Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Ueber die Prüfung schon beschlossen worden zu seyn, ehe man nochgeprüft hatte: so ist er eine Uebung für den Schü- ler und eine Probe seiner Fähigkeiten. In diesem Fall giebt es, wie Plato sagt, für die Irrenden keine andre Strafe, als die, belehrt zu werden. -- Aber wenn sich die Eitelkeit darein mischt, und man schon immer geneigt ist, die entgegenstehen- de Meynung anzunehmen, ehe man noch die Gründe dazu gefunden hat; wenn man nun schon anfängt, Irrthümer zu wünschen, um sie aufdecken zu können: so kann die Streitsucht den Kopf verderben, den Fähigkeiten eine falsche Richtung geben, und das auf Spitzfündigkei- ten und Disputirkünste verwenden, was die Na- tur zur Erforschung der Wahrheit bestimmt hatte. Die Erlernung der Sprachen ist gemeiniglich Ueber die Pruͤfung ſchon beſchloſſen worden zu ſeyn, ehe man nochgepruͤft hatte: ſo iſt er eine Uebung fuͤr den Schuͤ- ler und eine Probe ſeiner Faͤhigkeiten. In dieſem Fall giebt es, wie Plato ſagt, fuͤr die Irrenden keine andre Strafe, als die, belehrt zu werden. — Aber wenn ſich die Eitelkeit darein miſcht, und man ſchon immer geneigt iſt, die entgegenſtehen- de Meynung anzunehmen, ehe man noch die Gruͤnde dazu gefunden hat; wenn man nun ſchon anfaͤngt, Irrthuͤmer zu wuͤnſchen, um ſie aufdecken zu koͤnnen: ſo kann die Streitſucht den Kopf verderben, den Faͤhigkeiten eine falſche Richtung geben, und das auf Spitzfuͤndigkei- ten und Diſputirkuͤnſte verwenden, was die Na- tur zur Erforſchung der Wahrheit beſtimmt hatte. Die Erlernung der Sprachen iſt gemeiniglich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0080" n="74"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ueber die Pruͤfung</hi></fw><lb/> ſchon beſchloſſen worden zu ſeyn, ehe man noch<lb/> gepruͤft hatte: ſo iſt er eine Uebung fuͤr den Schuͤ-<lb/> ler und eine Probe ſeiner Faͤhigkeiten. In dieſem<lb/> Fall giebt es, wie Plato ſagt, fuͤr die Irrenden<lb/> keine andre Strafe, als die, belehrt zu werden. —<lb/> Aber wenn ſich die Eitelkeit darein miſcht, und<lb/> man ſchon immer geneigt iſt, die entgegenſtehen-<lb/> de Meynung anzunehmen, ehe man noch die<lb/> Gruͤnde dazu gefunden hat; wenn man nun<lb/> ſchon anfaͤngt, Irrthuͤmer zu wuͤnſchen, um ſie<lb/> aufdecken zu koͤnnen: ſo kann die Streitſucht den<lb/> Kopf verderben, den Faͤhigkeiten eine falſche<lb/> Richtung geben, und das auf Spitzfuͤndigkei-<lb/> ten und Diſputirkuͤnſte verwenden, was die Na-<lb/> tur zur Erforſchung der Wahrheit beſtimmt<lb/> hatte.</p><lb/> <p>Die Erlernung der Sprachen iſt gemeiniglich<lb/> unſer erſtes Studium; alſo wird ſie auch die erſte<lb/> Gelegenheit fuͤr den Lehrer ſeyn, die Koͤpfe ſeiner<lb/> Schuͤler zu unterſuchen. Ein Theil der Sprache<lb/> iſt willkuͤhrlich, und kann bloß von dem Gedaͤcht-<lb/> niſſe gefaßt werden; der andre iſt philoſophiſch,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [74/0080]
Ueber die Pruͤfung
ſchon beſchloſſen worden zu ſeyn, ehe man noch
gepruͤft hatte: ſo iſt er eine Uebung fuͤr den Schuͤ-
ler und eine Probe ſeiner Faͤhigkeiten. In dieſem
Fall giebt es, wie Plato ſagt, fuͤr die Irrenden
keine andre Strafe, als die, belehrt zu werden. —
Aber wenn ſich die Eitelkeit darein miſcht, und
man ſchon immer geneigt iſt, die entgegenſtehen-
de Meynung anzunehmen, ehe man noch die
Gruͤnde dazu gefunden hat; wenn man nun
ſchon anfaͤngt, Irrthuͤmer zu wuͤnſchen, um ſie
aufdecken zu koͤnnen: ſo kann die Streitſucht den
Kopf verderben, den Faͤhigkeiten eine falſche
Richtung geben, und das auf Spitzfuͤndigkei-
ten und Diſputirkuͤnſte verwenden, was die Na-
tur zur Erforſchung der Wahrheit beſtimmt
hatte.
Die Erlernung der Sprachen iſt gemeiniglich
unſer erſtes Studium; alſo wird ſie auch die erſte
Gelegenheit fuͤr den Lehrer ſeyn, die Koͤpfe ſeiner
Schuͤler zu unterſuchen. Ein Theil der Sprache
iſt willkuͤhrlich, und kann bloß von dem Gedaͤcht-
niſſe gefaßt werden; der andre iſt philoſophiſch,
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