Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Einige Gedanken tigkeit der Seele, entweder zu Hervorbringungvon Gedanken, oder zu gewissen Bestrebungen und Entwürfen vorkömmt, sind geschickter nach- geahmt und mitgetheilt zu werden, als die, welche der Seele alle Kraft nehmen. Was ist je in der Poesie schwerer gewesen, als bloße reine Trau- rigkeit? Man schließt deswegen so bald als mög- lich, wenn man sieht, daß die Personen nichts mehr übrig haben, als zu klagen. Die Liebe selbst, diese so poetische Leidenschaft, hört auf es zu seyn, wenn sie am meisten bloß Liebe ist; und eine Scene, wo Liebhaber und Geliebte, ihrer ge- genseitigen Zuneigung schon gewiß, und von der Einwilligung ihrer Verwandten versichert, doch noch mit einander heftig verliebt und interessant reden sollen, ist eine erschreckliche schwere Scene. Warum das? Weil, wie wir schon gesagt haben, wir uns mehr mit den Wirkungen und Handlun- gen eines durch Leidenschaften aufgebrachten Ge- müths, als mit seinen Empfindungen vereinigen. Wo Eifer etwas durchzutreiben, oder Behutsam- keit etwas zu vermeiden vorkömmt; wo Schwie- Einige Gedanken tigkeit der Seele, entweder zu Hervorbringungvon Gedanken, oder zu gewiſſen Beſtrebungen und Entwuͤrfen vorkoͤmmt, ſind geſchickter nach- geahmt und mitgetheilt zu werden, als die, welche der Seele alle Kraft nehmen. Was iſt je in der Poeſie ſchwerer geweſen, als bloße reine Trau- rigkeit? Man ſchließt deswegen ſo bald als moͤg- lich, wenn man ſieht, daß die Perſonen nichts mehr uͤbrig haben, als zu klagen. Die Liebe ſelbſt, dieſe ſo poetiſche Leidenſchaft, hoͤrt auf es zu ſeyn, wenn ſie am meiſten bloß Liebe iſt; und eine Scene, wo Liebhaber und Geliebte, ihrer ge- genſeitigen Zuneigung ſchon gewiß, und von der Einwilligung ihrer Verwandten verſichert, doch noch mit einander heftig verliebt und intereſſant reden ſollen, iſt eine erſchreckliche ſchwere Scene. Warum das? Weil, wie wir ſchon geſagt haben, wir uns mehr mit den Wirkungen und Handlun- gen eines durch Leidenſchaften aufgebrachten Ge- muͤths, als mit ſeinen Empfindungen vereinigen. Wo Eifer etwas durchzutreiben, oder Behutſam- keit etwas zu vermeiden vorkoͤmmt; wo Schwie- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0374" n="368"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Einige Gedanken</hi></fw><lb/> tigkeit der Seele, entweder zu Hervorbringung<lb/> von Gedanken, oder zu gewiſſen Beſtrebungen<lb/> und Entwuͤrfen vorkoͤmmt, ſind geſchickter nach-<lb/> geahmt und mitgetheilt zu werden, als die, welche<lb/> der Seele alle Kraft nehmen. Was iſt je in der<lb/> Poeſie ſchwerer geweſen, als bloße reine Trau-<lb/> rigkeit? Man ſchließt deswegen ſo bald als moͤg-<lb/> lich, wenn man ſieht, daß die Perſonen nichts<lb/> mehr uͤbrig haben, als zu klagen. Die Liebe<lb/> ſelbſt, dieſe ſo poetiſche Leidenſchaft, hoͤrt auf es<lb/> zu ſeyn, wenn ſie am meiſten bloß Liebe iſt; und<lb/> eine Scene, wo Liebhaber und Geliebte, ihrer ge-<lb/> genſeitigen Zuneigung ſchon gewiß, und von der<lb/> Einwilligung ihrer Verwandten verſichert, doch<lb/> noch mit einander heftig verliebt und intereſſant<lb/> reden ſollen, iſt eine erſchreckliche ſchwere Scene.<lb/> Warum das? Weil, wie wir ſchon geſagt haben,<lb/> wir uns mehr mit den Wirkungen und Handlun-<lb/> gen eines durch Leidenſchaften aufgebrachten Ge-<lb/> muͤths, als mit ſeinen Empfindungen vereinigen.<lb/> Wo Eifer etwas durchzutreiben, oder Behutſam-<lb/> keit etwas zu vermeiden vorkoͤmmt; wo Schwie-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [368/0374]
Einige Gedanken
tigkeit der Seele, entweder zu Hervorbringung
von Gedanken, oder zu gewiſſen Beſtrebungen
und Entwuͤrfen vorkoͤmmt, ſind geſchickter nach-
geahmt und mitgetheilt zu werden, als die, welche
der Seele alle Kraft nehmen. Was iſt je in der
Poeſie ſchwerer geweſen, als bloße reine Trau-
rigkeit? Man ſchließt deswegen ſo bald als moͤg-
lich, wenn man ſieht, daß die Perſonen nichts
mehr uͤbrig haben, als zu klagen. Die Liebe
ſelbſt, dieſe ſo poetiſche Leidenſchaft, hoͤrt auf es
zu ſeyn, wenn ſie am meiſten bloß Liebe iſt; und
eine Scene, wo Liebhaber und Geliebte, ihrer ge-
genſeitigen Zuneigung ſchon gewiß, und von der
Einwilligung ihrer Verwandten verſichert, doch
noch mit einander heftig verliebt und intereſſant
reden ſollen, iſt eine erſchreckliche ſchwere Scene.
Warum das? Weil, wie wir ſchon geſagt haben,
wir uns mehr mit den Wirkungen und Handlun-
gen eines durch Leidenſchaften aufgebrachten Ge-
muͤths, als mit ſeinen Empfindungen vereinigen.
Wo Eifer etwas durchzutreiben, oder Behutſam-
keit etwas zu vermeiden vorkoͤmmt; wo Schwie-
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