gung der Leidenschaft, unsre Sympathie verstärke; daß der Streit der Leidenschaften am lebhaftesten rühre: sind nicht eben dadurch die Mittel ange- geben worden, wie Leidenschaften geschildert wer- den müssen, wenn sie den Leser oder Zuschauer zur Theilnehmung bewegen sollen?
Nämlich jede Leidenschaft ist ein Zusammen- geseztes aus vielen; jede hat vielerley Seiten und Aussichten. Jeder Schlag, der auf die Seele geschieht, zerrüttet nicht bloß den Ort, wo er hintrift, sondern erschüttert zugleich alle andre empfindliche Stellen ihres Systems. Die Lei- denschaft ist ein Feuer, dessen Glanz und Wärme, von hundert Seiten gebrochen und zurückprallend, sich mit der Hauptflamme vereiniget. Was kann man also anders thun, um die Frage zu beant- worten: wie sind Leidenschaften zu schildern? als daß man die Zergliederung derselben anstellt; daß man die mittelbaren Wirkungen derselben auf- sucht; und daß man anzeigt, welche Elemente der Leidenschaft, welche Art ihrer Wirkungen sich in der Nachahmung durch Worte am besten aus-
uͤber das Intereſſirende.
gung der Leidenſchaft, unſre Sympathie verſtaͤrke; daß der Streit der Leidenſchaften am lebhafteſten ruͤhre: ſind nicht eben dadurch die Mittel ange- geben worden, wie Leidenſchaften geſchildert wer- den muͤſſen, wenn ſie den Leſer oder Zuſchauer zur Theilnehmung bewegen ſollen?
Naͤmlich jede Leidenſchaft iſt ein Zuſammen- geſeztes aus vielen; jede hat vielerley Seiten und Ausſichten. Jeder Schlag, der auf die Seele geſchieht, zerruͤttet nicht bloß den Ort, wo er hintrift, ſondern erſchuͤttert zugleich alle andre empfindliche Stellen ihres Syſtems. Die Lei- denſchaft iſt ein Feuer, deſſen Glanz und Waͤrme, von hundert Seiten gebrochen und zuruͤckprallend, ſich mit der Hauptflamme vereiniget. Was kann man alſo anders thun, um die Frage zu beant- worten: wie ſind Leidenſchaften zu ſchildern? als daß man die Zergliederung derſelben anſtellt; daß man die mittelbaren Wirkungen derſelben auf- ſucht; und daß man anzeigt, welche Elemente der Leidenſchaft, welche Art ihrer Wirkungen ſich in der Nachahmung durch Worte am beſten aus-
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uͤber das Intereſſirende.
gung der Leidenſchaft, unſre Sympathie verſtaͤrke;
daß der Streit der Leidenſchaften am lebhafteſten
ruͤhre: ſind nicht eben dadurch die Mittel ange-
geben worden, wie Leidenſchaften geſchildert wer-
den muͤſſen, wenn ſie den Leſer oder Zuſchauer zur
Theilnehmung bewegen ſollen?
Naͤmlich jede Leidenſchaft iſt ein Zuſammen-
geſeztes aus vielen; jede hat vielerley Seiten
und Ausſichten. Jeder Schlag, der auf die
Seele geſchieht, zerruͤttet nicht bloß den Ort, wo
er hintrift, ſondern erſchuͤttert zugleich alle andre
empfindliche Stellen ihres Syſtems. Die Lei-
denſchaft iſt ein Feuer, deſſen Glanz und Waͤrme,
von hundert Seiten gebrochen und zuruͤckprallend,
ſich mit der Hauptflamme vereiniget. Was kann
man alſo anders thun, um die Frage zu beant-
worten: wie ſind Leidenſchaften zu ſchildern? als
daß man die Zergliederung derſelben anſtellt; daß
man die mittelbaren Wirkungen derſelben auf-
ſucht; und daß man anzeigt, welche Elemente der
Leidenſchaft, welche Art ihrer Wirkungen ſich in
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/387>, abgerufen am 22.11.2024.
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