Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Einige Gedanken Schattirungen, die größte Vermischung mitverwandten, der meiste Streit mit entgegenste- henden Begierden statt findet. Nichts gränzt näher an Schwulst, oder kann leichter dazu ver- führen, als die Sprache der alleräußersten Lei- denschaft; und nichts ist kälter und weniger in- teressant als Schwulst. Eben der Mangel der Urtheilskraft und des Geschmacks, der die rö- mischen Dichter des schlechtern Zeitalters verlei- tet hat, erhabne Gedanken durch den Ausdruck schwülstig, oder feine spitzfündig zu machen: eben der hat sie auch dazu gebracht, jeden Zorn in Wuth, jede Liebe in schmelzende Zärtlichkeit oder tobende Begierde, den Stolz in unmenschliches Aufblähen, und den Muth der Tugend in Göt- tergröße zu verwandeln. Aber noch weit weniger genaue Richtigkeit, Einige Gedanken Schattirungen, die groͤßte Vermiſchung mitverwandten, der meiſte Streit mit entgegenſte- henden Begierden ſtatt findet. Nichts graͤnzt naͤher an Schwulſt, oder kann leichter dazu ver- fuͤhren, als die Sprache der alleraͤußerſten Lei- denſchaft; und nichts iſt kaͤlter und weniger in- tereſſant als Schwulſt. Eben der Mangel der Urtheilskraft und des Geſchmacks, der die roͤ- miſchen Dichter des ſchlechtern Zeitalters verlei- tet hat, erhabne Gedanken durch den Ausdruck ſchwuͤlſtig, oder feine ſpitzfuͤndig zu machen: eben der hat ſie auch dazu gebracht, jeden Zorn in Wuth, jede Liebe in ſchmelzende Zaͤrtlichkeit oder tobende Begierde, den Stolz in unmenſchliches Aufblaͤhen, und den Muth der Tugend in Goͤt- tergroͤße zu verwandeln. Aber noch weit weniger genaue Richtigkeit, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0398" n="392"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Einige Gedanken</hi></fw><lb/> Schattirungen, die groͤßte Vermiſchung mit<lb/> verwandten, der meiſte Streit mit entgegenſte-<lb/> henden Begierden ſtatt findet. Nichts graͤnzt<lb/> naͤher an Schwulſt, oder kann leichter dazu ver-<lb/> fuͤhren, als die Sprache der alleraͤußerſten Lei-<lb/> denſchaft; und nichts iſt kaͤlter und weniger in-<lb/> tereſſant als Schwulſt. Eben der Mangel der<lb/> Urtheilskraft und des Geſchmacks, der die roͤ-<lb/> miſchen Dichter des ſchlechtern Zeitalters verlei-<lb/> tet hat, erhabne Gedanken durch den Ausdruck<lb/> ſchwuͤlſtig, oder feine ſpitzfuͤndig zu machen: eben<lb/> der hat ſie auch dazu gebracht, jeden Zorn in<lb/> Wuth, jede Liebe in ſchmelzende Zaͤrtlichkeit oder<lb/> tobende Begierde, den Stolz in unmenſchliches<lb/> Aufblaͤhen, und den Muth der Tugend in Goͤt-<lb/> tergroͤße zu verwandeln.</p><lb/> <p>Aber noch weit weniger genaue Richtigkeit,<lb/> weniger beſtimmte Wahrheit iſt da noͤthig, wo<lb/> Perſonen auftreten, die ihres Verſtandes beraubt<lb/> ſind. Der Abwege von der Vernunft ſind un-<lb/> zaͤhlige; der Weg der Vernunft, oder einer der<lb/> Vernunft untergeordneten Leidenſchaft iſt jedes-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [392/0398]
Einige Gedanken
Schattirungen, die groͤßte Vermiſchung mit
verwandten, der meiſte Streit mit entgegenſte-
henden Begierden ſtatt findet. Nichts graͤnzt
naͤher an Schwulſt, oder kann leichter dazu ver-
fuͤhren, als die Sprache der alleraͤußerſten Lei-
denſchaft; und nichts iſt kaͤlter und weniger in-
tereſſant als Schwulſt. Eben der Mangel der
Urtheilskraft und des Geſchmacks, der die roͤ-
miſchen Dichter des ſchlechtern Zeitalters verlei-
tet hat, erhabne Gedanken durch den Ausdruck
ſchwuͤlſtig, oder feine ſpitzfuͤndig zu machen: eben
der hat ſie auch dazu gebracht, jeden Zorn in
Wuth, jede Liebe in ſchmelzende Zaͤrtlichkeit oder
tobende Begierde, den Stolz in unmenſchliches
Aufblaͤhen, und den Muth der Tugend in Goͤt-
tergroͤße zu verwandeln.
Aber noch weit weniger genaue Richtigkeit,
weniger beſtimmte Wahrheit iſt da noͤthig, wo
Perſonen auftreten, die ihres Verſtandes beraubt
ſind. Der Abwege von der Vernunft ſind un-
zaͤhlige; der Weg der Vernunft, oder einer der
Vernunft untergeordneten Leidenſchaft iſt jedes-
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