Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.
Die stehenden Gewässer gefrieren eher, als die fliessenden; auch gefriert jeder Fluß an den Ufern früher, als in der Mitte, wo der Strom am schnellsten ist. Dennoch scheint eine vollkommene Ruhe des Wassers und der dasselbe berührenden Körper eine ganz entgegengesetzte Wirkung zu thun, und das Gefrieren zu verhindern, wenn gleich das Wasser weit kälter ist, als sonst zum Gefrieren desselben erfordert wird. Fahrenheit (Phil. Trans. 1724. no. 382.) hat dies zuerst bemerkt. Er setzte eine zur Hälfte mit Wasser gefüllte, übrigens luftleere Kugel am 2 März 1721 einer Kälte aus, welche nach seinem Thermometer 15 Grad (d. i. nach Reaumur 7 Grad unter dem Eispunkte) betrug, und fand es noch am andern Morgen flüßig, obgleich die Kälte auf einerley Grade geblieben war. Er brach nun die Spitze ab, in welche die Kugel beym Zuschmelzen ausgezogen war, und sahe das Wasser augenblicklich mit kleinen Eissplittern vermischt, woraus er anfänglich schloß, der Mangel der Luft habe das Gefrieren verhindert. Bey wiederholten Versuchen aber lehrte ihn ein Zufall, daß vielmehr die Ruhe das Gefrieren hindere, und eine kleine Bewegung hinreichend sey, ein so stark erkältetes Wasser in Eis zu verwandlen. Er stieß mit dem Fuße an, als er eine solche Kugel in der Hand trug, und sogleich war das ganze Wasser mit Eissplittern vermischt. "Hoc casu fortuito, sagt er, edocebar, gla"ciem in aqua satis frigida agitatione produci posse, "simulque judicii errorem agnoscebam, quod nem"pe absentiae aeris fluiditatem aquae attribuissem." Er bemerkt, es seyen diese Eissplitter eine Zeitlang mit dem
Die ſtehenden Gewaͤſſer gefrieren eher, als die flieſſenden; auch gefriert jeder Fluß an den Ufern fruͤher, als in der Mitte, wo der Strom am ſchnellſten iſt. Dennoch ſcheint eine vollkommene Ruhe des Waſſers und der daſſelbe beruͤhrenden Koͤrper eine ganz entgegengeſetzte Wirkung zu thun, und das Gefrieren zu verhindern, wenn gleich das Waſſer weit kaͤlter iſt, als ſonſt zum Gefrieren deſſelben erfordert wird. Fahrenheit (Phil. Trans. 1724. no. 382.) hat dies zuerſt bemerkt. Er ſetzte eine zur Haͤlfte mit Waſſer gefuͤllte, uͤbrigens luftleere Kugel am 2 Maͤrz 1721 einer Kaͤlte aus, welche nach ſeinem Thermometer 15 Grad (d. i. nach Reaumur 7 Grad unter dem Eispunkte) betrug, und fand es noch am andern Morgen fluͤßig, obgleich die Kaͤlte auf einerley Grade geblieben war. Er brach nun die Spitze ab, in welche die Kugel beym Zuſchmelzen ausgezogen war, und ſahe das Waſſer augenblicklich mit kleinen Eisſplittern vermiſcht, woraus er anfaͤnglich ſchloß, der Mangel der Luft habe das Gefrieren verhindert. Bey wiederholten Verſuchen aber lehrte ihn ein Zufall, daß vielmehr die Ruhe das Gefrieren hindere, und eine kleine Bewegung hinreichend ſey, ein ſo ſtark erkaͤltetes Waſſer in Eis zu verwandlen. Er ſtieß mit dem Fuße an, als er eine ſolche Kugel in der Hand trug, und ſogleich war das ganze Waſſer mit Eisſplittern vermiſcht. ”Hoc caſu fortuito, ſagt er, edocebar, gla”ciem in aqua ſatis frigida agitatione produci poſſe, ”ſimulque judicii errorem agnoſcebam, quod nem”pe abſentiae aëris fluiditatem aquae attribuiſſem.“ Er bemerkt, es ſeyen dieſe Eisſplitter eine Zeitlang mit dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0691" xml:id="P.1.677" n="677"/><lb/> natuͤrlich, daß das Waſſer an der Oberflaͤche, wo es die kaͤltere Luft beruͤhrt, am erſten ſeine Waͤrme verlieren und ſich in Eis verwandlen muß, und die an ſolchen Eisſchollen befindlichen Spuren von Erde und Sand zeigen nicht Entſtehung am Boden, ſondern am Ufer an. <hi rendition="#b">Nollet</hi> <hi rendition="#aq">(Hiſt. de l' acad. roy. des ſc. 1743.)</hi> hat ſich die Muͤhe gegeben, dies ſehr genau zu unterſuchen, weil <hi rendition="#b">Hales</hi> in ſeiner Statik der Gewaͤchſe dem gemeinen Vorurtheile gefolgt war.</p> <p>Die ſtehenden Gewaͤſſer gefrieren eher, als die flieſſenden; auch gefriert jeder Fluß an den Ufern fruͤher, als in der Mitte, wo der Strom am ſchnellſten iſt.</p> <p>Dennoch ſcheint eine vollkommene Ruhe des Waſſers und der daſſelbe beruͤhrenden Koͤrper eine ganz entgegengeſetzte Wirkung zu thun, und das Gefrieren zu verhindern, wenn gleich das Waſſer weit kaͤlter iſt, als ſonſt zum Gefrieren deſſelben erfordert wird. <hi rendition="#b">Fahrenheit</hi> <hi rendition="#aq">(Phil. Trans. 1724. no. 382.)</hi> hat dies zuerſt bemerkt. Er ſetzte eine zur Haͤlfte mit Waſſer gefuͤllte, uͤbrigens luftleere Kugel am 2 Maͤrz 1721 einer Kaͤlte aus, welche nach ſeinem Thermometer 15 Grad (d. i. nach Reaumur 7 Grad unter dem Eispunkte) betrug, und fand es noch am andern Morgen fluͤßig, obgleich die Kaͤlte auf einerley Grade geblieben war. Er brach nun die Spitze ab, in welche die Kugel beym Zuſchmelzen ausgezogen war, und ſahe das Waſſer augenblicklich mit kleinen Eisſplittern vermiſcht, woraus er anfaͤnglich ſchloß, der Mangel der Luft habe das Gefrieren verhindert. Bey wiederholten Verſuchen aber lehrte ihn ein Zufall, daß vielmehr die Ruhe das Gefrieren hindere, und eine kleine Bewegung hinreichend ſey, ein ſo ſtark erkaͤltetes Waſſer in Eis zu verwandlen. Er ſtieß mit dem Fuße an, als er eine ſolche Kugel in der Hand trug, und ſogleich war das ganze Waſſer mit Eisſplittern vermiſcht. <hi rendition="#aq">”Hoc caſu fortuito,</hi> ſagt er, <hi rendition="#aq">edocebar, gla”ciem in aqua ſatis frigida agitatione produci poſſe, ”ſimulque judicii errorem agnoſcebam, quod nem”pe abſentiae aëris fluiditatem aquae attribuiſſem.“</hi> Er bemerkt, es ſeyen dieſe Eisſplitter eine Zeitlang mit dem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [677/0691]
natuͤrlich, daß das Waſſer an der Oberflaͤche, wo es die kaͤltere Luft beruͤhrt, am erſten ſeine Waͤrme verlieren und ſich in Eis verwandlen muß, und die an ſolchen Eisſchollen befindlichen Spuren von Erde und Sand zeigen nicht Entſtehung am Boden, ſondern am Ufer an. Nollet (Hiſt. de l' acad. roy. des ſc. 1743.) hat ſich die Muͤhe gegeben, dies ſehr genau zu unterſuchen, weil Hales in ſeiner Statik der Gewaͤchſe dem gemeinen Vorurtheile gefolgt war.
Die ſtehenden Gewaͤſſer gefrieren eher, als die flieſſenden; auch gefriert jeder Fluß an den Ufern fruͤher, als in der Mitte, wo der Strom am ſchnellſten iſt.
Dennoch ſcheint eine vollkommene Ruhe des Waſſers und der daſſelbe beruͤhrenden Koͤrper eine ganz entgegengeſetzte Wirkung zu thun, und das Gefrieren zu verhindern, wenn gleich das Waſſer weit kaͤlter iſt, als ſonſt zum Gefrieren deſſelben erfordert wird. Fahrenheit (Phil. Trans. 1724. no. 382.) hat dies zuerſt bemerkt. Er ſetzte eine zur Haͤlfte mit Waſſer gefuͤllte, uͤbrigens luftleere Kugel am 2 Maͤrz 1721 einer Kaͤlte aus, welche nach ſeinem Thermometer 15 Grad (d. i. nach Reaumur 7 Grad unter dem Eispunkte) betrug, und fand es noch am andern Morgen fluͤßig, obgleich die Kaͤlte auf einerley Grade geblieben war. Er brach nun die Spitze ab, in welche die Kugel beym Zuſchmelzen ausgezogen war, und ſahe das Waſſer augenblicklich mit kleinen Eisſplittern vermiſcht, woraus er anfaͤnglich ſchloß, der Mangel der Luft habe das Gefrieren verhindert. Bey wiederholten Verſuchen aber lehrte ihn ein Zufall, daß vielmehr die Ruhe das Gefrieren hindere, und eine kleine Bewegung hinreichend ſey, ein ſo ſtark erkaͤltetes Waſſer in Eis zu verwandlen. Er ſtieß mit dem Fuße an, als er eine ſolche Kugel in der Hand trug, und ſogleich war das ganze Waſſer mit Eisſplittern vermiſcht. ”Hoc caſu fortuito, ſagt er, edocebar, gla”ciem in aqua ſatis frigida agitatione produci poſſe, ”ſimulque judicii errorem agnoſcebam, quod nem”pe abſentiae aëris fluiditatem aquae attribuiſſem.“ Er bemerkt, es ſeyen dieſe Eisſplitter eine Zeitlang mit dem
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