Viertens. Ein höherer Grad dieses Verstan- des bringt die Gabe der Vorhersehung hervor, die wir schon oben genannt haben, und die das ei- gentliche Talent zu Geschäften ausmacht. Die Zukunft liegt in dem Gegenwärtigen eingewickelt. Man muß dieses ganz übersehen können, um jene darinn zu finden. Wirkungen kann man nur aus ihren Ursachen kennen: aber diese sind oft in so vielen Dingen zerstreut; viele davon so klein, so unmerklich, und doch in der Zusammenkunft so erheblich, daß es unmöglich ist, sie zu bemerken, wenn man sie sich nicht anders als deutlich den- ken kann. Ein Kopf, der immer zergliedern und schließen muß; dessen Fähigkeiten nur die Dinge von derjenigen Seite fassen, von der sie sich deut- lich machen lassen; wird diese kleinen Umstände übersehen, er wird sich bloß an die Hauptsachen halten, dieser ihre Kräfte untersuchen, und so ge- nau er immer diese kann abgemessen haben, einen falschen Erfolg herausbringen. Das ist die ei- gentliche Gränzscheidung zwischen Theorie und Praxis. Die erste nimmt keine andern als die
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der Faͤhigkeiten.
Viertens. Ein hoͤherer Grad dieſes Verſtan- des bringt die Gabe der Vorherſehung hervor, die wir ſchon oben genannt haben, und die das ei- gentliche Talent zu Geſchaͤften ausmacht. Die Zukunft liegt in dem Gegenwaͤrtigen eingewickelt. Man muß dieſes ganz uͤberſehen koͤnnen, um jene darinn zu finden. Wirkungen kann man nur aus ihren Urſachen kennen: aber dieſe ſind oft in ſo vielen Dingen zerſtreut; viele davon ſo klein, ſo unmerklich, und doch in der Zuſammenkunft ſo erheblich, daß es unmoͤglich iſt, ſie zu bemerken, wenn man ſie ſich nicht anders als deutlich den- ken kann. Ein Kopf, der immer zergliedern und ſchließen muß; deſſen Faͤhigkeiten nur die Dinge von derjenigen Seite faſſen, von der ſie ſich deut- lich machen laſſen; wird dieſe kleinen Umſtaͤnde uͤberſehen, er wird ſich bloß an die Hauptſachen halten, dieſer ihre Kraͤfte unterſuchen, und ſo ge- nau er immer dieſe kann abgemeſſen haben, einen falſchen Erfolg herausbringen. Das iſt die ei- gentliche Graͤnzſcheidung zwiſchen Theorie und Praxis. Die erſte nimmt keine andern als die
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der Faͤhigkeiten.
Viertens. Ein hoͤherer Grad dieſes Verſtan-
des bringt die Gabe der Vorherſehung hervor, die
wir ſchon oben genannt haben, und die das ei-
gentliche Talent zu Geſchaͤften ausmacht. Die
Zukunft liegt in dem Gegenwaͤrtigen eingewickelt.
Man muß dieſes ganz uͤberſehen koͤnnen, um jene
darinn zu finden. Wirkungen kann man nur
aus ihren Urſachen kennen: aber dieſe ſind oft in
ſo vielen Dingen zerſtreut; viele davon ſo klein,
ſo unmerklich, und doch in der Zuſammenkunft ſo
erheblich, daß es unmoͤglich iſt, ſie zu bemerken,
wenn man ſie ſich nicht anders als deutlich den-
ken kann. Ein Kopf, der immer zergliedern und
ſchließen muß; deſſen Faͤhigkeiten nur die Dinge
von derjenigen Seite faſſen, von der ſie ſich deut-
lich machen laſſen; wird dieſe kleinen Umſtaͤnde
uͤberſehen, er wird ſich bloß an die Hauptſachen
halten, dieſer ihre Kraͤfte unterſuchen, und ſo ge-
nau er immer dieſe kann abgemeſſen haben, einen
falſchen Erfolg herausbringen. Das iſt die ei-
gentliche Graͤnzſcheidung zwiſchen Theorie und
Praxis. Die erſte nimmt keine andern als die
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/61>, abgerufen am 23.11.2024.
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