Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Man fühlt es sogleich, daß diese Erklärung viel zu einfach ist, um den Mechanismus eines so zusammengesetzten Werkzeugs mit einiger Vollständigkeit begreiflich zu machen. Um also der Sache etwas näher zu kommen, und zu erklären, wie die Verschiedenheit der Töne empfunden werden könne, nimmt man an, der zum Hammer gehörige Muskel spanne das Trommelfell jederzeit so stark, daß es mit dem entstandenen Tone harmonisch bebe; durch die Bewegung des Amboßes und Stegreifs werde auch vermittelst des an letzterm befindlichen Muskels das Häutchen am Ovalfenster gleich stark gespannt, und dadurch die Wirkung des Tons desto lebhafter ins Labyrinth übergebracht. Man stellt sich endlich die Fasern des häutigen Theils der Spiralscheidewand, welche von der Mitte gegen den Umfang laufen, und in den weiten Windungen länger, als in den engen sind, als gespannte Saiten von verschiedenen Längen vor, deren jede mit einem eignen Tone übereinstimmt, und nimmt an, daß durch jeden Klang die mit ihm harmonirenden Fasern erschüttert, und diese Schwingungen durch den Gehörnerven bis ins Gehirn fortgepflanzt werden. Diese Erklärung giebt Musschenbroek (Introd. in philos. nat. Vol. II. §. 2280. 2281.). Der künstliche Bau der vier kleinen Gehörknöchelchen scheint aber doch eine wichtigere Bestimmung anzuzeigen, als die ihnen hiebey zugeschriebene Spannung des Häutchens am Ovalfenfter ist. Vielleicht pflanzen sie selbst durch ihre Bewegung den Ton vom Trommelfell bis ins Labyrinth fort. Das zitternde Trommelfell erschüttert den Winkelhebel, den Hammer und Ambos bilden, und dadurch auch den Stegreif so, daß er sich um den einen Punkt seiner Grundfläche, wie um ein Charnier, schneil hin und wieder schwingt. Wäre nun das Labyrinth voll Luft, so
Man fuͤhlt es ſogleich, daß dieſe Erklaͤrung viel zu einfach iſt, um den Mechaniſmus eines ſo zuſammengeſetzten Werkzeugs mit einiger Vollſtaͤndigkeit begreiflich zu machen. Um alſo der Sache etwas naͤher zu kommen, und zu erklaͤren, wie die Verſchiedenheit der Toͤne empfunden werden koͤnne, nimmt man an, der zum Hammer gehoͤrige Muſkel ſpanne das Trommelfell jederzeit ſo ſtark, daß es mit dem entſtandenen Tone harmoniſch bebe; durch die Bewegung des Amboßes und Stegreifs werde auch vermittelſt des an letzterm befindlichen Muſkels das Haͤutchen am Ovalfenſter gleich ſtark geſpannt, und dadurch die Wirkung des Tons deſto lebhafter ins Labyrinth uͤbergebracht. Man ſtellt ſich endlich die Faſern des haͤutigen Theils der Spiralſcheidewand, welche von der Mitte gegen den Umfang laufen, und in den weiten Windungen laͤnger, als in den engen ſind, als geſpannte Saiten von verſchiedenen Laͤngen vor, deren jede mit einem eignen Tone uͤbereinſtimmt, und nimmt an, daß durch jeden Klang die mit ihm harmonirenden Faſern erſchuͤttert, und dieſe Schwingungen durch den Gehoͤrnerven bis ins Gehirn fortgepflanzt werden. Dieſe Erklaͤrung giebt Muſſchenbroek (Introd. in philoſ. nat. Vol. II. §. 2280. 2281.). Der kuͤnſtliche Bau der vier kleinen Gehoͤrknoͤchelchen ſcheint aber doch eine wichtigere Beſtimmung anzuzeigen, als die ihnen hiebey zugeſchriebene Spannung des Haͤutchens am Ovalfenfter iſt. Vielleicht pflanzen ſie ſelbſt durch ihre Bewegung den Ton vom Trommelfell bis ins Labyrinth fort. Das zitternde Trommelfell erſchuͤttert den Winkelhebel, den Hammer und Ambos bilden, und dadurch auch den Stegreif ſo, daß er ſich um den einen Punkt ſeiner Grundflaͤche, wie um ein Charnier, ſchneil hin und wieder ſchwingt. Waͤre nun das Labyrinth voll Luft, ſo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0455" xml:id="P.2.449" n="449"/><lb/> Dadurch wird die Luft in der Trommelhoͤhle und durch dieſe das Haͤutchen des runden Fenſters ebenfalls erſchuͤttert. Iſt alſo die Hoͤhle des Labyrinths gleichfalls mit Luft erfuͤllt, ſo wird auch dieſer die Erſchuͤtterung mitgetheilt; ſie wirkt alsdann auf den Gehoͤrnerven, und hiemit iſt die Empfindung des Schalls unmittelbar verbunden.</p> <p>Man fuͤhlt es ſogleich, daß dieſe Erklaͤrung viel zu einfach iſt, um den Mechaniſmus eines ſo zuſammengeſetzten Werkzeugs mit einiger Vollſtaͤndigkeit begreiflich zu machen. Um alſo der Sache etwas naͤher zu kommen, und zu erklaͤren, wie die Verſchiedenheit der Toͤne empfunden werden koͤnne, nimmt man an, der zum Hammer gehoͤrige Muſkel ſpanne das Trommelfell jederzeit ſo ſtark, daß es mit dem entſtandenen Tone harmoniſch bebe; durch die Bewegung des Amboßes und Stegreifs werde auch vermittelſt des an letzterm befindlichen Muſkels das Haͤutchen am Ovalfenſter gleich ſtark geſpannt, und dadurch die Wirkung des Tons deſto lebhafter ins Labyrinth uͤbergebracht. Man ſtellt ſich endlich die Faſern des haͤutigen Theils der Spiralſcheidewand, welche von der Mitte gegen den Umfang laufen, und in den weiten Windungen laͤnger, als in den engen ſind, als geſpannte Saiten von verſchiedenen Laͤngen vor, deren jede mit einem eignen Tone uͤbereinſtimmt, und nimmt an, daß durch jeden Klang die mit ihm harmonirenden Faſern erſchuͤttert, und dieſe Schwingungen durch den Gehoͤrnerven bis ins Gehirn fortgepflanzt werden. Dieſe Erklaͤrung giebt <hi rendition="#b">Muſſchenbroek</hi> <hi rendition="#aq">(Introd. in philoſ. nat. Vol. II. §. 2280. 2281.).</hi></p> <p>Der kuͤnſtliche Bau der vier kleinen Gehoͤrknoͤchelchen ſcheint aber doch eine wichtigere Beſtimmung anzuzeigen, als die ihnen hiebey zugeſchriebene Spannung des Haͤutchens am Ovalfenfter iſt. Vielleicht pflanzen ſie ſelbſt durch ihre Bewegung den Ton vom Trommelfell bis ins Labyrinth fort. Das zitternde Trommelfell erſchuͤttert den Winkelhebel, den Hammer und Ambos bilden, und dadurch auch den Stegreif ſo, daß er ſich um den einen Punkt ſeiner Grundflaͤche, wie um ein Charnier, ſchneil hin und wieder ſchwingt. Waͤre nun das Labyrinth voll Luft, ſo<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [449/0455]
Dadurch wird die Luft in der Trommelhoͤhle und durch dieſe das Haͤutchen des runden Fenſters ebenfalls erſchuͤttert. Iſt alſo die Hoͤhle des Labyrinths gleichfalls mit Luft erfuͤllt, ſo wird auch dieſer die Erſchuͤtterung mitgetheilt; ſie wirkt alsdann auf den Gehoͤrnerven, und hiemit iſt die Empfindung des Schalls unmittelbar verbunden.
Man fuͤhlt es ſogleich, daß dieſe Erklaͤrung viel zu einfach iſt, um den Mechaniſmus eines ſo zuſammengeſetzten Werkzeugs mit einiger Vollſtaͤndigkeit begreiflich zu machen. Um alſo der Sache etwas naͤher zu kommen, und zu erklaͤren, wie die Verſchiedenheit der Toͤne empfunden werden koͤnne, nimmt man an, der zum Hammer gehoͤrige Muſkel ſpanne das Trommelfell jederzeit ſo ſtark, daß es mit dem entſtandenen Tone harmoniſch bebe; durch die Bewegung des Amboßes und Stegreifs werde auch vermittelſt des an letzterm befindlichen Muſkels das Haͤutchen am Ovalfenſter gleich ſtark geſpannt, und dadurch die Wirkung des Tons deſto lebhafter ins Labyrinth uͤbergebracht. Man ſtellt ſich endlich die Faſern des haͤutigen Theils der Spiralſcheidewand, welche von der Mitte gegen den Umfang laufen, und in den weiten Windungen laͤnger, als in den engen ſind, als geſpannte Saiten von verſchiedenen Laͤngen vor, deren jede mit einem eignen Tone uͤbereinſtimmt, und nimmt an, daß durch jeden Klang die mit ihm harmonirenden Faſern erſchuͤttert, und dieſe Schwingungen durch den Gehoͤrnerven bis ins Gehirn fortgepflanzt werden. Dieſe Erklaͤrung giebt Muſſchenbroek (Introd. in philoſ. nat. Vol. II. §. 2280. 2281.).
Der kuͤnſtliche Bau der vier kleinen Gehoͤrknoͤchelchen ſcheint aber doch eine wichtigere Beſtimmung anzuzeigen, als die ihnen hiebey zugeſchriebene Spannung des Haͤutchens am Ovalfenfter iſt. Vielleicht pflanzen ſie ſelbſt durch ihre Bewegung den Ton vom Trommelfell bis ins Labyrinth fort. Das zitternde Trommelfell erſchuͤttert den Winkelhebel, den Hammer und Ambos bilden, und dadurch auch den Stegreif ſo, daß er ſich um den einen Punkt ſeiner Grundflaͤche, wie um ein Charnier, ſchneil hin und wieder ſchwingt. Waͤre nun das Labyrinth voll Luft, ſo
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