stärker mit empfunden, als die physischen. Un- ter den physischen verstehen wir diejenigen, wel- che aus Veränderungen der äußern Umstände der Person entstehen; die, welche sich auf die Be- gierde nach Leben, Gesundheit, Rang, Vermö- gen und körperlichem Vergnügen gründen. Mo- ralisch aber nennen wir denjenigen Theil der Glückseligkeit oder des Elends, welcher aus Ver- änderungen des innern Zustandes der Seele selbst entspringt; denjenigen, welcher sich auf die Liebe des Menschen zu seiner eignen Vollkom- menheit, oder auf seine Zuneigung zu andern moralischen Wesen gründet. Es ist ein Glück zu lieben, oder geliebt zu werden, es ist ein Elend, zu hassen oder gehaßt zu seyn; es ist ein Glück bey sich selbst ruhig und mit sich zufrieden, es ist ein Unglück über sich mißvergnügt und mit seinen Handlungen unzufrieden zu seyn. Der Mensch also, welcher einen Freund verliert; der, welchen seine Mitbürger anfangen zu hassen; der das hassen muß, was er zuvor geliebt hat; der nicht mehr das hochachten kann, was er noch
Einige Gedanken
ſtaͤrker mit empfunden, als die phyſiſchen. Un- ter den phyſiſchen verſtehen wir diejenigen, wel- che aus Veraͤnderungen der aͤußern Umſtaͤnde der Perſon entſtehen; die, welche ſich auf die Be- gierde nach Leben, Geſundheit, Rang, Vermoͤ- gen und koͤrperlichem Vergnuͤgen gruͤnden. Mo- raliſch aber nennen wir denjenigen Theil der Gluͤckſeligkeit oder des Elends, welcher aus Ver- aͤnderungen des innern Zuſtandes der Seele ſelbſt entſpringt; denjenigen, welcher ſich auf die Liebe des Menſchen zu ſeiner eignen Vollkom- menheit, oder auf ſeine Zuneigung zu andern moraliſchen Weſen gruͤndet. Es iſt ein Gluͤck zu lieben, oder geliebt zu werden, es iſt ein Elend, zu haſſen oder gehaßt zu ſeyn; es iſt ein Gluͤck bey ſich ſelbſt ruhig und mit ſich zufrieden, es iſt ein Ungluͤck uͤber ſich mißvergnuͤgt und mit ſeinen Handlungen unzufrieden zu ſeyn. Der Menſch alſo, welcher einen Freund verliert; der, welchen ſeine Mitbuͤrger anfangen zu haſſen; der das haſſen muß, was er zuvor geliebt hat; der nicht mehr das hochachten kann, was er noch
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Einige Gedanken
ſtaͤrker mit empfunden, als die phyſiſchen. Un-
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Perſon entſtehen; die, welche ſich auf die Be-
gierde nach Leben, Geſundheit, Rang, Vermoͤ-
gen und koͤrperlichem Vergnuͤgen gruͤnden. Mo-
raliſch aber nennen wir denjenigen Theil der
Gluͤckſeligkeit oder des Elends, welcher aus Ver-
aͤnderungen des innern Zuſtandes der Seele
ſelbſt entſpringt; denjenigen, welcher ſich auf
die Liebe des Menſchen zu ſeiner eignen Vollkom-
menheit, oder auf ſeine Zuneigung zu andern
moraliſchen Weſen gruͤndet. Es iſt ein Gluͤck
zu lieben, oder geliebt zu werden, es iſt ein
Elend, zu haſſen oder gehaßt zu ſeyn; es iſt ein
Gluͤck bey ſich ſelbſt ruhig und mit ſich zufrieden,
es iſt ein Ungluͤck uͤber ſich mißvergnuͤgt und
mit ſeinen Handlungen unzufrieden zu ſeyn. Der
Menſch alſo, welcher einen Freund verliert; der,
welchen ſeine Mitbuͤrger anfangen zu haſſen; der
das haſſen muß, was er zuvor geliebt hat; der
nicht mehr das hochachten kann, was er noch
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/368>, abgerufen am 16.02.2025.
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