sind die meisten Regeln darüber gegeben worden; man hat nur einem gewissen Stande, einer ge- wissen Art von Umständen und Vorfällen, in Griechenland sogar nur gewissen Familien und Geschichten, erlaubet zu rühren; und das ganze übrige menschliche Leben ist bloß dem Lächer- lichen Preis gegeben worden. Diese Schranken müssen wir jezt niederreissen, da wir anfangen, die Menschheit selbst zu schätzen, was sie werth ist. Aber die andre Verschiedenheit, die Ver- schiedenheit der Eindrücke, welche dieselbe Bege- benheit auf verschiedne Gemüther macht; und welche Eiudrücke es eigentlich sind, an welchen der Zuschauer Theil nimmt, und an welchen er am meisten Theil nimmt: das ist zwar von gu- ten Dichtern nicht aus der Acht gelassen, aber von den Kunstrichtern weniger bearbeitet wor- den. Und hier nun, glauben wir, können wir, zu folge der obigen Erfahrungen und Schlüsse, folgende Regeln festsezen.
1) Alle moralische Vergnügungen und Lei- den lassen sich leichter mittheilen, und werden
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uͤber das Intereſſirende.
ſind die meiſten Regeln daruͤber gegeben worden; man hat nur einem gewiſſen Stande, einer ge- wiſſen Art von Umſtaͤnden und Vorfaͤllen, in Griechenland ſogar nur gewiſſen Familien und Geſchichten, erlaubet zu ruͤhren; und das ganze uͤbrige menſchliche Leben iſt bloß dem Laͤcher- lichen Preis gegeben worden. Dieſe Schranken muͤſſen wir jezt niederreiſſen, da wir anfangen, die Menſchheit ſelbſt zu ſchaͤtzen, was ſie werth iſt. Aber die andre Verſchiedenheit, die Ver- ſchiedenheit der Eindruͤcke, welche dieſelbe Bege- benheit auf verſchiedne Gemuͤther macht; und welche Eiudruͤcke es eigentlich ſind, an welchen der Zuſchauer Theil nimmt, und an welchen er am meiſten Theil nimmt: das iſt zwar von gu- ten Dichtern nicht aus der Acht gelaſſen, aber von den Kunſtrichtern weniger bearbeitet wor- den. Und hier nun, glauben wir, koͤnnen wir, zu folge der obigen Erfahrungen und Schluͤſſe, folgende Regeln feſtſezen.
1) Alle moraliſche Vergnuͤgungen und Lei- den laſſen ſich leichter mittheilen, und werden
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uͤber das Intereſſirende.
ſind die meiſten Regeln daruͤber gegeben worden;
man hat nur einem gewiſſen Stande, einer ge-
wiſſen Art von Umſtaͤnden und Vorfaͤllen, in
Griechenland ſogar nur gewiſſen Familien und
Geſchichten, erlaubet zu ruͤhren; und das ganze
uͤbrige menſchliche Leben iſt bloß dem Laͤcher-
lichen Preis gegeben worden. Dieſe Schranken
muͤſſen wir jezt niederreiſſen, da wir anfangen,
die Menſchheit ſelbſt zu ſchaͤtzen, was ſie werth
iſt. Aber die andre Verſchiedenheit, die Ver-
ſchiedenheit der Eindruͤcke, welche dieſelbe Bege-
benheit auf verſchiedne Gemuͤther macht; und
welche Eiudruͤcke es eigentlich ſind, an welchen
der Zuſchauer Theil nimmt, und an welchen er
am meiſten Theil nimmt: das iſt zwar von gu-
ten Dichtern nicht aus der Acht gelaſſen, aber
von den Kunſtrichtern weniger bearbeitet wor-
den. Und hier nun, glauben wir, koͤnnen wir,
zu folge der obigen Erfahrungen und Schluͤſſe,
folgende Regeln feſtſezen.
1) Alle moraliſche Vergnuͤgungen und Lei-
den laſſen ſich leichter mittheilen, und werden
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/367>, abgerufen am 16.02.2025.
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