"Größe; denn Gestalt, Farbe, Helligkeit und Deutlich"keit bleiben in den meisten Fällen fast einerley." Nach dieser Theorie müßte die scheinbare Entfernung in eben dem Verhältnisse zunehmen, in welchem die scheinbare Größe abnimmt, und umgekehrt.
Es ist aber eine ganz falsche Behauptung, daß man von der Entfernung der Dinge blos nach dem Sehewinkel urtheile. Sie widerspricht der Erfahrung in den gemeinsten Fällen. Wenn das Auge etwas durch ein Mikroskop betrachtet, wobey der Sehewinkel ungemein vergrößert wird, so sollte nach dieser Theorie die Entfernung der Sache vom Auge in eben dem Maaße verkleinert scheinen, welches doch gar nicht geschieht. Es ist auch bekannt, daß durch ein Hohlglas alles kleiner und zugleich näher erscheint, als dem bloßen Auge: statt daß nach Smith aus der Verkleinerung ein größerer scheinbarer Abstand erfolgen sollte. Wenn man ein auf beyden Seiten erhabnes Glas so gegen eine Lichtflamme hält, daß diese sich darinn spiegelt, so erblickt man zwo Bilder, ein aufrechtes, das von der Vorderfläche des Glases zurückgeworfen wird, und ein umgekehrtes von der Hinterfläche. Wird das Glas ein wenig vom Lichte entfernt, so wird das umgekehrte Bild kleiner, als das andere, werden aber dennoch näher scheinen, welches offenbar gegen Smiths Behauptung streitet.
Vielmehr verbinden sich bey dem Urtheile über die Entfernungen mehrere Umstände mit einander. De la Hire (Accidens de la vue, in den Mem. de Paris 1694.) hat dies schon bemerkt, und fünf Stücke angegeben, auf welche dieses Urtheil sich gründe, die scheinbare Größe, die Helligkeit der Farbe, die Richtung beyder Augenaxen, die Parallaxe oder veränderte Lage der Gegenstände bey bewegtem Auge, und die Deutlichkeit der kleinen Theile. Die Maler, sagt er, haben nur die beyden ersten Stükken in ihrer Gewalt, bey den Theaterverzierungen aber, wo Theile des Gemäldes wirklich in verschiedene Entfernungen vom Auge gestellt werden, können sie sich die vier ersten zu Nutze machen. Daher ist die Täuschung bey dergleichen Decorationen sehr lebhaft.
”Groͤße; denn Geſtalt, Farbe, Helligkeit und Deutlich”keit bleiben in den meiſten Faͤllen faſt einerley.“ Nach dieſer Theorie muͤßte die ſcheinbare Entfernung in eben dem Verhaͤltniſſe zunehmen, in welchem die ſcheinbare Groͤße abnimmt, und umgekehrt.
Es iſt aber eine ganz falſche Behauptung, daß man von der Entfernung der Dinge blos nach dem Sehewinkel urtheile. Sie widerſpricht der Erfahrung in den gemeinſten Faͤllen. Wenn das Auge etwas durch ein Mikroſkop betrachtet, wobey der Sehewinkel ungemein vergroͤßert wird, ſo ſollte nach dieſer Theorie die Entfernung der Sache vom Auge in eben dem Maaße verkleinert ſcheinen, welches doch gar nicht geſchieht. Es iſt auch bekannt, daß durch ein Hohlglas alles kleiner und zugleich naͤher erſcheint, als dem bloßen Auge: ſtatt daß nach Smith aus der Verkleinerung ein groͤßerer ſcheinbarer Abſtand erfolgen ſollte. Wenn man ein auf beyden Seiten erhabnes Glas ſo gegen eine Lichtflamme haͤlt, daß dieſe ſich darinn ſpiegelt, ſo erblickt man zwo Bilder, ein aufrechtes, das von der Vorderflaͤche des Glaſes zuruͤckgeworfen wird, und ein umgekehrtes von der Hinterflaͤche. Wird das Glas ein wenig vom Lichte entfernt, ſo wird das umgekehrte Bild kleiner, als das andere, werden aber dennoch naͤher ſcheinen, welches offenbar gegen Smiths Behauptung ſtreitet.
Vielmehr verbinden ſich bey dem Urtheile uͤber die Entfernungen mehrere Umſtaͤnde mit einander. De la Hire (Accidens de la vue, in den Mém. de Paris 1694.) hat dies ſchon bemerkt, und fuͤnf Stuͤcke angegeben, auf welche dieſes Urtheil ſich gruͤnde, die ſcheinbare Groͤße, die Helligkeit der Farbe, die Richtung beyder Augenaxen, die Parallaxe oder veraͤnderte Lage der Gegenſtaͤnde bey bewegtem Auge, und die Deutlichkeit der kleinen Theile. Die Maler, ſagt er, haben nur die beyden erſten Stuͤkken in ihrer Gewalt, bey den Theaterverzierungen aber, wo Theile des Gemaͤldes wirklich in verſchiedene Entfernungen vom Auge geſtellt werden, koͤnnen ſie ſich die vier erſten zu Nutze machen. Daher iſt die Taͤuſchung bey dergleichen Decorationen ſehr lebhaft.
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”Groͤße; denn Geſtalt, Farbe, Helligkeit und Deutlich”keit bleiben in den meiſten Faͤllen faſt einerley.“ Nach dieſer Theorie muͤßte die ſcheinbare Entfernung in eben dem Verhaͤltniſſe zunehmen, in welchem die ſcheinbare Groͤße abnimmt, und umgekehrt.
Es iſt aber eine ganz falſche Behauptung, daß man von der Entfernung der Dinge blos nach dem Sehewinkel urtheile. Sie widerſpricht der Erfahrung in den gemeinſten Faͤllen. Wenn das Auge etwas durch ein Mikroſkop betrachtet, wobey der Sehewinkel ungemein vergroͤßert wird, ſo ſollte nach dieſer Theorie die Entfernung der Sache vom Auge in eben dem Maaße verkleinert ſcheinen, welches doch gar nicht geſchieht. Es iſt auch bekannt, daß durch ein Hohlglas alles kleiner und zugleich naͤher erſcheint, als dem bloßen Auge: ſtatt daß nach Smith aus der Verkleinerung ein groͤßerer ſcheinbarer Abſtand erfolgen ſollte. Wenn man ein auf beyden Seiten erhabnes Glas ſo gegen eine Lichtflamme haͤlt, daß dieſe ſich darinn ſpiegelt, ſo erblickt man zwo Bilder, ein aufrechtes, das von der Vorderflaͤche des Glaſes zuruͤckgeworfen wird, und ein umgekehrtes von der Hinterflaͤche. Wird das Glas ein wenig vom Lichte entfernt, ſo wird das umgekehrte Bild kleiner, als das andere, werden aber dennoch naͤher ſcheinen, welches offenbar gegen Smiths Behauptung ſtreitet.
Vielmehr verbinden ſich bey dem Urtheile uͤber die Entfernungen mehrere Umſtaͤnde mit einander. De la Hire (Accidens de la vue, in den Mém. de Paris 1694.) hat dies ſchon bemerkt, und fuͤnf Stuͤcke angegeben, auf welche dieſes Urtheil ſich gruͤnde, die ſcheinbare Groͤße, die Helligkeit der Farbe, die Richtung beyder Augenaxen, die Parallaxe oder veraͤnderte Lage der Gegenſtaͤnde bey bewegtem Auge, und die Deutlichkeit der kleinen Theile. Die Maler, ſagt er, haben nur die beyden erſten Stuͤkken in ihrer Gewalt, bey den Theaterverzierungen aber, wo Theile des Gemaͤldes wirklich in verſchiedene Entfernungen vom Auge geſtellt werden, koͤnnen ſie ſich die vier erſten zu Nutze machen. Daher iſt die Taͤuſchung bey dergleichen Decorationen ſehr lebhaft.
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 844. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/858>, abgerufen am 16.02.2025.
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