Wenn Virgil, uns für die Liebe der Dido interessiren wollte, so mußte er machen, daß wir dieselbe in einem gewissen Grade billigen: wenn er wollte, daß wir an ihrem Unglücke Theil näh- men, so mußte er machen, daß wir sie selbst hochachten.
Eine so heftige Leidenschaft, so plözlich ent- standen, und bis auf die Höhe getrieben, wo sie zur Verzweiflung führt, ist allemal ein Fleck in dem Charakter. Sie mußte also starke Ursachen haben. Aeneas mußte sehr liebenswürdig seyn. So hat ihn auch Virgil geschildert. Sanft- muth, Frömmigkeit, Zärtlichkeit gegen die Sei- nen, mit Muth verbunden, machen den Cha- rakter des Aeneas aus; Eigenschaften die dem weiblichen Geschlechte vorzüglich gefallen. Ae- neas war schön. Aber Venus erhöhte noch, als sie ihn zur Dido einführte, seine natürliche Bil- dung, durch wunderbar über seine Gestalt und sein Betragen ausgegoßne Reize.
-- -- namque ipsa decoram I, 593. Caesariem nato genetrix, lumenque juuentae Purpureum et laetos oculis adflarat honores.
uͤber das Intereſſirende.
Wenn Virgil, uns fuͤr die Liebe der Dido intereſſiren wollte, ſo mußte er machen, daß wir dieſelbe in einem gewiſſen Grade billigen: wenn er wollte, daß wir an ihrem Ungluͤcke Theil naͤh- men, ſo mußte er machen, daß wir ſie ſelbſt hochachten.
Eine ſo heftige Leidenſchaft, ſo ploͤzlich ent- ſtanden, und bis auf die Hoͤhe getrieben, wo ſie zur Verzweiflung fuͤhrt, iſt allemal ein Fleck in dem Charakter. Sie mußte alſo ſtarke Urſachen haben. Aeneas mußte ſehr liebenswuͤrdig ſeyn. So hat ihn auch Virgil geſchildert. Sanft- muth, Froͤmmigkeit, Zaͤrtlichkeit gegen die Sei- nen, mit Muth verbunden, machen den Cha- rakter des Aeneas aus; Eigenſchaften die dem weiblichen Geſchlechte vorzuͤglich gefallen. Ae- neas war ſchoͤn. Aber Venus erhoͤhte noch, als ſie ihn zur Dido einfuͤhrte, ſeine natuͤrliche Bil- dung, durch wunderbar uͤber ſeine Geſtalt und ſein Betragen ausgegoßne Reize.
— — namque ipſa decoram I, 593. Caeſariem nato genetrix, lumenque juuentae Purpureum et laetos oculis adflarat honores.
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uͤber das Intereſſirende.
Wenn Virgil, uns fuͤr die Liebe der Dido
intereſſiren wollte, ſo mußte er machen, daß wir
dieſelbe in einem gewiſſen Grade billigen: wenn
er wollte, daß wir an ihrem Ungluͤcke Theil naͤh-
men, ſo mußte er machen, daß wir ſie ſelbſt
hochachten.
Eine ſo heftige Leidenſchaft, ſo ploͤzlich ent-
ſtanden, und bis auf die Hoͤhe getrieben, wo
ſie zur Verzweiflung fuͤhrt, iſt allemal ein Fleck in
dem Charakter. Sie mußte alſo ſtarke Urſachen
haben. Aeneas mußte ſehr liebenswuͤrdig ſeyn.
So hat ihn auch Virgil geſchildert. Sanft-
muth, Froͤmmigkeit, Zaͤrtlichkeit gegen die Sei-
nen, mit Muth verbunden, machen den Cha-
rakter des Aeneas aus; Eigenſchaften die dem
weiblichen Geſchlechte vorzuͤglich gefallen. Ae-
neas war ſchoͤn. Aber Venus erhoͤhte noch, als
ſie ihn zur Dido einfuͤhrte, ſeine natuͤrliche Bil-
dung, durch wunderbar uͤber ſeine Geſtalt und
ſein Betragen ausgegoßne Reize.
— — namque ipſa decoram I, 593.
Caeſariem nato genetrix, lumenque juuentae
Purpureum et laetos oculis adflarat honores.
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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