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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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erklärt dies daraus, daß wir nicht gewohnt sind, Wasser in einem Gefäße oben, und Luft unten zu sehen, daher unser Theil so ausfällt, als ob das Wasser unten wäre, wo sich im Spiegel der leere Theil abbildet. Kehrt man die Flasche um und läßt sie auslaufen, so scheint das Bild sich zu füllen; sobald sie aber leer ist, sieht man auch ihr Bild leer.

Wie unrichtig man oft über die Bewegung der Körper aus ihrer scheinbaren Bewegung urtheile, bewegte Körper für ruhend, ruhende für bewegt, vorwärts gehende für zurückgehend. u. dgl. halte, wird in allen Lehrbüchern der Optik durch viele Beyspiele gezeigt. Porterfield (On the eye, Vol. II. p. 122.) hat diese Lehre von der scheinbaren Bewegung sehr schön in eilf Sätze gebracht, die man im Priestley (Geschichte der Optik, durch Klügel, S. 501. f.) findet. Wenn sich z. B. das Auge gerade fort beweget, und man sich der Bewegung bewußt ist, so werden entfernte Körper sich nach eben derselben Richtung mit zu bewegen scheinen, weil ihr Bild, der Bewegung des Auges ungeachtet, immer auf eben derselben Stelle der Netzhaut bleibt, oder weil wir sie immer nach eben derselben Gegend zu sehen, wie einen Gefährten, der uns zur Seite geht. So scheint der Mond an unserer Seite über Häuser und Bäume mit uns fortzugehen. Bewegt sich das Auge geschwind, und ist man sich der Bewegung nicht bewußt, so scheinen einem die ruhenden Körper an den Seiten entgegenzukommen, wie auf einem Schiffe die Ufer u. s. w. Bisweilen kan eine Bewegung von ferne betrachtet, nach der entgegengesetzten Richtung zu gehen scheinen, z. B. wenn man den vordern Flügel einer Windmühle für den hintern, die nähere Seite eines Kronleuchters, der sich drehet, für die entferntere nimmt.

Die Bilder heller Gegenstände breiten sich auf der Netzhaut aus. Darum sieht an einer halb weißen, halb schwarzen Scheibe der weiße Theil von weitem größer, als der schwarze aus; und am drey- oder viertägigen Monde scheint die helle Sichel einem größern Kreise zuzugehören, als der von der Erde erleuchtete dunklere Theil. Hiebey kömmt


erklaͤrt dies daraus, daß wir nicht gewohnt ſind, Waſſer in einem Gefaͤße oben, und Luft unten zu ſehen, daher unſer Theil ſo ausfaͤllt, als ob das Waſſer unten waͤre, wo ſich im Spiegel der leere Theil abbildet. Kehrt man die Flaſche um und laͤßt ſie auslaufen, ſo ſcheint das Bild ſich zu fuͤllen; ſobald ſie aber leer iſt, ſieht man auch ihr Bild leer.

Wie unrichtig man oft uͤber die Bewegung der Koͤrper aus ihrer ſcheinbaren Bewegung urtheile, bewegte Koͤrper fuͤr ruhend, ruhende fuͤr bewegt, vorwaͤrts gehende fuͤr zuruͤckgehend. u. dgl. halte, wird in allen Lehrbuͤchern der Optik durch viele Beyſpiele gezeigt. Porterfield (On the eye, Vol. II. p. 122.) hat dieſe Lehre von der ſcheinbaren Bewegung ſehr ſchoͤn in eilf Saͤtze gebracht, die man im Prieſtley (Geſchichte der Optik, durch Kluͤgel, S. 501. f.) findet. Wenn ſich z. B. das Auge gerade fort beweget, und man ſich der Bewegung bewußt iſt, ſo werden entfernte Koͤrper ſich nach eben derſelben Richtung mit zu bewegen ſcheinen, weil ihr Bild, der Bewegung des Auges ungeachtet, immer auf eben derſelben Stelle der Netzhaut bleibt, oder weil wir ſie immer nach eben derſelben Gegend zu ſehen, wie einen Gefaͤhrten, der uns zur Seite geht. So ſcheint der Mond an unſerer Seite uͤber Haͤuſer und Baͤume mit uns fortzugehen. Bewegt ſich das Auge geſchwind, und iſt man ſich der Bewegung nicht bewußt, ſo ſcheinen einem die ruhenden Koͤrper an den Seiten entgegenzukommen, wie auf einem Schiffe die Ufer u. ſ. w. Bisweilen kan eine Bewegung von ferne betrachtet, nach der entgegengeſetzten Richtung zu gehen ſcheinen, z. B. wenn man den vordern Fluͤgel einer Windmuͤhle fuͤr den hintern, die naͤhere Seite eines Kronleuchters, der ſich drehet, fuͤr die entferntere nimmt.

Die Bilder heller Gegenſtaͤnde breiten ſich auf der Netzhaut aus. Darum ſieht an einer halb weißen, halb ſchwarzen Scheibe der weiße Theil von weitem groͤßer, als der ſchwarze aus; und am drey- oder viertaͤgigen Monde ſcheint die helle Sichel einem groͤßern Kreiſe zuzugehoͤren, als der von der Erde erleuchtete dunklere Theil. Hiebey koͤmmt

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[471/0477] erklaͤrt dies daraus, daß wir nicht gewohnt ſind, Waſſer in einem Gefaͤße oben, und Luft unten zu ſehen, daher unſer Theil ſo ausfaͤllt, als ob das Waſſer unten waͤre, wo ſich im Spiegel der leere Theil abbildet. Kehrt man die Flaſche um und laͤßt ſie auslaufen, ſo ſcheint das Bild ſich zu fuͤllen; ſobald ſie aber leer iſt, ſieht man auch ihr Bild leer. Wie unrichtig man oft uͤber die Bewegung der Koͤrper aus ihrer ſcheinbaren Bewegung urtheile, bewegte Koͤrper fuͤr ruhend, ruhende fuͤr bewegt, vorwaͤrts gehende fuͤr zuruͤckgehend. u. dgl. halte, wird in allen Lehrbuͤchern der Optik durch viele Beyſpiele gezeigt. Porterfield (On the eye, Vol. II. p. 122.) hat dieſe Lehre von der ſcheinbaren Bewegung ſehr ſchoͤn in eilf Saͤtze gebracht, die man im Prieſtley (Geſchichte der Optik, durch Kluͤgel, S. 501. f.) findet. Wenn ſich z. B. das Auge gerade fort beweget, und man ſich der Bewegung bewußt iſt, ſo werden entfernte Koͤrper ſich nach eben derſelben Richtung mit zu bewegen ſcheinen, weil ihr Bild, der Bewegung des Auges ungeachtet, immer auf eben derſelben Stelle der Netzhaut bleibt, oder weil wir ſie immer nach eben derſelben Gegend zu ſehen, wie einen Gefaͤhrten, der uns zur Seite geht. So ſcheint der Mond an unſerer Seite uͤber Haͤuſer und Baͤume mit uns fortzugehen. Bewegt ſich das Auge geſchwind, und iſt man ſich der Bewegung nicht bewußt, ſo ſcheinen einem die ruhenden Koͤrper an den Seiten entgegenzukommen, wie auf einem Schiffe die Ufer u. ſ. w. Bisweilen kan eine Bewegung von ferne betrachtet, nach der entgegengeſetzten Richtung zu gehen ſcheinen, z. B. wenn man den vordern Fluͤgel einer Windmuͤhle fuͤr den hintern, die naͤhere Seite eines Kronleuchters, der ſich drehet, fuͤr die entferntere nimmt. Die Bilder heller Gegenſtaͤnde breiten ſich auf der Netzhaut aus. Darum ſieht an einer halb weißen, halb ſchwarzen Scheibe der weiße Theil von weitem groͤßer, als der ſchwarze aus; und am drey- oder viertaͤgigen Monde ſcheint die helle Sichel einem groͤßern Kreiſe zuzugehoͤren, als der von der Erde erleuchtete dunklere Theil. Hiebey koͤmmt

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/477>, abgerufen am 22.11.2024.