Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.
Weniger angenehm ist es dem Ohre, den Grundton zugleich mit seiner Quarte und großen Sexte zu hören, deren Verhältnisse 4:3 und 5:3 sind. Die übrigen Intervalle, deren Verhältnisse durch andere Zahlen ausgedrückt werden, sind an sich dem Ohre noch unangenehmer, und heißen daher Dissonanzen. Die Geschicklichkeit des Tonkünstlers zeigt sich vornehmlich darinn, daß er Dissonanzen und Consonanzen auf eine zweckmäßige Art abwechseln läst, und durch das Unbefriedigende der Dissonanzen das Ohr vorbereitet, die darauf folgenden Consonanzen zu erwarten und desto lebhafter zu empfinden, und daß er durch befriedigte oder unbefriedigte Erwartungen dieser Art in seinen Zuhörern mancherley Empfindungen hervorzubringen weiß. Die unwiderstehliche Gewalt der Musik über das menschliche Herz hängt großentheils von den mannigfaltigen Eindrücken des Consonirens und Dissonirens der auf einander folgenden oder zugleich angegebnen Töne ab. Die Ursache, warum dem Gehör die Consonanzen angenehm sind, gehört wohl eher für die Seelenlehre, als für die Naturlehre der Körper. Die meisten nehmen hierüber den Grundsatz an, daß in den schönen Künsten überhaupt die einfachern Verhältnisse angenehmere Eindrücke machen, als die zusammengesetztern und schwerer zu übersehenden. Dies erklärt, warum die Octave, Quinte und große Terz, deren Verhältnisse 2:1, 1 1/2:1, 1 1/4:1 sind, dem Ohre angenehmer klingen, als die Quarte und große Sexte, welche durch die Verhältnisse 1 1/3:1, 1 2/3:1 ausgedrückt werden. Es ist nemlich die Eintheilung der Einheit nach Hälften und Vierteln besser zu übersehen, als die nach Dritteln.
Weniger angenehm iſt es dem Ohre, den Grundton zugleich mit ſeiner Quarte und großen Sexte zu hoͤren, deren Verhaͤltniſſe 4:3 und 5:3 ſind. Die uͤbrigen Intervalle, deren Verhaͤltniſſe durch andere Zahlen ausgedruͤckt werden, ſind an ſich dem Ohre noch unangenehmer, und heißen daher Diſſonanzen. Die Geſchicklichkeit des Tonkuͤnſtlers zeigt ſich vornehmlich darinn, daß er Diſſonanzen und Conſonanzen auf eine zweckmaͤßige Art abwechſeln laͤſt, und durch das Unbefriedigende der Diſſonanzen das Ohr vorbereitet, die darauf folgenden Conſonanzen zu erwarten und deſto lebhafter zu empfinden, und daß er durch befriedigte oder unbefriedigte Erwartungen dieſer Art in ſeinen Zuhoͤrern mancherley Empfindungen hervorzubringen weiß. Die unwiderſtehliche Gewalt der Muſik uͤber das menſchliche Herz haͤngt großentheils von den mannigfaltigen Eindruͤcken des Conſonirens und Diſſonirens der auf einander folgenden oder zugleich angegebnen Toͤne ab. Die Urſache, warum dem Gehoͤr die Conſonanzen angenehm ſind, gehoͤrt wohl eher fuͤr die Seelenlehre, als fuͤr die Naturlehre der Koͤrper. Die meiſten nehmen hieruͤber den Grundſatz an, daß in den ſchoͤnen Kuͤnſten uͤberhaupt die einfachern Verhaͤltniſſe angenehmere Eindruͤcke machen, als die zuſammengeſetztern und ſchwerer zu uͤberſehenden. Dies erklaͤrt, warum die Octave, Quinte und große Terz, deren Verhaͤltniſſe 2:1, 1 1/2:1, 1 1/4:1 ſind, dem Ohre angenehmer klingen, als die Quarte und große Sexte, welche durch die Verhaͤltniſſe 1 1/3:1, 1 2/3:1 ausgedruͤckt werden. Es iſt nemlich die Eintheilung der Einheit nach Haͤlften und Vierteln beſſer zu uͤberſehen, als die nach Dritteln. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0557" xml:id="P.1.543" n="543"/><lb/> Zeit, in welcher ſie beym Grundtone deren vier machen. Dies druͤckt man kuͤrzer ſo aus: die Octave, Quinte und große Terz ſtehen zum Grundtone in den Verhaͤltniſſen 2:1, 3:2, 5:4. Noch angenehmer iſt die Conſonanz des Grundtons mit der uͤber die Octave hinaus liegenden Quinte, welche durch das Verhaͤltniß 3:1 ausgedruͤckt wird.</p> <p>Weniger angenehm iſt es dem Ohre, den Grundton zugleich mit ſeiner <hi rendition="#b">Quarte</hi> und <hi rendition="#b">großen Sexte</hi> zu hoͤren, deren Verhaͤltniſſe 4:3 und 5:3 ſind. Die uͤbrigen Intervalle, deren Verhaͤltniſſe durch andere Zahlen ausgedruͤckt werden, ſind an ſich dem Ohre noch unangenehmer, und heißen daher <hi rendition="#b">Diſſonanzen.</hi> Die Geſchicklichkeit des Tonkuͤnſtlers zeigt ſich vornehmlich darinn, daß er Diſſonanzen und Conſonanzen auf eine zweckmaͤßige Art abwechſeln laͤſt, und durch das Unbefriedigende der Diſſonanzen das Ohr vorbereitet, die darauf folgenden Conſonanzen zu erwarten und deſto lebhafter zu empfinden, und daß er durch befriedigte oder unbefriedigte Erwartungen dieſer Art in ſeinen Zuhoͤrern mancherley Empfindungen hervorzubringen weiß. Die unwiderſtehliche Gewalt der Muſik uͤber das menſchliche Herz haͤngt großentheils von den mannigfaltigen Eindruͤcken des Conſonirens und Diſſonirens der auf einander folgenden oder zugleich angegebnen Toͤne ab.</p> <p>Die Urſache, warum dem Gehoͤr die Conſonanzen angenehm ſind, gehoͤrt wohl eher fuͤr die Seelenlehre, als fuͤr die Naturlehre der Koͤrper. Die meiſten nehmen hieruͤber den Grundſatz an, daß in den ſchoͤnen Kuͤnſten uͤberhaupt die einfachern Verhaͤltniſſe angenehmere Eindruͤcke machen, als die zuſammengeſetztern und ſchwerer zu uͤberſehenden. Dies erklaͤrt, warum die Octave, Quinte und große Terz, deren Verhaͤltniſſe 2:1, 1 1/2:1, 1 1/4:1 ſind, dem Ohre angenehmer klingen, als die Quarte und große Sexte, welche durch die Verhaͤltniſſe 1 1/3:1, 1 2/3:1 ausgedruͤckt werden. Es iſt nemlich die Eintheilung der Einheit nach Haͤlften und Vierteln beſſer zu uͤberſehen, als die nach Dritteln.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [543/0557]
Zeit, in welcher ſie beym Grundtone deren vier machen. Dies druͤckt man kuͤrzer ſo aus: die Octave, Quinte und große Terz ſtehen zum Grundtone in den Verhaͤltniſſen 2:1, 3:2, 5:4. Noch angenehmer iſt die Conſonanz des Grundtons mit der uͤber die Octave hinaus liegenden Quinte, welche durch das Verhaͤltniß 3:1 ausgedruͤckt wird.
Weniger angenehm iſt es dem Ohre, den Grundton zugleich mit ſeiner Quarte und großen Sexte zu hoͤren, deren Verhaͤltniſſe 4:3 und 5:3 ſind. Die uͤbrigen Intervalle, deren Verhaͤltniſſe durch andere Zahlen ausgedruͤckt werden, ſind an ſich dem Ohre noch unangenehmer, und heißen daher Diſſonanzen. Die Geſchicklichkeit des Tonkuͤnſtlers zeigt ſich vornehmlich darinn, daß er Diſſonanzen und Conſonanzen auf eine zweckmaͤßige Art abwechſeln laͤſt, und durch das Unbefriedigende der Diſſonanzen das Ohr vorbereitet, die darauf folgenden Conſonanzen zu erwarten und deſto lebhafter zu empfinden, und daß er durch befriedigte oder unbefriedigte Erwartungen dieſer Art in ſeinen Zuhoͤrern mancherley Empfindungen hervorzubringen weiß. Die unwiderſtehliche Gewalt der Muſik uͤber das menſchliche Herz haͤngt großentheils von den mannigfaltigen Eindruͤcken des Conſonirens und Diſſonirens der auf einander folgenden oder zugleich angegebnen Toͤne ab.
Die Urſache, warum dem Gehoͤr die Conſonanzen angenehm ſind, gehoͤrt wohl eher fuͤr die Seelenlehre, als fuͤr die Naturlehre der Koͤrper. Die meiſten nehmen hieruͤber den Grundſatz an, daß in den ſchoͤnen Kuͤnſten uͤberhaupt die einfachern Verhaͤltniſſe angenehmere Eindruͤcke machen, als die zuſammengeſetztern und ſchwerer zu uͤberſehenden. Dies erklaͤrt, warum die Octave, Quinte und große Terz, deren Verhaͤltniſſe 2:1, 1 1/2:1, 1 1/4:1 ſind, dem Ohre angenehmer klingen, als die Quarte und große Sexte, welche durch die Verhaͤltniſſe 1 1/3:1, 1 2/3:1 ausgedruͤckt werden. Es iſt nemlich die Eintheilung der Einheit nach Haͤlften und Vierteln beſſer zu uͤberſehen, als die nach Dritteln.
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