Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Daher kömmt es denn, daß wir in Absicht auf die Größe irren, so oft wir üder die Entfernung irren; und daß die Urtheile über die scheinbare Größe verschieden sind, sobald die Vorstellungen von der Entfernung nicht übereinstimmen. Wie schwankend aber die Urtheile von den Entfernungen sind, und von wie vielen Umständen sie abhängen, ist im ersten Theile, S. 843. u. f. deutlich gezeigt worden. Hieraus entspringen mancherley Irrungen und Mißverständnisse über scheinbare Größe, wovon ich nur einige als Beyspiele anführen will. Wenn man hört, ein Fernrohr vergrößere 20mal, also der Fläche nach 400mal, so macht man sich Hofnung, die Himmelskörper dadurch in erstaunenswürdiger Größe zu sehen: man findet sich aber bey wirklicher Betrachtung derselben sehr getäuscht, und sieht sie zwar ziemlich größer, als mit bloßen Augen, aber bey weitem nicht der übergroßen Erwartung gemäß. Die Erklärung des Phänomens ist sehr leicht: der optische Winkel oder das, was eigentlich scheinbare Größe heißen soll, ist wirklich 20mal vergrößert, aber der Gegenstand scheint dabey viel näher gekommen zu seyn, und in eben dem Verhältnisse vermindert sich dem Urtheile nach seine scheinbare Größe. Von mehrern Personen, die den Iupiter durch einerley Fernrohr betrachten, wird man ganz verschiedene Urtheile über seine scheinbare Größe hören. Einer wird ihn mit einem Gulden, der Andere mit einem Sechspfennigstück, der Dritte mit einem Stecknadelknopfe rc. vergleichen.
Daher koͤmmt es denn, daß wir in Abſicht auf die Groͤße irren, ſo oft wir uͤder die Entfernung irren; und daß die Urtheile uͤber die ſcheinbare Groͤße verſchieden ſind, ſobald die Vorſtellungen von der Entfernung nicht uͤbereinſtimmen. Wie ſchwankend aber die Urtheile von den Entfernungen ſind, und von wie vielen Umſtaͤnden ſie abhaͤngen, iſt im erſten Theile, S. 843. u. f. deutlich gezeigt worden. Hieraus entſpringen mancherley Irrungen und Mißverſtaͤndniſſe uͤber ſcheinbare Groͤße, wovon ich nur einige als Beyſpiele anfuͤhren will. Wenn man hoͤrt, ein Fernrohr vergroͤßere 20mal, alſo der Flaͤche nach 400mal, ſo macht man ſich Hofnung, die Himmelskoͤrper dadurch in erſtaunenswuͤrdiger Groͤße zu ſehen: man findet ſich aber bey wirklicher Betrachtung derſelben ſehr getaͤuſcht, und ſieht ſie zwar ziemlich groͤßer, als mit bloßen Augen, aber bey weitem nicht der uͤbergroßen Erwartung gemaͤß. Die Erklaͤrung des Phaͤnomens iſt ſehr leicht: der optiſche Winkel oder das, was eigentlich ſcheinbare Groͤße heißen ſoll, iſt wirklich 20mal vergroͤßert, aber der Gegenſtand ſcheint dabey viel naͤher gekommen zu ſeyn, und in eben dem Verhaͤltniſſe vermindert ſich dem Urtheile nach ſeine ſcheinbare Groͤße. Von mehrern Perſonen, die den Iupiter durch einerley Fernrohr betrachten, wird man ganz verſchiedene Urtheile uͤber ſeine ſcheinbare Groͤße hoͤren. Einer wird ihn mit einem Gulden, der Andere mit einem Sechspfennigſtuͤck, der Dritte mit einem Stecknadelknopfe rc. vergleichen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0546" xml:id="P.2.540" n="540"/><lb/> richtet ſich unſer Urtheil nach der <hi rendition="#b">ſcheinbaren Entfernung,</hi> die wir dem geſehenen Gegenſtande beylegen. Wir halten das fuͤr groß, was bey großer Entfernung dennoch unter einem großen Winkel erſcheint; das fuͤr klein, was bey geringer Entfernung dennoch unter einem geringen Winkel geſehen wird. Die ſcheinbare Groͤße des Gegenſtands iſt alsdann als das Produkt aus dem Winkel (eigentlich aus deſſen Tangente) in die ſcheinbare Entfernung anzuſehen. Hieraus folgt ſehr natuͤrlich, daß bey underaͤndertem Winkel der Gegenſtand groͤßer ſcheint, wenn wir ihn entfernter, und kleiner, wenn wir ihn naͤher glauben.</p> <p>Daher koͤmmt es denn, daß wir in Abſicht auf die Groͤße irren, ſo oft wir uͤder die Entfernung irren; und daß die Urtheile uͤber die ſcheinbare Groͤße verſchieden ſind, ſobald die Vorſtellungen von der Entfernung nicht uͤbereinſtimmen. Wie ſchwankend aber die Urtheile von den Entfernungen ſind, und von wie vielen Umſtaͤnden ſie abhaͤngen, iſt im erſten Theile, S. 843. u. f. deutlich gezeigt worden. Hieraus entſpringen mancherley Irrungen und Mißverſtaͤndniſſe uͤber ſcheinbare Groͤße, wovon ich nur einige als Beyſpiele anfuͤhren will.</p> <p>Wenn man hoͤrt, ein Fernrohr vergroͤßere 20mal, alſo der Flaͤche nach 400mal, ſo macht man ſich Hofnung, die Himmelskoͤrper dadurch in erſtaunenswuͤrdiger Groͤße zu ſehen: man findet ſich aber bey wirklicher Betrachtung derſelben ſehr getaͤuſcht, und ſieht ſie zwar ziemlich groͤßer, als mit bloßen Augen, aber bey weitem nicht der uͤbergroßen Erwartung gemaͤß. Die Erklaͤrung des Phaͤnomens iſt ſehr leicht: der optiſche Winkel oder das, was eigentlich ſcheinbare Groͤße heißen ſoll, iſt wirklich 20mal vergroͤßert, aber der Gegenſtand ſcheint dabey viel naͤher gekommen zu ſeyn, und in eben dem Verhaͤltniſſe vermindert ſich dem Urtheile nach ſeine ſcheinbare Groͤße.</p> <p>Von mehrern Perſonen, die den Iupiter durch einerley Fernrohr betrachten, wird man ganz verſchiedene Urtheile uͤber ſeine ſcheinbare Groͤße hoͤren. Einer wird ihn mit einem Gulden, der Andere mit einem Sechspfennigſtuͤck, der Dritte mit einem Stecknadelknopfe rc. vergleichen.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [540/0546]
richtet ſich unſer Urtheil nach der ſcheinbaren Entfernung, die wir dem geſehenen Gegenſtande beylegen. Wir halten das fuͤr groß, was bey großer Entfernung dennoch unter einem großen Winkel erſcheint; das fuͤr klein, was bey geringer Entfernung dennoch unter einem geringen Winkel geſehen wird. Die ſcheinbare Groͤße des Gegenſtands iſt alsdann als das Produkt aus dem Winkel (eigentlich aus deſſen Tangente) in die ſcheinbare Entfernung anzuſehen. Hieraus folgt ſehr natuͤrlich, daß bey underaͤndertem Winkel der Gegenſtand groͤßer ſcheint, wenn wir ihn entfernter, und kleiner, wenn wir ihn naͤher glauben.
Daher koͤmmt es denn, daß wir in Abſicht auf die Groͤße irren, ſo oft wir uͤder die Entfernung irren; und daß die Urtheile uͤber die ſcheinbare Groͤße verſchieden ſind, ſobald die Vorſtellungen von der Entfernung nicht uͤbereinſtimmen. Wie ſchwankend aber die Urtheile von den Entfernungen ſind, und von wie vielen Umſtaͤnden ſie abhaͤngen, iſt im erſten Theile, S. 843. u. f. deutlich gezeigt worden. Hieraus entſpringen mancherley Irrungen und Mißverſtaͤndniſſe uͤber ſcheinbare Groͤße, wovon ich nur einige als Beyſpiele anfuͤhren will.
Wenn man hoͤrt, ein Fernrohr vergroͤßere 20mal, alſo der Flaͤche nach 400mal, ſo macht man ſich Hofnung, die Himmelskoͤrper dadurch in erſtaunenswuͤrdiger Groͤße zu ſehen: man findet ſich aber bey wirklicher Betrachtung derſelben ſehr getaͤuſcht, und ſieht ſie zwar ziemlich groͤßer, als mit bloßen Augen, aber bey weitem nicht der uͤbergroßen Erwartung gemaͤß. Die Erklaͤrung des Phaͤnomens iſt ſehr leicht: der optiſche Winkel oder das, was eigentlich ſcheinbare Groͤße heißen ſoll, iſt wirklich 20mal vergroͤßert, aber der Gegenſtand ſcheint dabey viel naͤher gekommen zu ſeyn, und in eben dem Verhaͤltniſſe vermindert ſich dem Urtheile nach ſeine ſcheinbare Groͤße.
Von mehrern Perſonen, die den Iupiter durch einerley Fernrohr betrachten, wird man ganz verſchiedene Urtheile uͤber ſeine ſcheinbare Groͤße hoͤren. Einer wird ihn mit einem Gulden, der Andere mit einem Sechspfennigſtuͤck, der Dritte mit einem Stecknadelknopfe rc. vergleichen.
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