Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


unter den Südpolen der amerikanische, weil in den Gegenden um diese Pole die Veränderungen am größten sind. Die Bewegung geht nach Westen; also bleibt die innere Kugel, bey der täglichen Umdrehung von Westen nach Osten, ein wenig zurück, welches davon herkommen kan, daß beym ersten Anfange der Umdrehung der der äußern Rinde ertheilte Stoß sich dem Kerne nicht ganz hat mittheilen können. Um die Erdaxe scheint diese Bewegung nicht zu gehen, weil sonst die Abweichungen in einem Parallelkreise immer dieselben bleiben, und nur von einem Punkte zu andern fortrücken müßten; welches doch der Erfahrung nicht gemäß ist. Da diese Bewegung sehr langsam ist, so läßt sich aus so wenigen und neuen Beobachtungen nichts Zuverläßiges über die Dauer ihrer Periode bestimmen; doch scheint sich der amerikanische Pol in 90 Jahren um 46 Grad westwärts bewegt zu haben, woraus sich die Dauer der Umlaufszeit ohngesähr auf 700 Jahre setzen ließe.

So weit Halley. Man kan dem Scharfsinne und geometrischen Geiste, mit welchem er aus so vielen ohne Ordnung durch einander liegenden Beobachtungen die Linien seiner Karte gezogen, und seine Schlüsse hergeleitet hat, die verdiente Bewunderung nicht versagen; aber die Hypothese von vier Polen, deren zween beweglich sind, und die daraus entsprungene Idee von Kern und Rinde bringen etwas Sonderbares und Unwahrscheinliches in seine Erklärung.

Der jüngere Herr Euler (Recherches sur la declinaison de l'aiguille aimantee, in Memoires de l' acad. des Sc. a Berlin, ann. 1757. p. 175) hat daher zu zeigen gesucht, daß man zu Erklärung der beobachteten Abweichungen keinesweges nöthig habe, vier Pole anzunehmen, indem sich von allen Erscheinungen aus dem Daseyn zweener Pole Rechenschaft geben lasse. Er berechnet zu dem Ende Formeln, wodurch sich die halleyischen Abweichungslinien aus der gegebenen Lage zweener magnetischer Pole würden bestimmen lassen, wenn diese Pole 1) einander nach dem Durchmesser entgegengesetzt, 2) in zween entgegengesetzten


unter den Suͤdpolen der amerikaniſche, weil in den Gegenden um dieſe Pole die Veraͤnderungen am groͤßten ſind. Die Bewegung geht nach Weſten; alſo bleibt die innere Kugel, bey der taͤglichen Umdrehung von Weſten nach Oſten, ein wenig zuruͤck, welches davon herkommen kan, daß beym erſten Anfange der Umdrehung der der aͤußern Rinde ertheilte Stoß ſich dem Kerne nicht ganz hat mittheilen koͤnnen. Um die Erdaxe ſcheint dieſe Bewegung nicht zu gehen, weil ſonſt die Abweichungen in einem Parallelkreiſe immer dieſelben bleiben, und nur von einem Punkte zu andern fortruͤcken muͤßten; welches doch der Erfahrung nicht gemaͤß iſt. Da dieſe Bewegung ſehr langſam iſt, ſo laͤßt ſich aus ſo wenigen und neuen Beobachtungen nichts Zuverlaͤßiges uͤber die Dauer ihrer Periode beſtimmen; doch ſcheint ſich der amerikaniſche Pol in 90 Jahren um 46 Grad weſtwaͤrts bewegt zu haben, woraus ſich die Dauer der Umlaufszeit ohngeſaͤhr auf 700 Jahre ſetzen ließe.

So weit Halley. Man kan dem Scharfſinne und geometriſchen Geiſte, mit welchem er aus ſo vielen ohne Ordnung durch einander liegenden Beobachtungen die Linien ſeiner Karte gezogen, und ſeine Schluͤſſe hergeleitet hat, die verdiente Bewunderung nicht verſagen; aber die Hypotheſe von vier Polen, deren zween beweglich ſind, und die daraus entſprungene Idee von Kern und Rinde bringen etwas Sonderbares und Unwahrſcheinliches in ſeine Erklaͤrung.

Der juͤngere Herr Euler (Recherches ſur la declinaiſon de l'aiguille aimantée, in Mémoires de l' acad. des Sc. à Berlin, ann. 1757. p. 175) hat daher zu zeigen geſucht, daß man zu Erklaͤrung der beobachteten Abweichungen keinesweges noͤthig habe, vier Pole anzunehmen, indem ſich von allen Erſcheinungen aus dem Daſeyn zweener Pole Rechenſchaft geben laſſe. Er berechnet zu dem Ende Formeln, wodurch ſich die halleyiſchen Abweichungslinien aus der gegebenen Lage zweener magnetiſcher Pole wuͤrden beſtimmen laſſen, wenn dieſe Pole 1) einander nach dem Durchmeſſer entgegengeſetzt, 2) in zween entgegengeſetzten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" xml:id="P.1.28" n="28"/><lb/>
unter den Su&#x0364;dpolen der <hi rendition="#b">amerikani&#x017F;che,</hi> weil in den Gegenden um die&#x017F;e Pole die Vera&#x0364;nderungen am gro&#x0364;ßten &#x017F;ind. Die Bewegung geht nach We&#x017F;ten; al&#x017F;o bleibt die innere Kugel, bey der ta&#x0364;glichen Umdrehung von We&#x017F;ten nach O&#x017F;ten, ein wenig zuru&#x0364;ck, welches davon herkommen kan, daß beym er&#x017F;ten Anfange der Umdrehung der der a&#x0364;ußern Rinde ertheilte Stoß &#x017F;ich dem Kerne nicht ganz hat mittheilen ko&#x0364;nnen. Um die Erdaxe &#x017F;cheint die&#x017F;e Bewegung nicht zu gehen, weil &#x017F;on&#x017F;t die Abweichungen in einem Parallelkrei&#x017F;e immer die&#x017F;elben bleiben, und nur von einem Punkte zu andern fortru&#x0364;cken mu&#x0364;ßten; welches doch der Erfahrung nicht gema&#x0364;ß i&#x017F;t. Da die&#x017F;e Bewegung &#x017F;ehr lang&#x017F;am i&#x017F;t, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich aus &#x017F;o wenigen und neuen Beobachtungen nichts Zuverla&#x0364;ßiges u&#x0364;ber die Dauer ihrer Periode be&#x017F;timmen; doch &#x017F;cheint &#x017F;ich der <hi rendition="#b">amerikani&#x017F;che</hi> Pol in 90 Jahren um 46 Grad we&#x017F;twa&#x0364;rts bewegt zu haben, woraus &#x017F;ich die Dauer der Umlaufszeit ohnge&#x017F;a&#x0364;hr auf 700 Jahre &#x017F;etzen ließe.</p>
          <p>So weit <hi rendition="#b">Halley.</hi> Man kan dem Scharf&#x017F;inne und geometri&#x017F;chen Gei&#x017F;te, mit welchem er aus &#x017F;o vielen ohne Ordnung durch einander liegenden Beobachtungen die Linien &#x017F;einer Karte gezogen, und &#x017F;eine Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e hergeleitet hat, die verdiente Bewunderung nicht ver&#x017F;agen; aber die Hypothe&#x017F;e von vier Polen, deren zween beweglich &#x017F;ind, und die daraus ent&#x017F;prungene Idee von Kern und Rinde bringen etwas Sonderbares und Unwahr&#x017F;cheinliches in &#x017F;eine Erkla&#x0364;rung.</p>
          <p>Der ju&#x0364;ngere Herr <hi rendition="#b">Euler</hi> <hi rendition="#aq">(Recherches &#x017F;ur la declinai&#x017F;on de l'aiguille aimantée, in Mémoires de l' acad. des Sc. à Berlin, ann. 1757. p. 175)</hi> hat daher zu zeigen ge&#x017F;ucht, daß man zu Erkla&#x0364;rung der beobachteten Abweichungen keinesweges no&#x0364;thig habe, vier Pole anzunehmen, indem &#x017F;ich von allen Er&#x017F;cheinungen aus dem Da&#x017F;eyn <hi rendition="#b">zweener</hi> Pole Rechen&#x017F;chaft geben la&#x017F;&#x017F;e. Er berechnet zu dem Ende Formeln, wodurch &#x017F;ich die halleyi&#x017F;chen Abweichungslinien aus der gegebenen Lage <hi rendition="#b">zweener</hi> magneti&#x017F;cher Pole wu&#x0364;rden be&#x017F;timmen la&#x017F;&#x017F;en, wenn die&#x017F;e Pole 1) einander nach dem Durchme&#x017F;&#x017F;er entgegenge&#x017F;etzt, 2) in zween entgegenge&#x017F;etzten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0042] unter den Suͤdpolen der amerikaniſche, weil in den Gegenden um dieſe Pole die Veraͤnderungen am groͤßten ſind. Die Bewegung geht nach Weſten; alſo bleibt die innere Kugel, bey der taͤglichen Umdrehung von Weſten nach Oſten, ein wenig zuruͤck, welches davon herkommen kan, daß beym erſten Anfange der Umdrehung der der aͤußern Rinde ertheilte Stoß ſich dem Kerne nicht ganz hat mittheilen koͤnnen. Um die Erdaxe ſcheint dieſe Bewegung nicht zu gehen, weil ſonſt die Abweichungen in einem Parallelkreiſe immer dieſelben bleiben, und nur von einem Punkte zu andern fortruͤcken muͤßten; welches doch der Erfahrung nicht gemaͤß iſt. Da dieſe Bewegung ſehr langſam iſt, ſo laͤßt ſich aus ſo wenigen und neuen Beobachtungen nichts Zuverlaͤßiges uͤber die Dauer ihrer Periode beſtimmen; doch ſcheint ſich der amerikaniſche Pol in 90 Jahren um 46 Grad weſtwaͤrts bewegt zu haben, woraus ſich die Dauer der Umlaufszeit ohngeſaͤhr auf 700 Jahre ſetzen ließe. So weit Halley. Man kan dem Scharfſinne und geometriſchen Geiſte, mit welchem er aus ſo vielen ohne Ordnung durch einander liegenden Beobachtungen die Linien ſeiner Karte gezogen, und ſeine Schluͤſſe hergeleitet hat, die verdiente Bewunderung nicht verſagen; aber die Hypotheſe von vier Polen, deren zween beweglich ſind, und die daraus entſprungene Idee von Kern und Rinde bringen etwas Sonderbares und Unwahrſcheinliches in ſeine Erklaͤrung. Der juͤngere Herr Euler (Recherches ſur la declinaiſon de l'aiguille aimantée, in Mémoires de l' acad. des Sc. à Berlin, ann. 1757. p. 175) hat daher zu zeigen geſucht, daß man zu Erklaͤrung der beobachteten Abweichungen keinesweges noͤthig habe, vier Pole anzunehmen, indem ſich von allen Erſcheinungen aus dem Daſeyn zweener Pole Rechenſchaft geben laſſe. Er berechnet zu dem Ende Formeln, wodurch ſich die halleyiſchen Abweichungslinien aus der gegebenen Lage zweener magnetiſcher Pole wuͤrden beſtimmen laſſen, wenn dieſe Pole 1) einander nach dem Durchmeſſer entgegengeſetzt, 2) in zween entgegengeſetzten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/42
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/42>, abgerufen am 24.11.2024.