Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
Descartes, dessen Philosophie so schön von dem Bewußtseyn unserer eignen Denkkraft ausgeht, unterschied genau das Geistige oder durchaus Einfache von dem Materiellen, und setzte das Wesen dieses letztern ganz allein in die Ausdehnung. Er lehrt uns den Anfang der Betrachtungen damit machen, daß wir an allem, was außer uns ist, zweifeln. In diesem Augenblicke, sagt er, wissen wir nichts gewiß, als das Cogito, ergo sum. Wir fühlen, daß Ausdehnung, Figur, Bewegung, und was sonst den Körpern zugehört, zu unserm Selbst nicht gehöre, weil dieses Letztere blos in der Denkkraft besteht, von der wir schon überzeugt sind, indem wir an allem andern noch zweifeln. So wird der wesentliche Unterschied zwischen Geist und Körper ein Hauptsatz seines Systems, dem man den Namen des Dualismus gegeben hat, weil es alle Wesen in die zwo ganz verschiednen Classen der geistigen und körperlichen eintheilet. So, wie nun Descartes das Wesen der Geister in die reine Einfachheit setzt, so nimmt er die Materie als zusammengesetzt an aus Theilen, die zwar in der Wirklichkeit untheilbar oder Atomen, im Verstande aber noch theilbar, oder ausgedehnt sind. Ausdehnung ist ihm so ganz einerley mit Materie, daß er alles Ausgedehnte ohne Materie, allen leeren Raum, schlechterdings läugnet, s. Leere. Wenn man, sagt er, die körperliche Substanz von der Ausdehnung oder Größe trenne, so bleibe entweder gar keine Substanz mehr, oder doch nur ein verworrener Begrif von geistiger Substanz übrig; der wahre Begrif von körperlicher Substanz bleibe immer da, wo man die Größe oder Ausdehnung hinsetze (Princip. Philos. L. II. §. 9. sqq.). Er läßt also den Schöpfer seine Welt aus einem harten Stoffe bilden, den die Allmacht in Theile von unendlich verschiedenen Gestalten zerschlägt und in Bewegung setzt. Das übrige s. bey dem Worte: Erdkugel (Th. II. S. 54.). Dieses System des Descartes gehört ebenfalls zu den atomistischen, in sofern die letzten darinn angenommenen
Descartes, deſſen Philoſophie ſo ſchoͤn von dem Bewußtſeyn unſerer eignen Denkkraft ausgeht, unterſchied genau das Geiſtige oder durchaus Einfache von dem Materiellen, und ſetzte das Weſen dieſes letztern ganz allein in die Ausdehnung. Er lehrt uns den Anfang der Betrachtungen damit machen, daß wir an allem, was außer uns iſt, zweifeln. In dieſem Augenblicke, ſagt er, wiſſen wir nichts gewiß, als das Cogito, ergo ſum. Wir fuͤhlen, daß Ausdehnung, Figur, Bewegung, und was ſonſt den Koͤrpern zugehoͤrt, zu unſerm Selbſt nicht gehoͤre, weil dieſes Letztere blos in der Denkkraft beſteht, von der wir ſchon uͤberzeugt ſind, indem wir an allem andern noch zweifeln. So wird der weſentliche Unterſchied zwiſchen Geiſt und Koͤrper ein Hauptſatz ſeines Syſtems, dem man den Namen des Dualiſmus gegeben hat, weil es alle Weſen in die zwo ganz verſchiednen Claſſen der geiſtigen und koͤrperlichen eintheilet. So, wie nun Descartes das Weſen der Geiſter in die reine Einfachheit ſetzt, ſo nimmt er die Materie als zuſammengeſetzt an aus Theilen, die zwar in der Wirklichkeit untheilbar oder Atomen, im Verſtande aber noch theilbar, oder ausgedehnt ſind. Ausdehnung iſt ihm ſo ganz einerley mit Materie, daß er alles Ausgedehnte ohne Materie, allen leeren Raum, ſchlechterdings laͤugnet, ſ. Leere. Wenn man, ſagt er, die koͤrperliche Subſtanz von der Ausdehnung oder Groͤße trenne, ſo bleibe entweder gar keine Subſtanz mehr, oder doch nur ein verworrener Begrif von geiſtiger Subſtanz uͤbrig; der wahre Begrif von koͤrperlicher Subſtanz bleibe immer da, wo man die Groͤße oder Ausdehnung hinſetze (Princip. Philoſ. L. II. §. 9. ſqq.). Er laͤßt alſo den Schoͤpfer ſeine Welt aus einem harten Stoffe bilden, den die Allmacht in Theile von unendlich verſchiedenen Geſtalten zerſchlaͤgt und in Bewegung ſetzt. Das uͤbrige ſ. bey dem Worte: Erdkugel (Th. II. S. 54.). Dieſes Syſtem des Descartes gehoͤrt ebenfalls zu den atomiſtiſchen, in ſofern die letzten darinn angenommenen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0155" xml:id="P.3.149" n="149"/><lb/> herzuleiten geſucht, wodurch die neuere atomiſtiſche <hi rendition="#b">Phyſik</hi> entſtanden iſt.</p> <p><hi rendition="#b">Descartes,</hi> deſſen Philoſophie ſo ſchoͤn von dem Bewußtſeyn unſerer eignen Denkkraft ausgeht, unterſchied genau das Geiſtige oder durchaus Einfache von dem Materiellen, und ſetzte das Weſen dieſes letztern ganz allein in die Ausdehnung. Er lehrt uns den Anfang der Betrachtungen damit machen, daß wir an allem, was außer uns iſt, zweifeln. In dieſem Augenblicke, ſagt er, wiſſen wir nichts gewiß, als das <hi rendition="#aq">Cogito, ergo ſum.</hi> Wir fuͤhlen, daß Ausdehnung, Figur, Bewegung, und was ſonſt den Koͤrpern zugehoͤrt, zu unſerm Selbſt nicht gehoͤre, weil dieſes Letztere blos in der Denkkraft beſteht, von der wir ſchon uͤberzeugt ſind, indem wir an allem andern noch zweifeln. So wird der weſentliche Unterſchied zwiſchen Geiſt und Koͤrper ein Hauptſatz ſeines Syſtems, dem man den Namen des <hi rendition="#b">Dualiſmus</hi> gegeben hat, weil es alle Weſen in die zwo ganz verſchiednen Claſſen der geiſtigen und koͤrperlichen eintheilet.</p> <p>So, wie nun Descartes das Weſen der Geiſter in die reine Einfachheit ſetzt, ſo nimmt er die Materie als zuſammengeſetzt an aus Theilen, die zwar in der Wirklichkeit untheilbar oder Atomen, im Verſtande aber noch theilbar, oder ausgedehnt ſind. Ausdehnung iſt ihm ſo ganz einerley mit Materie, daß er alles Ausgedehnte ohne Materie, allen leeren Raum, ſchlechterdings laͤugnet, ſ. <hi rendition="#b">Leere.</hi> Wenn man, ſagt er, die koͤrperliche Subſtanz von der Ausdehnung oder Groͤße trenne, ſo bleibe entweder gar keine Subſtanz mehr, oder doch nur ein verworrener Begrif von geiſtiger Subſtanz uͤbrig; der wahre Begrif von koͤrperlicher Subſtanz bleibe immer da, wo man die Groͤße oder Ausdehnung hinſetze <hi rendition="#aq">(Princip. Philoſ. L. II. §. 9. ſqq.).</hi> Er laͤßt alſo den Schoͤpfer ſeine Welt aus einem harten Stoffe bilden, den die Allmacht in Theile von unendlich verſchiedenen Geſtalten zerſchlaͤgt und in Bewegung ſetzt. Das uͤbrige ſ. bey dem Worte: <hi rendition="#b">Erdkugel</hi> (Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 54.).</p> <p>Dieſes Syſtem des <hi rendition="#b">Descartes</hi> gehoͤrt ebenfalls zu den atomiſtiſchen, in ſofern die letzten darinn angenommenen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [149/0155]
herzuleiten geſucht, wodurch die neuere atomiſtiſche Phyſik entſtanden iſt.
Descartes, deſſen Philoſophie ſo ſchoͤn von dem Bewußtſeyn unſerer eignen Denkkraft ausgeht, unterſchied genau das Geiſtige oder durchaus Einfache von dem Materiellen, und ſetzte das Weſen dieſes letztern ganz allein in die Ausdehnung. Er lehrt uns den Anfang der Betrachtungen damit machen, daß wir an allem, was außer uns iſt, zweifeln. In dieſem Augenblicke, ſagt er, wiſſen wir nichts gewiß, als das Cogito, ergo ſum. Wir fuͤhlen, daß Ausdehnung, Figur, Bewegung, und was ſonſt den Koͤrpern zugehoͤrt, zu unſerm Selbſt nicht gehoͤre, weil dieſes Letztere blos in der Denkkraft beſteht, von der wir ſchon uͤberzeugt ſind, indem wir an allem andern noch zweifeln. So wird der weſentliche Unterſchied zwiſchen Geiſt und Koͤrper ein Hauptſatz ſeines Syſtems, dem man den Namen des Dualiſmus gegeben hat, weil es alle Weſen in die zwo ganz verſchiednen Claſſen der geiſtigen und koͤrperlichen eintheilet.
So, wie nun Descartes das Weſen der Geiſter in die reine Einfachheit ſetzt, ſo nimmt er die Materie als zuſammengeſetzt an aus Theilen, die zwar in der Wirklichkeit untheilbar oder Atomen, im Verſtande aber noch theilbar, oder ausgedehnt ſind. Ausdehnung iſt ihm ſo ganz einerley mit Materie, daß er alles Ausgedehnte ohne Materie, allen leeren Raum, ſchlechterdings laͤugnet, ſ. Leere. Wenn man, ſagt er, die koͤrperliche Subſtanz von der Ausdehnung oder Groͤße trenne, ſo bleibe entweder gar keine Subſtanz mehr, oder doch nur ein verworrener Begrif von geiſtiger Subſtanz uͤbrig; der wahre Begrif von koͤrperlicher Subſtanz bleibe immer da, wo man die Groͤße oder Ausdehnung hinſetze (Princip. Philoſ. L. II. §. 9. ſqq.). Er laͤßt alſo den Schoͤpfer ſeine Welt aus einem harten Stoffe bilden, den die Allmacht in Theile von unendlich verſchiedenen Geſtalten zerſchlaͤgt und in Bewegung ſetzt. Das uͤbrige ſ. bey dem Worte: Erdkugel (Th. II. S. 54.).
Dieſes Syſtem des Descartes gehoͤrt ebenfalls zu den atomiſtiſchen, in ſofern die letzten darinn angenommenen
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