Diese Eigenschaften, die im Aeneas selbst lie- gen, läßt der Dichter nicht allein wirken. Die Liebe der Dido ist ein unmittelbares Werk des Amors, der sich unter der Gestalt des Ascanius zu ihr einführen läßt.
Virgil, der sonst weit moralischer ist, als seine Vorgänger, bleibt doch hier dem System getreu, das in der ganzen fabelhaften Geschichte und in allem poetischen Stoffe der Alten herrscht, nach welchem Menschen von der Gottheit unwi- derstehlich zu Handlungen getrieben werden, wo- für sie doch in der Folge als für freywillige leiden müssen. Dieses System, das die Alten nicht be- leidigte, weil sie bloß die Macht der Gottheit verherrlichen wollten, ist unsrer Empfindung zu- wider, weil wir die Gottheit vornämlich durch Gerechtigkeit erhöht wissen wollen. Das In- teresse ganzer Geschichte wird dadurch unstreitig für uns gestört; das Interesse einzelner Scenen, weniger. Es scheint zwar die stufenweise Ent- wickelung der Leidenschaft wegzufallen, wenn eine Gottheit sie einpflanzt: aber bey den gu-
Einige Gedanken
Dieſe Eigenſchaften, die im Aeneas ſelbſt lie- gen, laͤßt der Dichter nicht allein wirken. Die Liebe der Dido iſt ein unmittelbares Werk des Amors, der ſich unter der Geſtalt des Aſcanius zu ihr einfuͤhren laͤßt.
Virgil, der ſonſt weit moraliſcher iſt, als ſeine Vorgaͤnger, bleibt doch hier dem Syſtem getreu, das in der ganzen fabelhaften Geſchichte und in allem poetiſchen Stoffe der Alten herrſcht, nach welchem Menſchen von der Gottheit unwi- derſtehlich zu Handlungen getrieben werden, wo- fuͤr ſie doch in der Folge als fuͤr freywillige leiden muͤſſen. Dieſes Syſtem, das die Alten nicht be- leidigte, weil ſie bloß die Macht der Gottheit verherrlichen wollten, iſt unſrer Empfindung zu- wider, weil wir die Gottheit vornaͤmlich durch Gerechtigkeit erhoͤht wiſſen wollen. Das In- tereſſe ganzer Geſchichte wird dadurch unſtreitig fuͤr uns geſtoͤrt; das Intereſſe einzelner Scenen, weniger. Es ſcheint zwar die ſtufenweiſe Ent- wickelung der Leidenſchaft wegzufallen, wenn eine Gottheit ſie einpflanzt: aber bey den gu-
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Einige Gedanken
Dieſe Eigenſchaften, die im Aeneas ſelbſt lie-
gen, laͤßt der Dichter nicht allein wirken. Die
Liebe der Dido iſt ein unmittelbares Werk des
Amors, der ſich unter der Geſtalt des Aſcanius
zu ihr einfuͤhren laͤßt.
Virgil, der ſonſt weit moraliſcher iſt, als
ſeine Vorgaͤnger, bleibt doch hier dem Syſtem
getreu, das in der ganzen fabelhaften Geſchichte
und in allem poetiſchen Stoffe der Alten herrſcht,
nach welchem Menſchen von der Gottheit unwi-
derſtehlich zu Handlungen getrieben werden, wo-
fuͤr ſie doch in der Folge als fuͤr freywillige leiden
muͤſſen. Dieſes Syſtem, das die Alten nicht be-
leidigte, weil ſie bloß die Macht der Gottheit
verherrlichen wollten, iſt unſrer Empfindung zu-
wider, weil wir die Gottheit vornaͤmlich durch
Gerechtigkeit erhoͤht wiſſen wollen. Das In-
tereſſe ganzer Geſchichte wird dadurch unſtreitig
fuͤr uns geſtoͤrt; das Intereſſe einzelner Scenen,
weniger. Es ſcheint zwar die ſtufenweiſe Ent-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/404>, abgerufen am 22.11.2024.
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