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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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Gehörig verstanden ist dieser Grundsatz sehr einleuchtend, und wird in der Lehre vom Druck und Stoß mit Nutzen gebraucht. Weil aber der Ausdruck: Gegenwirkung nicht ganz bequem ist, um eine bloße Veränderung durch Wirken zu bezeichnen, so hat dies zu falschen Anwendungen Anlaß gegeben. Manche Naturforscher legen dem leidenden Körper zu viel bey. Hamberger (Elem. physices mathem. Jenae, 1735. 8. §. 36.) behauptet, die Gegenwirkung, oder, wie er es nennt, der Widerstand sey eine Kraft, etwas wirklich entgegenziehendes oder stoßendes. Dies liegt nicht in dem Begriffe von Wirkung allein, aus dem man doch den newtonischen Satz lediglich herzuleiten hat, wenn er als Axiom angesehen werden soll. Ist so etwas wirklich vorhanden, so muß es aus besondern Erfahrungen bewiesen werden. Dergleichen Erfahrungen hat zwar Hamberger beygebracht, aber sie erweisen nicht, was sie sollen, und sind sämmtlich aus der Langsamkeit zu erklären, womit sich die Bewegung mittheilt. Z. B. Man legt ein Schrotkügelchen nahe an den Rand eines Tellers, und stößt an den gegenüberstehenden Rand, so scheint sich das Kügelchen dem Stoße entgegen zu bewegen. Eigentlich: bewegt sich der Teller, kan aber diese Bewegung dem Kügelchen nicht gleich mittheilen; also ruht dieses, der Teller geht darunter weg, und die Bewegung des Kügelchens, welche eine Gegenwirkung beweisen sollte, ist gar nicht vorhanden. Oder: Man hängt einen Tabakspfeifenstiel BC Taf. X. Fig. 38. senkrecht auf, und stellt unten an denselben ein Gläschen IF so, daß es ihn bey C berührt. Schlägt man nun sehr geschwind nach der Richtung AE an den Pfeifenstiel, daß er zerbricht, so wird das Gläschen nach der Richtung IG umgeworfen. Dies soll eine zurückwirkende Kraft des geschlagnen Körpers erweisen; allein, was hier vorgeht, ist folgendes. Der Schlag theilt dem abgebrochenen Ende E eine große Geschwindigkeit nach ED mit, die sich nicht gleich durch das ganze Stück EC verbreiten kan. Daher bleibt der Schwerpunkt des Stücks, oder K in Ruhe, und EC dreht sich um K in die Lage DH, wobey der Punkt C den Weg CH nehmen, und


Gehoͤrig verſtanden iſt dieſer Grundſatz ſehr einleuchtend, und wird in der Lehre vom Druck und Stoß mit Nutzen gebraucht. Weil aber der Ausdruck: Gegenwirkung nicht ganz bequem iſt, um eine bloße Veraͤnderung durch Wirken zu bezeichnen, ſo hat dies zu falſchen Anwendungen Anlaß gegeben. Manche Naturforſcher legen dem leidenden Koͤrper zu viel bey. Hamberger (Elem. phyſices mathem. Jenae, 1735. 8. §. 36.) behauptet, die Gegenwirkung, oder, wie er es nennt, der Widerſtand ſey eine Kraft, etwas wirklich entgegenziehendes oder ſtoßendes. Dies liegt nicht in dem Begriffe von Wirkung allein, aus dem man doch den newtoniſchen Satz lediglich herzuleiten hat, wenn er als Axiom angeſehen werden ſoll. Iſt ſo etwas wirklich vorhanden, ſo muß es aus beſondern Erfahrungen bewieſen werden. Dergleichen Erfahrungen hat zwar Hamberger beygebracht, aber ſie erweiſen nicht, was ſie ſollen, und ſind ſaͤmmtlich aus der Langſamkeit zu erklaͤren, womit ſich die Bewegung mittheilt. Z. B. Man legt ein Schrotkuͤgelchen nahe an den Rand eines Tellers, und ſtoͤßt an den gegenuͤberſtehenden Rand, ſo ſcheint ſich das Kuͤgelchen dem Stoße entgegen zu bewegen. Eigentlich: bewegt ſich der Teller, kan aber dieſe Bewegung dem Kuͤgelchen nicht gleich mittheilen; alſo ruht dieſes, der Teller geht darunter weg, und die Bewegung des Kuͤgelchens, welche eine Gegenwirkung beweiſen ſollte, iſt gar nicht vorhanden. Oder: Man haͤngt einen Tabakspfeifenſtiel BC Taf. X. Fig. 38. ſenkrecht auf, und ſtellt unten an denſelben ein Glaͤschen IF ſo, daß es ihn bey C beruͤhrt. Schlaͤgt man nun ſehr geſchwind nach der Richtung AE an den Pfeifenſtiel, daß er zerbricht, ſo wird das Glaͤschen nach der Richtung IG umgeworfen. Dies ſoll eine zuruͤckwirkende Kraft des geſchlagnen Koͤrpers erweiſen; allein, was hier vorgeht, iſt folgendes. Der Schlag theilt dem abgebrochenen Ende E eine große Geſchwindigkeit nach ED mit, die ſich nicht gleich durch das ganze Stuͤck EC verbreiten kan. Daher bleibt der Schwerpunkt des Stuͤcks, oder K in Ruhe, und EC dreht ſich um K in die Lage DH, wobey der Punkt C den Weg CH nehmen, und

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[443/0449] Gehoͤrig verſtanden iſt dieſer Grundſatz ſehr einleuchtend, und wird in der Lehre vom Druck und Stoß mit Nutzen gebraucht. Weil aber der Ausdruck: Gegenwirkung nicht ganz bequem iſt, um eine bloße Veraͤnderung durch Wirken zu bezeichnen, ſo hat dies zu falſchen Anwendungen Anlaß gegeben. Manche Naturforſcher legen dem leidenden Koͤrper zu viel bey. Hamberger (Elem. phyſices mathem. Jenae, 1735. 8. §. 36.) behauptet, die Gegenwirkung, oder, wie er es nennt, der Widerſtand ſey eine Kraft, etwas wirklich entgegenziehendes oder ſtoßendes. Dies liegt nicht in dem Begriffe von Wirkung allein, aus dem man doch den newtoniſchen Satz lediglich herzuleiten hat, wenn er als Axiom angeſehen werden ſoll. Iſt ſo etwas wirklich vorhanden, ſo muß es aus beſondern Erfahrungen bewieſen werden. Dergleichen Erfahrungen hat zwar Hamberger beygebracht, aber ſie erweiſen nicht, was ſie ſollen, und ſind ſaͤmmtlich aus der Langſamkeit zu erklaͤren, womit ſich die Bewegung mittheilt. Z. B. Man legt ein Schrotkuͤgelchen nahe an den Rand eines Tellers, und ſtoͤßt an den gegenuͤberſtehenden Rand, ſo ſcheint ſich das Kuͤgelchen dem Stoße entgegen zu bewegen. Eigentlich: bewegt ſich der Teller, kan aber dieſe Bewegung dem Kuͤgelchen nicht gleich mittheilen; alſo ruht dieſes, der Teller geht darunter weg, und die Bewegung des Kuͤgelchens, welche eine Gegenwirkung beweiſen ſollte, iſt gar nicht vorhanden. Oder: Man haͤngt einen Tabakspfeifenſtiel BC Taf. X. Fig. 38. ſenkrecht auf, und ſtellt unten an denſelben ein Glaͤschen IF ſo, daß es ihn bey C beruͤhrt. Schlaͤgt man nun ſehr geſchwind nach der Richtung AE an den Pfeifenſtiel, daß er zerbricht, ſo wird das Glaͤschen nach der Richtung IG umgeworfen. Dies ſoll eine zuruͤckwirkende Kraft des geſchlagnen Koͤrpers erweiſen; allein, was hier vorgeht, iſt folgendes. Der Schlag theilt dem abgebrochenen Ende E eine große Geſchwindigkeit nach ED mit, die ſich nicht gleich durch das ganze Stuͤck EC verbreiten kan. Daher bleibt der Schwerpunkt des Stuͤcks, oder K in Ruhe, und EC dreht ſich um K in die Lage DH, wobey der Punkt C den Weg CH nehmen, und

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/449>, abgerufen am 22.11.2024.