Theilchen einerley Wesen mit der Materie selbst haben. Dennoch sind diese Theilchen von den Atomen der Alten, wie sich Descartes selbst (Princ. IV. 202.) ausdrückt, darinn unterschieden, daß sie an sich noch theilbar sind, daß sie sich in keinem leeren Raume befinden, daß ihnen die Schwere nicht eigen ist, sondern erst durch ihre Lage und Bewegung gegen andere Körper bestimmt wird, und daß endlich die Entstehung der Welt aus ihnen ganz anders, als bey den Alten, hergeleitet werden muß. Das Hypothetische und Erfahrungswidrige des physikalischen Theils von diesem Systeme ist an mehrern Stellen dieses Wörterbuchs gezeigt worden: der metaphysische Theil läßt die Schwierigkeit zurück, daß die Ausdehnung selbst nur ein Schein der Sinnen ist, und daß die Verknüpfung zwischen geistigen und materiellen Dingen im cartesianischen Dualismus äußerst schwer zu erklären bleibt, daher auch Descartes selbst hiezu eine beständige Assistenz der Gottheit anzunehmen genöthiget war.
Newton hat sich zwar nie in das Gebiet der Metaphysik gewagt; inzwischen äußert er doch an einigen Stellen seiner Schriften, daß er die Materie für eine Zusammenhäufung kleinster Theilchen erkenne, welche selbst materiell und ausgedehnt sind, und durch eine Kraft, deren Natur er unentschieden läßt, sehr stark unter einander zusammen hängen, s. Cohäsion (Th. I. S. 517.). Hierauf führen auch die von ihm angegebnen Naturgesetze, z. B. daß sich die Gravitation nach der Masse oder Menge der materiellen Theile des anziehenden Körpers, und jede bewegende Kraft nach der Masse des bewegten Körpers richtet, u. s. w. So gehört Newtons Physik ebenfalls zu den atomistischen Systemen, welche den ersten Theilen der Materie Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Härte und Trägheit beylegen. Ubrigens bestreitet dieser große Lehrer der Physik den vollen Raum des Descartes, und den falschen Begrif, daß Materie nichts weiter als Ausdehnung sey, erweiset die Anziehung als allgemeines Phänomen der Körperwelt, läßt aber ihre Ursache und die Natur der Kräfte überhaupt unentschieden, und wagt sich noch weniger an die Erklärung des grosen Geheimnißes, wie Materie und Geist in einander wirken,
Theilchen einerley Weſen mit der Materie ſelbſt haben. Dennoch ſind dieſe Theilchen von den Atomen der Alten, wie ſich Descartes ſelbſt (Princ. IV. 202.) ausdruͤckt, darinn unterſchieden, daß ſie an ſich noch theilbar ſind, daß ſie ſich in keinem leeren Raume befinden, daß ihnen die Schwere nicht eigen iſt, ſondern erſt durch ihre Lage und Bewegung gegen andere Koͤrper beſtimmt wird, und daß endlich die Entſtehung der Welt aus ihnen ganz anders, als bey den Alten, hergeleitet werden muß. Das Hypothetiſche und Erfahrungswidrige des phyſikaliſchen Theils von dieſem Syſteme iſt an mehrern Stellen dieſes Woͤrterbuchs gezeigt worden: der metaphyſiſche Theil laͤßt die Schwierigkeit zuruͤck, daß die Ausdehnung ſelbſt nur ein Schein der Sinnen iſt, und daß die Verknuͤpfung zwiſchen geiſtigen und materiellen Dingen im carteſianiſchen Dualiſmus aͤußerſt ſchwer zu erklaͤren bleibt, daher auch Descartes ſelbſt hiezu eine beſtaͤndige Aſſiſtenz der Gottheit anzunehmen genoͤthiget war.
Newton hat ſich zwar nie in das Gebiet der Metaphyſik gewagt; inzwiſchen aͤußert er doch an einigen Stellen ſeiner Schriften, daß er die Materie fuͤr eine Zuſammenhaͤufung kleinſter Theilchen erkenne, welche ſelbſt materiell und ausgedehnt ſind, und durch eine Kraft, deren Natur er unentſchieden laͤßt, ſehr ſtark unter einander zuſammen haͤngen, ſ. Cohaͤſion (Th. I. S. 517.). Hierauf fuͤhren auch die von ihm angegebnen Naturgeſetze, z. B. daß ſich die Gravitation nach der Maſſe oder Menge der materiellen Theile des anziehenden Koͤrpers, und jede bewegende Kraft nach der Maſſe des bewegten Koͤrpers richtet, u. ſ. w. So gehoͤrt Newtons Phyſik ebenfalls zu den atomiſtiſchen Syſtemen, welche den erſten Theilen der Materie Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Haͤrte und Traͤgheit beylegen. Ubrigens beſtreitet dieſer große Lehrer der Phyſik den vollen Raum des Descartes, und den falſchen Begrif, daß Materie nichts weiter als Ausdehnung ſey, erweiſet die Anziehung als allgemeines Phaͤnomen der Koͤrperwelt, laͤßt aber ihre Urſache und die Natur der Kraͤfte uͤberhaupt unentſchieden, und wagt ſich noch weniger an die Erklaͤrung des groſen Geheimnißes, wie Materie und Geiſt in einander wirken,
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Theilchen einerley Weſen mit der Materie ſelbſt haben. Dennoch ſind dieſe Theilchen von den Atomen der Alten, wie ſich Descartes ſelbſt (Princ. IV. 202.) ausdruͤckt, darinn unterſchieden, daß ſie an ſich noch theilbar ſind, daß ſie ſich in keinem leeren Raume befinden, daß ihnen die Schwere nicht eigen iſt, ſondern erſt durch ihre Lage und Bewegung gegen andere Koͤrper beſtimmt wird, und daß endlich die Entſtehung der Welt aus ihnen ganz anders, als bey den Alten, hergeleitet werden muß. Das Hypothetiſche und Erfahrungswidrige des phyſikaliſchen Theils von dieſem Syſteme iſt an mehrern Stellen dieſes Woͤrterbuchs gezeigt worden: der metaphyſiſche Theil laͤßt die Schwierigkeit zuruͤck, daß die Ausdehnung ſelbſt nur ein Schein der Sinnen iſt, und daß die Verknuͤpfung zwiſchen geiſtigen und materiellen Dingen im carteſianiſchen Dualiſmus aͤußerſt ſchwer zu erklaͤren bleibt, daher auch Descartes ſelbſt hiezu eine beſtaͤndige Aſſiſtenz der Gottheit anzunehmen genoͤthiget war.
Newton hat ſich zwar nie in das Gebiet der Metaphyſik gewagt; inzwiſchen aͤußert er doch an einigen Stellen ſeiner Schriften, daß er die Materie fuͤr eine Zuſammenhaͤufung kleinſter Theilchen erkenne, welche ſelbſt materiell und ausgedehnt ſind, und durch eine Kraft, deren Natur er unentſchieden laͤßt, ſehr ſtark unter einander zuſammen haͤngen, ſ. Cohaͤſion (Th. I. S. 517.). Hierauf fuͤhren auch die von ihm angegebnen Naturgeſetze, z. B. daß ſich die Gravitation nach der Maſſe oder Menge der materiellen Theile des anziehenden Koͤrpers, und jede bewegende Kraft nach der Maſſe des bewegten Koͤrpers richtet, u. ſ. w. So gehoͤrt Newtons Phyſik ebenfalls zu den atomiſtiſchen Syſtemen, welche den erſten Theilen der Materie Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Haͤrte und Traͤgheit beylegen. Ubrigens beſtreitet dieſer große Lehrer der Phyſik den vollen Raum des Descartes, und den falſchen Begrif, daß Materie nichts weiter als Ausdehnung ſey, erweiſet die Anziehung als allgemeines Phaͤnomen der Koͤrperwelt, laͤßt aber ihre Urſache und die Natur der Kraͤfte uͤberhaupt unentſchieden, und wagt ſich noch weniger an die Erklaͤrung des groſen Geheimnißes, wie Materie und Geiſt in einander wirken,
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/156>, abgerufen am 21.11.2024.
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