Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Man unterscheidet drey Arten oder vielmehr Stufen dieser Veränderung, die Weingahrüng, Essiggährung und Fäulniß, oder die geistige (spirituosa, vinosa), saure (acetosa) und faule Gährung (putredinosa). Aus der ersten erhält man einen Wein, und aus diesem einen entzündlichen mit Wasser mischbaren Geist, den Weingeist; aus der zweyten eine Säure, einen Essig; die dritte zersetzt die Körper völlig, und giebt ein flüchtiges Laugensalz, s. Fäulniß.

Viele, besonders vegetabilische Substanzen, gehen allmählig durch alle diese Stufen, andere neigen sich gleich vom Anfang zur sauren Gährung, noch andere, besonders die thierischen, sogleich zur Fäulniß. Eine Substanz, welche schon durch eine höhere Stufe gegangen ist, kan nicht wieder zur ni<*>drigen zurückkehren. Diejenigen aber, welche der geistigen Gährung fähig sind, können zur Fäulniß nicht anders, als durch die beyden ersten Stufen kommen. Stahl (Zymotechnia sundamentalis, Halae, 1697. 8. Stahls allgemeine Grunderkenntniß der Gährungskunst. Frf. u. Leipz. 1734. 8.) hat zuerst wahrgenommen, daß diese drey Veränderungen nicht, wie man vordem glaubte, besondere Operationen, sondern Stufen eines und eben desselben Ueberganges sind.

Schon beym Leben der Pflanzen und Thiere gehen beym Keimen und Wachsthum der ersten, und bey den Bereitungen der Säfte in den letzern, gährungsartige, obgleich schwache, Bewegungen vor. Nach Endigung des Lebens aber durchlaufen alle dieser Veränderungen fähige Substanzen aus dem Pflanzen und Thierreiche die ihnen zukommenden Stufen, daß also die Gährung in ihrem ganzen Umfange genommen nicht anders, als der Uebergang zur Fäulniß ist.

Man hemmt und unterdrückt die Gährung durch Kälte, durch Abhaltung der Luft und des Wassers, und durch Vermischung mit Materien, die sich mit den Bestandtheilen der Körper vereinigen können, und doch der Gährung unfähig sind, z. B. mit Weingeist, Säuren und Mittelsalzen. Kein Traubenfaß gährt, und kein Fleisch fault in


Man unterſcheidet drey Arten oder vielmehr Stufen dieſer Veraͤnderung, die Weingahruͤng, Eſſiggaͤhrung und Faͤulniß, oder die geiſtige (ſpirituoſa, vinoſa), ſaure (acetoſa) und faule Gaͤhrung (putredinoſa). Aus der erſten erhaͤlt man einen Wein, und aus dieſem einen entzuͤndlichen mit Waſſer miſchbaren Geiſt, den Weingeiſt; aus der zweyten eine Saͤure, einen Eſſig; die dritte zerſetzt die Koͤrper voͤllig, und giebt ein fluͤchtiges Laugenſalz, ſ. Faͤulniß.

Viele, beſonders vegetabiliſche Subſtanzen, gehen allmaͤhlig durch alle dieſe Stufen, andere neigen ſich gleich vom Anfang zur ſauren Gaͤhrung, noch andere, beſonders die thieriſchen, ſogleich zur Faͤulniß. Eine Subſtanz, welche ſchon durch eine hoͤhere Stufe gegangen iſt, kan nicht wieder zur ni<*>drigen zuruͤckkehren. Diejenigen aber, welche der geiſtigen Gaͤhrung faͤhig ſind, koͤnnen zur Faͤulniß nicht anders, als durch die beyden erſten Stufen kommen. Stahl (Zymotechnia ſundamentalis, Halae, 1697. 8. Stahls allgemeine Grunderkenntniß der Gaͤhrungskunſt. Frf. u. Leipz. 1734. 8.) hat zuerſt wahrgenommen, daß dieſe drey Veraͤnderungen nicht, wie man vordem glaubte, beſondere Operationen, ſondern Stufen eines und eben deſſelben Ueberganges ſind.

Schon beym Leben der Pflanzen und Thiere gehen beym Keimen und Wachsthum der erſten, und bey den Bereitungen der Saͤfte in den letzern, gaͤhrungsartige, obgleich ſchwache, Bewegungen vor. Nach Endigung des Lebens aber durchlaufen alle dieſer Veraͤnderungen faͤhige Subſtanzen aus dem Pflanzen und Thierreiche die ihnen zukommenden Stufen, daß alſo die Gaͤhrung in ihrem ganzen Umfange genommen nicht anders, als der Uebergang zur Faͤulniß iſt.

Man hemmt und unterdruͤckt die Gaͤhrung durch Kaͤlte, durch Abhaltung der Luft und des Waſſers, und durch Vermiſchung mit Materien, die ſich mit den Beſtandtheilen der Koͤrper vereinigen koͤnnen, und doch der Gaͤhrung unfaͤhig ſind, z. B. mit Weingeiſt, Saͤuren und Mittelſalzen. Kein Traubenfaß gaͤhrt, und kein Fleiſch fault in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p>
              <pb facs="#f0349" xml:id="P.2.343" n="343"/><lb/>
            </p>
            <p>Man unter&#x017F;cheidet drey Arten oder vielmehr Stufen die&#x017F;er Vera&#x0364;nderung, die <hi rendition="#b">Weingahru&#x0364;ng, E&#x017F;&#x017F;igga&#x0364;hrung</hi> und <hi rendition="#b">Fa&#x0364;ulniß,</hi> oder die <hi rendition="#b">gei&#x017F;tige</hi> <hi rendition="#aq">(&#x017F;pirituo&#x017F;a, vino&#x017F;a),</hi> <hi rendition="#b">&#x017F;aure</hi> <hi rendition="#aq">(aceto&#x017F;a)</hi> und <hi rendition="#b">faule Ga&#x0364;hrung</hi> <hi rendition="#aq">(putredino&#x017F;a).</hi> Aus der er&#x017F;ten erha&#x0364;lt man einen Wein, und aus die&#x017F;em einen entzu&#x0364;ndlichen mit Wa&#x017F;&#x017F;er mi&#x017F;chbaren Gei&#x017F;t, den <hi rendition="#b">Weingei&#x017F;t;</hi> aus der zweyten eine Sa&#x0364;ure, einen E&#x017F;&#x017F;ig; die dritte zer&#x017F;etzt die Ko&#x0364;rper vo&#x0364;llig, und giebt ein flu&#x0364;chtiges Laugen&#x017F;alz, <hi rendition="#b">&#x017F;. Fa&#x0364;ulniß.</hi></p>
            <p>Viele, be&#x017F;onders vegetabili&#x017F;che Sub&#x017F;tanzen, gehen allma&#x0364;hlig durch alle die&#x017F;e Stufen, andere neigen &#x017F;ich gleich vom Anfang zur &#x017F;auren Ga&#x0364;hrung, noch andere, be&#x017F;onders die thieri&#x017F;chen, &#x017F;ogleich zur Fa&#x0364;ulniß. Eine Sub&#x017F;tanz, welche &#x017F;chon durch eine ho&#x0364;here Stufe gegangen i&#x017F;t, kan nicht wieder zur ni&lt;*&gt;drigen zuru&#x0364;ckkehren. Diejenigen aber, welche der gei&#x017F;tigen Ga&#x0364;hrung fa&#x0364;hig &#x017F;ind, ko&#x0364;nnen zur Fa&#x0364;ulniß nicht anders, als durch die beyden er&#x017F;ten Stufen kommen. <hi rendition="#b">Stahl</hi> <hi rendition="#aq">(Zymotechnia &#x017F;undamentalis, Halae, 1697. 8.</hi> <hi rendition="#b">Stahls</hi> allgemeine Grunderkenntniß der Ga&#x0364;hrungskun&#x017F;t. Frf. u. Leipz. 1734. 8.) hat zuer&#x017F;t wahrgenommen, daß die&#x017F;e drey Vera&#x0364;nderungen nicht, wie man vordem glaubte, be&#x017F;ondere Operationen, &#x017F;ondern Stufen eines und eben de&#x017F;&#x017F;elben Ueberganges &#x017F;ind.</p>
            <p>Schon beym Leben der Pflanzen und Thiere gehen beym Keimen und Wachsthum der er&#x017F;ten, und bey den Bereitungen der Sa&#x0364;fte in den letzern, ga&#x0364;hrungsartige, obgleich &#x017F;chwache, Bewegungen vor. Nach Endigung des Lebens aber durchlaufen alle die&#x017F;er Vera&#x0364;nderungen fa&#x0364;hige Sub&#x017F;tanzen aus dem Pflanzen und Thierreiche die ihnen zukommenden Stufen, daß al&#x017F;o die Ga&#x0364;hrung in ihrem ganzen Umfange genommen nicht anders, als der Uebergang zur Fa&#x0364;ulniß i&#x017F;t.</p>
            <p>Man hemmt und unterdru&#x0364;ckt die Ga&#x0364;hrung durch Ka&#x0364;lte, durch Abhaltung der Luft und des Wa&#x017F;&#x017F;ers, und durch Vermi&#x017F;chung mit Materien, die &#x017F;ich mit den Be&#x017F;tandtheilen der Ko&#x0364;rper vereinigen ko&#x0364;nnen, und doch der Ga&#x0364;hrung unfa&#x0364;hig &#x017F;ind, z. B. mit Weingei&#x017F;t, Sa&#x0364;uren und Mittel&#x017F;alzen. Kein Traubenfaß ga&#x0364;hrt, und kein Flei&#x017F;ch fault in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0349] Man unterſcheidet drey Arten oder vielmehr Stufen dieſer Veraͤnderung, die Weingahruͤng, Eſſiggaͤhrung und Faͤulniß, oder die geiſtige (ſpirituoſa, vinoſa), ſaure (acetoſa) und faule Gaͤhrung (putredinoſa). Aus der erſten erhaͤlt man einen Wein, und aus dieſem einen entzuͤndlichen mit Waſſer miſchbaren Geiſt, den Weingeiſt; aus der zweyten eine Saͤure, einen Eſſig; die dritte zerſetzt die Koͤrper voͤllig, und giebt ein fluͤchtiges Laugenſalz, ſ. Faͤulniß. Viele, beſonders vegetabiliſche Subſtanzen, gehen allmaͤhlig durch alle dieſe Stufen, andere neigen ſich gleich vom Anfang zur ſauren Gaͤhrung, noch andere, beſonders die thieriſchen, ſogleich zur Faͤulniß. Eine Subſtanz, welche ſchon durch eine hoͤhere Stufe gegangen iſt, kan nicht wieder zur ni<*>drigen zuruͤckkehren. Diejenigen aber, welche der geiſtigen Gaͤhrung faͤhig ſind, koͤnnen zur Faͤulniß nicht anders, als durch die beyden erſten Stufen kommen. Stahl (Zymotechnia ſundamentalis, Halae, 1697. 8. Stahls allgemeine Grunderkenntniß der Gaͤhrungskunſt. Frf. u. Leipz. 1734. 8.) hat zuerſt wahrgenommen, daß dieſe drey Veraͤnderungen nicht, wie man vordem glaubte, beſondere Operationen, ſondern Stufen eines und eben deſſelben Ueberganges ſind. Schon beym Leben der Pflanzen und Thiere gehen beym Keimen und Wachsthum der erſten, und bey den Bereitungen der Saͤfte in den letzern, gaͤhrungsartige, obgleich ſchwache, Bewegungen vor. Nach Endigung des Lebens aber durchlaufen alle dieſer Veraͤnderungen faͤhige Subſtanzen aus dem Pflanzen und Thierreiche die ihnen zukommenden Stufen, daß alſo die Gaͤhrung in ihrem ganzen Umfange genommen nicht anders, als der Uebergang zur Faͤulniß iſt. Man hemmt und unterdruͤckt die Gaͤhrung durch Kaͤlte, durch Abhaltung der Luft und des Waſſers, und durch Vermiſchung mit Materien, die ſich mit den Beſtandtheilen der Koͤrper vereinigen koͤnnen, und doch der Gaͤhrung unfaͤhig ſind, z. B. mit Weingeiſt, Saͤuren und Mittelſalzen. Kein Traubenfaß gaͤhrt, und kein Fleiſch fault in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/349
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/349>, abgerufen am 22.11.2024.