vergißt, und sich dessen nicht bewußt wird, was um sie herum vorgeht.
Zweytens: Die Fähigkeit der Seele, sich durch sich selbst zu beschäftigen, ist ein noch siche- rers Kennzeichen von einer starken Einbildungs- kraft oder Reflexion. Der Trieb zur Wirksamkeit ist der erste und ursprünglichste in der menschli- chen Seele, und vielleicht der Grund aller übrigen. Wenn die Seele also in sich und in ihren eignen Bildern oder Ideen für ihre Beschäftigungen keine Gegenstände findet, so sucht sie darnach außer sich, und ohne einen neuen Zufluß von Empfin- dungen, geräth sie in den Stand der Unthätigkeit, der unter dem Namen von Langeweile so bekannt und so quälend ist. Wer also, sobald seine Ge- schäfte geendigt sind, unmittelbar nach Gesell- schaft, nach Zerstreuungen und nach Vorrath von neuen Eindrücken schmachtet; wer nicht mehr den- ken kann, sobald seine Augen und seine Ohren nicht angefüllt sind, der muß selbst wenig Ideen hervorzubringen wissen. Um deswillen liebt der Pöbel alle Schauspiele, nicht weil sie schön sind,
Ueber die Pruͤfung
vergißt, und ſich deſſen nicht bewußt wird, was um ſie herum vorgeht.
Zweytens: Die Faͤhigkeit der Seele, ſich durch ſich ſelbſt zu beſchaͤftigen, iſt ein noch ſiche- rers Kennzeichen von einer ſtarken Einbildungs- kraft oder Reflexion. Der Trieb zur Wirkſamkeit iſt der erſte und urſpruͤnglichſte in der menſchli- chen Seele, und vielleicht der Grund aller uͤbrigen. Wenn die Seele alſo in ſich und in ihren eignen Bildern oder Ideen fuͤr ihre Beſchaͤftigungen keine Gegenſtaͤnde findet, ſo ſucht ſie darnach außer ſich, und ohne einen neuen Zufluß von Empfin- dungen, geraͤth ſie in den Stand der Unthaͤtigkeit, der unter dem Namen von Langeweile ſo bekannt und ſo quaͤlend iſt. Wer alſo, ſobald ſeine Ge- ſchaͤfte geendigt ſind, unmittelbar nach Geſell- ſchaft, nach Zerſtreuungen und nach Vorrath von neuen Eindruͤcken ſchmachtet; wer nicht mehr den- ken kann, ſobald ſeine Augen und ſeine Ohren nicht angefuͤllt ſind, der muß ſelbſt wenig Ideen hervorzubringen wiſſen. Um deswillen liebt der Poͤbel alle Schauſpiele, nicht weil ſie ſchoͤn ſind,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0050"n="44"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Ueber die Pruͤfung</hi></fw><lb/>
vergißt, und ſich deſſen nicht bewußt wird, was<lb/>
um ſie herum vorgeht.</p><lb/><p>Zweytens: Die Faͤhigkeit der Seele, ſich<lb/>
durch ſich ſelbſt zu beſchaͤftigen, iſt ein noch ſiche-<lb/>
rers Kennzeichen von einer ſtarken Einbildungs-<lb/>
kraft oder Reflexion. Der Trieb zur Wirkſamkeit<lb/>
iſt der erſte und urſpruͤnglichſte in der menſchli-<lb/>
chen Seele, und vielleicht der Grund aller uͤbrigen.<lb/>
Wenn die Seele alſo in ſich und in ihren eignen<lb/>
Bildern oder Ideen fuͤr ihre Beſchaͤftigungen keine<lb/>
Gegenſtaͤnde findet, ſo ſucht ſie darnach außer<lb/>ſich, und ohne einen neuen Zufluß von Empfin-<lb/>
dungen, geraͤth ſie in den Stand der Unthaͤtigkeit,<lb/>
der unter dem Namen von Langeweile ſo bekannt<lb/>
und ſo quaͤlend iſt. Wer alſo, ſobald ſeine Ge-<lb/>ſchaͤfte geendigt ſind, unmittelbar nach Geſell-<lb/>ſchaft, nach Zerſtreuungen und nach Vorrath von<lb/>
neuen Eindruͤcken ſchmachtet; wer nicht mehr den-<lb/>
ken kann, ſobald ſeine Augen und ſeine Ohren<lb/>
nicht angefuͤllt ſind, der muß ſelbſt wenig Ideen<lb/>
hervorzubringen wiſſen. Um deswillen liebt der<lb/>
Poͤbel alle Schauſpiele, nicht weil ſie ſchoͤn ſind,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[44/0050]
Ueber die Pruͤfung
vergißt, und ſich deſſen nicht bewußt wird, was
um ſie herum vorgeht.
Zweytens: Die Faͤhigkeit der Seele, ſich
durch ſich ſelbſt zu beſchaͤftigen, iſt ein noch ſiche-
rers Kennzeichen von einer ſtarken Einbildungs-
kraft oder Reflexion. Der Trieb zur Wirkſamkeit
iſt der erſte und urſpruͤnglichſte in der menſchli-
chen Seele, und vielleicht der Grund aller uͤbrigen.
Wenn die Seele alſo in ſich und in ihren eignen
Bildern oder Ideen fuͤr ihre Beſchaͤftigungen keine
Gegenſtaͤnde findet, ſo ſucht ſie darnach außer
ſich, und ohne einen neuen Zufluß von Empfin-
dungen, geraͤth ſie in den Stand der Unthaͤtigkeit,
der unter dem Namen von Langeweile ſo bekannt
und ſo quaͤlend iſt. Wer alſo, ſobald ſeine Ge-
ſchaͤfte geendigt ſind, unmittelbar nach Geſell-
ſchaft, nach Zerſtreuungen und nach Vorrath von
neuen Eindruͤcken ſchmachtet; wer nicht mehr den-
ken kann, ſobald ſeine Augen und ſeine Ohren
nicht angefuͤllt ſind, der muß ſelbſt wenig Ideen
hervorzubringen wiſſen. Um deswillen liebt der
Poͤbel alle Schauſpiele, nicht weil ſie ſchoͤn ſind,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/50>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.