Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


gegrabnes Elfenbein findet. Endlich vollendeten partielle Ueberschwemmungen, langsame Wirkungen des Regens, und die immer fortgehende Bewegung des Meeres von Osten nach Westen das Werk, und gaben der Erdfläche die gegenwärtige Gestalt. Die Erkältung aber nimmt immer mehr zu, und nach 93000 Jahren wird die lebende Natur wegen der Kälte nicht mehr bestehen können. Dies sind die Hauptzüge eines Systems, das sein Urheber mit der ihm eignen hinreißenden Beredsamkeit vorgetragen hat, das man aber bey genauerer Prüfung für nichts weiter, als für einen schönen Traum, erklären kan. In den Beobachtungen findet sich keine Spur einer abnehmenden Wärme oder Erkaltung, und wenn es eine der Erde eigne, von der Sonne unabhängige, Wärme girbt (s. Centralfeuer), so kan doch allen physikalischen Grundsätzen gemäß, kein Erkalten des Ganzen in dem hier angenommenen Sinne statt finden, weil außer der Erde und ihrer Atmosphäre nichts da ist, was diesen Wärme entziehen kan. Die freye oder fühlbare Wärme geht zwar aus einem glühenden Eisen in die Luft über, weil die Luft kälter ist; aber dies ist nicht der Fall der Erdkugel, welche zwar ihrer Atmosphäee Wärme mittheilt, aber auch wieder Wärme von dieser annimmt, wenn sie kälter ist. Außer der Atmosphäre aber ist nichts weiter vorhanden, was der Erde Wärme entziehen könnte. So kan sich kein Beweis dieses Erkaltens in der Physik finden, und die Geschichte lehrt vielmehr, daß das Klima so vieler Länder durch die Cultur immer milder und wärmer werde. Dazu kömmt, daß die Planeten, wenn sie aus der Sonne abgerissen wären, ihre Perihelien weit näher bey der Sonne haben müßten, daß die ursprünglichen Materien zwar glasartig, aber keinesweges verglaset sind, daß die kalkartigen Stoffe sich selbst in den ursprünglichen Gebirgen, und oft ohne alle Spuren von Seethieren finden, daß die neusten Anhäufungen des Meeres, welche die meisten Conchylien enthalten, großentheils aus glasartigen Materien bestehen, daß die Bewegung des Meeres von Osten gegen Westen die beygelegten großen Wirkungen nicht hervorbringen kan, daß der Regen und die Bäche die Berge durch Abrundung und Böschung


gegrabnes Elfenbein findet. Endlich vollendeten partielle Ueberſchwemmungen, langſame Wirkungen des Regens, und die immer fortgehende Bewegung des Meeres von Oſten nach Weſten das Werk, und gaben der Erdflaͤche die gegenwaͤrtige Geſtalt. Die Erkaͤltung aber nimmt immer mehr zu, und nach 93000 Jahren wird die lebende Natur wegen der Kaͤlte nicht mehr beſtehen koͤnnen. Dies ſind die Hauptzuͤge eines Syſtems, das ſein Urheber mit der ihm eignen hinreißenden Beredſamkeit vorgetragen hat, das man aber bey genauerer Pruͤfung fuͤr nichts weiter, als fuͤr einen ſchoͤnen Traum, erklaͤren kan. In den Beobachtungen findet ſich keine Spur einer abnehmenden Waͤrme oder Erkaltung, und wenn es eine der Erde eigne, von der Sonne unabhaͤngige, Waͤrme girbt (ſ. Centralfeuer), ſo kan doch allen phyſikaliſchen Grundſaͤtzen gemaͤß, kein Erkalten des Ganzen in dem hier angenommenen Sinne ſtatt finden, weil außer der Erde und ihrer Atmoſphaͤre nichts da iſt, was dieſen Waͤrme entziehen kan. Die freye oder fuͤhlbare Waͤrme geht zwar aus einem gluͤhenden Eiſen in die Luft uͤber, weil die Luft kaͤlter iſt; aber dies iſt nicht der Fall der Erdkugel, welche zwar ihrer Atmoſphaͤee Waͤrme mittheilt, aber auch wieder Waͤrme von dieſer annimmt, wenn ſie kaͤlter iſt. Außer der Atmoſphaͤre aber iſt nichts weiter vorhanden, was der Erde Waͤrme entziehen koͤnnte. So kan ſich kein Beweis dieſes Erkaltens in der Phyſik finden, und die Geſchichte lehrt vielmehr, daß das Klima ſo vieler Laͤnder durch die Cultur immer milder und waͤrmer werde. Dazu koͤmmt, daß die Planeten, wenn ſie aus der Sonne abgeriſſen waͤren, ihre Perihelien weit naͤher bey der Sonne haben muͤßten, daß die urſpruͤnglichen Materien zwar glasartig, aber keinesweges verglaſet ſind, daß die kalkartigen Stoffe ſich ſelbſt in den urſpruͤnglichen Gebirgen, und oft ohne alle Spuren von Seethieren finden, daß die neuſten Anhaͤufungen des Meeres, welche die meiſten Conchylien enthalten, großentheils aus glasartigen Materien beſtehen, daß die Bewegung des Meeres von Oſten gegen Weſten die beygelegten großen Wirkungen nicht hervorbringen kan, daß der Regen und die Baͤche die Berge durch Abrundung und Boͤſchung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0071" xml:id="P.2.65" n="65"/><lb/>
gegrabnes Elfenbein findet. Endlich vollendeten partielle Ueber&#x017F;chwemmungen, lang&#x017F;ame Wirkungen des Regens, und die immer fortgehende Bewegung des Meeres von O&#x017F;ten nach We&#x017F;ten das Werk, und gaben der Erdfla&#x0364;che die gegenwa&#x0364;rtige Ge&#x017F;talt. Die Erka&#x0364;ltung aber nimmt immer mehr zu, und nach 93000 Jahren wird die lebende Natur wegen der Ka&#x0364;lte nicht mehr be&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen. Dies &#x017F;ind die Hauptzu&#x0364;ge eines Sy&#x017F;tems, das &#x017F;ein Urheber mit der ihm eignen hinreißenden Bered&#x017F;amkeit vorgetragen hat, das man aber bey genauerer Pru&#x0364;fung fu&#x0364;r nichts weiter, als fu&#x0364;r einen &#x017F;cho&#x0364;nen Traum, erkla&#x0364;ren kan. In den Beobachtungen findet &#x017F;ich keine Spur einer abnehmenden Wa&#x0364;rme oder Erkaltung, und wenn es eine der Erde <hi rendition="#b">eigne,</hi> von der Sonne unabha&#x0364;ngige, Wa&#x0364;rme girbt (&#x017F;. <hi rendition="#b">Centralfeuer</hi>), &#x017F;o kan doch allen phy&#x017F;ikali&#x017F;chen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen gema&#x0364;ß, kein Erkalten des Ganzen in dem hier angenommenen Sinne &#x017F;tatt finden, weil außer der Erde und ihrer Atmo&#x017F;pha&#x0364;re nichts da i&#x017F;t, was die&#x017F;en Wa&#x0364;rme entziehen kan. Die freye oder fu&#x0364;hlbare Wa&#x0364;rme geht zwar aus einem glu&#x0364;henden Ei&#x017F;en in die Luft u&#x0364;ber, weil die Luft ka&#x0364;lter i&#x017F;t; aber dies i&#x017F;t nicht der Fall der Erdkugel, welche zwar ihrer Atmo&#x017F;pha&#x0364;ee Wa&#x0364;rme mittheilt, aber auch wieder Wa&#x0364;rme von die&#x017F;er annimmt, wenn &#x017F;ie ka&#x0364;lter i&#x017F;t. Außer der Atmo&#x017F;pha&#x0364;re aber i&#x017F;t nichts weiter vorhanden, was der Erde Wa&#x0364;rme entziehen ko&#x0364;nnte. So kan &#x017F;ich kein Beweis die&#x017F;es Erkaltens in der Phy&#x017F;ik finden, und die Ge&#x017F;chichte lehrt vielmehr, daß das Klima &#x017F;o vieler La&#x0364;nder durch die Cultur immer milder und wa&#x0364;rmer werde. Dazu ko&#x0364;mmt, daß die Planeten, wenn &#x017F;ie aus der Sonne abgeri&#x017F;&#x017F;en wa&#x0364;ren, ihre Perihelien weit na&#x0364;her bey der Sonne haben mu&#x0364;ßten, daß die ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Materien zwar glasartig, aber keinesweges <hi rendition="#b">vergla&#x017F;et</hi> &#x017F;ind, daß die kalkartigen Stoffe &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t in den ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Gebirgen, und oft ohne alle Spuren von Seethieren finden, daß die neu&#x017F;ten Anha&#x0364;ufungen des Meeres, welche die mei&#x017F;ten Conchylien enthalten, großentheils aus glasartigen Materien be&#x017F;tehen, daß die Bewegung des Meeres von O&#x017F;ten gegen We&#x017F;ten die beygelegten großen Wirkungen nicht hervorbringen kan, daß der Regen und die Ba&#x0364;che die Berge durch Abrundung und Bo&#x0364;&#x017F;chung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0071] gegrabnes Elfenbein findet. Endlich vollendeten partielle Ueberſchwemmungen, langſame Wirkungen des Regens, und die immer fortgehende Bewegung des Meeres von Oſten nach Weſten das Werk, und gaben der Erdflaͤche die gegenwaͤrtige Geſtalt. Die Erkaͤltung aber nimmt immer mehr zu, und nach 93000 Jahren wird die lebende Natur wegen der Kaͤlte nicht mehr beſtehen koͤnnen. Dies ſind die Hauptzuͤge eines Syſtems, das ſein Urheber mit der ihm eignen hinreißenden Beredſamkeit vorgetragen hat, das man aber bey genauerer Pruͤfung fuͤr nichts weiter, als fuͤr einen ſchoͤnen Traum, erklaͤren kan. In den Beobachtungen findet ſich keine Spur einer abnehmenden Waͤrme oder Erkaltung, und wenn es eine der Erde eigne, von der Sonne unabhaͤngige, Waͤrme girbt (ſ. Centralfeuer), ſo kan doch allen phyſikaliſchen Grundſaͤtzen gemaͤß, kein Erkalten des Ganzen in dem hier angenommenen Sinne ſtatt finden, weil außer der Erde und ihrer Atmoſphaͤre nichts da iſt, was dieſen Waͤrme entziehen kan. Die freye oder fuͤhlbare Waͤrme geht zwar aus einem gluͤhenden Eiſen in die Luft uͤber, weil die Luft kaͤlter iſt; aber dies iſt nicht der Fall der Erdkugel, welche zwar ihrer Atmoſphaͤee Waͤrme mittheilt, aber auch wieder Waͤrme von dieſer annimmt, wenn ſie kaͤlter iſt. Außer der Atmoſphaͤre aber iſt nichts weiter vorhanden, was der Erde Waͤrme entziehen koͤnnte. So kan ſich kein Beweis dieſes Erkaltens in der Phyſik finden, und die Geſchichte lehrt vielmehr, daß das Klima ſo vieler Laͤnder durch die Cultur immer milder und waͤrmer werde. Dazu koͤmmt, daß die Planeten, wenn ſie aus der Sonne abgeriſſen waͤren, ihre Perihelien weit naͤher bey der Sonne haben muͤßten, daß die urſpruͤnglichen Materien zwar glasartig, aber keinesweges verglaſet ſind, daß die kalkartigen Stoffe ſich ſelbſt in den urſpruͤnglichen Gebirgen, und oft ohne alle Spuren von Seethieren finden, daß die neuſten Anhaͤufungen des Meeres, welche die meiſten Conchylien enthalten, großentheils aus glasartigen Materien beſtehen, daß die Bewegung des Meeres von Oſten gegen Weſten die beygelegten großen Wirkungen nicht hervorbringen kan, daß der Regen und die Baͤche die Berge durch Abrundung und Boͤſchung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/71
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/71>, abgerufen am 24.11.2024.