. 4. Part. II. L. III. ch. 1.) den Satz, daß wir alle Dinge in Gott sehen, und daß selbst der Glaube verstatte, die Eristenz aller Dinge außer Gott und den Geistern zu läugnen. Den scheinbaren Zusammenhang zwischen Seele und Körper erklärte er also ebenfalls aus der unmittelbaren Wirkung der Gottheit (systema causarum occasionalium). Berkeley (Treatise concerning the principles of human knowledge, Dialogues between Hylas and Philonous) machte den
In der That bleibt auch der Phyſiker, der ſich ohnedem nur mit dem ſinnlichen Scheine beſchaͤftiget, am beſten bey dem atomiſtiſchen Syſtem ſtehen, welches mit dieſem Scheine die meiſte Uebereinſtimmung zeigt. Da er doch die Eriſtenz der Materie annehmen muß, und bey allen Theilen derſelben das Materielle wiederfindet, ſo kan er faſt nicht umhin, daſſelbe auch an der letzten Grenze der wirklichen Theilungen zu vermuthen, und ſich in dieſem Sinne Atomen zu denken, ſ. Atomen. Hiemit kan er nun alle phyſiſche Erfahrungen und Geſetze ſehr wohl vereinigen. Er kan aber auch dabey die ſinnliche Vorſtellung von dem, was wirklich iſt, unterſcheiden, und es fuͤr ſehr moͤglich halten, daß Materie etwas ganz anders ſey, als was ſie zu ſeyn ſcheinet. Nur iſt es Pflicht fuͤr ihn, hieruͤber ſeine gaͤnzliche Unwiſſenheit zu geſtehen. Die Schwierigkeiten, welche der carteſianiſche Dualismus in Abſicht auf die Verknuͤpfung zwiſchen Geiſt und Materie zuruͤcklaͤßt, haben eine Menge metaphyſiſcher Syſteme veranlaſſet. Dahin gehoͤrt zuerſt der Idealismus, nach welchem es gar keine materielle Welt giebt, und die Ideen davon blos Vorſpiegelungen ſind, welche die Gottheit in unſern Seelen erweckt. Descartes hatte ſelbſt zu dieſer Meinung Anlaß gegeben, indem er (Princip. II. 1.) das Daſeyn der Materie blos aus dem Grunde erweiſet, daß uns Gott nicht taͤuſchen werde, auch ſogar zur Entſtehung der Ideen von Materie die Mitwirkung der Gottheit fuͤr noͤthig haͤlt. Hierauf baute nun der P. Malebranche (De la Recherche de la verité. 7me ed. à Paris, 1721. II To. 4. Part. II. L. III. ch. 1.) den Satz, daß wir alle Dinge in Gott ſehen, und daß ſelbſt der Glaube verſtatte, die Eriſtenz aller Dinge außer Gott und den Geiſtern zu laͤugnen. Den ſcheinbaren Zuſammenhang zwiſchen Seele und Koͤrper erklaͤrte er alſo ebenfalls aus der unmittelbaren Wirkung der Gottheit (ſyſtema cauſarum occaſionalium). Berkeley (Treatiſe concerning the principles of human knowledge, Dialogues between Hylas and Philonous) machte den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0157" xml:id="P.3.151" n="151"/><lb/> oder wie, nach <hi rendition="#b">Hallers</hi> Ausdrucke, Weſen fremder Art der Seelen Werkzeug ſind.</p> <p>In der That bleibt auch der Phyſiker, der ſich ohnedem nur mit dem ſinnlichen Scheine beſchaͤftiget, am beſten bey dem atomiſtiſchen Syſtem ſtehen, welches mit dieſem Scheine die meiſte Uebereinſtimmung zeigt. Da er doch die Eriſtenz der Materie annehmen muß, und bey allen Theilen derſelben das Materielle wiederfindet, ſo kan er faſt nicht umhin, daſſelbe auch an der letzten Grenze der wirklichen Theilungen zu vermuthen, und ſich in dieſem Sinne Atomen zu denken, ſ. <hi rendition="#b">Atomen.</hi> Hiemit kan er nun alle phyſiſche Erfahrungen und Geſetze ſehr wohl vereinigen. Er kan aber auch dabey die ſinnliche Vorſtellung von dem, was wirklich iſt, unterſcheiden, und es fuͤr ſehr moͤglich halten, daß Materie etwas ganz anders ſey, als was ſie zu ſeyn ſcheinet. Nur iſt es Pflicht fuͤr ihn, hieruͤber ſeine gaͤnzliche Unwiſſenheit zu geſtehen.</p> <p>Die Schwierigkeiten, welche der carteſianiſche Dualismus in Abſicht auf die Verknuͤpfung zwiſchen Geiſt und Materie zuruͤcklaͤßt, haben eine Menge metaphyſiſcher Syſteme veranlaſſet. Dahin gehoͤrt zuerſt der <hi rendition="#b">Idealismus,</hi> nach welchem es gar keine materielle Welt giebt, und die Ideen davon blos Vorſpiegelungen ſind, welche die Gottheit in unſern Seelen erweckt. <hi rendition="#b">Descartes</hi> hatte ſelbſt zu dieſer Meinung Anlaß gegeben, indem er <hi rendition="#aq">(Princip. II. 1.)</hi> das Daſeyn der Materie blos aus dem Grunde erweiſet, daß uns Gott nicht taͤuſchen werde, auch ſogar zur Entſtehung der Ideen von Materie die Mitwirkung der Gottheit fuͤr noͤthig haͤlt. Hierauf baute nun der P. <hi rendition="#b">Malebranche</hi> <hi rendition="#aq">(De la Recherche de la verité. 7me ed. à Paris, 1721. II To. 4. Part. II. L. III. ch. 1.)</hi> den Satz, daß wir alle Dinge in Gott ſehen, und daß ſelbſt der Glaube verſtatte, die Eriſtenz aller Dinge außer Gott und den Geiſtern zu laͤugnen. Den ſcheinbaren Zuſammenhang zwiſchen Seele und Koͤrper erklaͤrte er alſo ebenfalls aus der unmittelbaren Wirkung der Gottheit <hi rendition="#aq">(ſyſtema cauſarum occaſionalium).</hi> <hi rendition="#b">Berkeley</hi> <hi rendition="#aq">(Treatiſe concerning the principles of human knowledge, Dialogues between Hylas and Philonous)</hi> machte den<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [151/0157]
oder wie, nach Hallers Ausdrucke, Weſen fremder Art der Seelen Werkzeug ſind.
In der That bleibt auch der Phyſiker, der ſich ohnedem nur mit dem ſinnlichen Scheine beſchaͤftiget, am beſten bey dem atomiſtiſchen Syſtem ſtehen, welches mit dieſem Scheine die meiſte Uebereinſtimmung zeigt. Da er doch die Eriſtenz der Materie annehmen muß, und bey allen Theilen derſelben das Materielle wiederfindet, ſo kan er faſt nicht umhin, daſſelbe auch an der letzten Grenze der wirklichen Theilungen zu vermuthen, und ſich in dieſem Sinne Atomen zu denken, ſ. Atomen. Hiemit kan er nun alle phyſiſche Erfahrungen und Geſetze ſehr wohl vereinigen. Er kan aber auch dabey die ſinnliche Vorſtellung von dem, was wirklich iſt, unterſcheiden, und es fuͤr ſehr moͤglich halten, daß Materie etwas ganz anders ſey, als was ſie zu ſeyn ſcheinet. Nur iſt es Pflicht fuͤr ihn, hieruͤber ſeine gaͤnzliche Unwiſſenheit zu geſtehen.
Die Schwierigkeiten, welche der carteſianiſche Dualismus in Abſicht auf die Verknuͤpfung zwiſchen Geiſt und Materie zuruͤcklaͤßt, haben eine Menge metaphyſiſcher Syſteme veranlaſſet. Dahin gehoͤrt zuerſt der Idealismus, nach welchem es gar keine materielle Welt giebt, und die Ideen davon blos Vorſpiegelungen ſind, welche die Gottheit in unſern Seelen erweckt. Descartes hatte ſelbſt zu dieſer Meinung Anlaß gegeben, indem er (Princip. II. 1.) das Daſeyn der Materie blos aus dem Grunde erweiſet, daß uns Gott nicht taͤuſchen werde, auch ſogar zur Entſtehung der Ideen von Materie die Mitwirkung der Gottheit fuͤr noͤthig haͤlt. Hierauf baute nun der P. Malebranche (De la Recherche de la verité. 7me ed. à Paris, 1721. II To. 4. Part. II. L. III. ch. 1.) den Satz, daß wir alle Dinge in Gott ſehen, und daß ſelbſt der Glaube verſtatte, die Eriſtenz aller Dinge außer Gott und den Geiſtern zu laͤugnen. Den ſcheinbaren Zuſammenhang zwiſchen Seele und Koͤrper erklaͤrte er alſo ebenfalls aus der unmittelbaren Wirkung der Gottheit (ſyſtema cauſarum occaſionalium). Berkeley (Treatiſe concerning the principles of human knowledge, Dialogues between Hylas and Philonous) machte den
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