ben können: weil sie so zu sagen alle die von ein- ander gerißnen Theile der Sache, die uns das Räsonnement einzeln und nach und nach gewiesen hatte, wieder zusammensetzen, und uns den gan- zen Körper auf einmal übersehen lassen. Solche Beyspiele nun, für die meisten, für die brauchbar- sten unsrer allgemeinen Begriffe, soll uns der Dich- ter durch seine Nachahmungen geben; und eben dadurch werden dieselben einer moralischen Absicht fähig, weil sie alle die Grundsätze der Tugend und alle die Regeln der Klugheit, die in unserm Ge- dächtnisse todt liegen, gerade auf diejenige Art uns eingedenk machen können, auf welche allein sie ei- nen Einfluß auf unser Verhalten haben. Eine Poesie, die diesen Endzweck nicht hat, die keiner wichtigen Lehre, keinem nüzlichen Begriffe Leben und anschauende Klarheit verschafft, ist nicht nur ein bloßes Spiel, und ein sehr kostbares zeitver- derbendes Spiel, sondern es ist auch größtentheils ein mattes langweiliges Vergnügen.
Nur davon müssen wir noch einige Worte sa- gen, daß die Schilderungen des Dichters unsere
Einige Gedanken
ben koͤnnen: weil ſie ſo zu ſagen alle die von ein- ander gerißnen Theile der Sache, die uns das Raͤſonnement einzeln und nach und nach gewieſen hatte, wieder zuſammenſetzen, und uns den gan- zen Koͤrper auf einmal uͤberſehen laſſen. Solche Beyſpiele nun, fuͤr die meiſten, fuͤr die brauchbar- ſten unſrer allgemeinen Begriffe, ſoll uns der Dich- ter durch ſeine Nachahmungen geben; und eben dadurch werden dieſelben einer moraliſchen Abſicht faͤhig, weil ſie alle die Grundſaͤtze der Tugend und alle die Regeln der Klugheit, die in unſerm Ge- daͤchtniſſe todt liegen, gerade auf diejenige Art uns eingedenk machen koͤnnen, auf welche allein ſie ei- nen Einfluß auf unſer Verhalten haben. Eine Poeſie, die dieſen Endzweck nicht hat, die keiner wichtigen Lehre, keinem nuͤzlichen Begriffe Leben und anſchauende Klarheit verſchafft, iſt nicht nur ein bloßes Spiel, und ein ſehr koſtbares zeitver- derbendes Spiel, ſondern es iſt auch groͤßtentheils ein mattes langweiliges Vergnuͤgen.
Nur davon muͤſſen wir noch einige Worte ſa- gen, daß die Schilderungen des Dichters unſere
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Einige Gedanken
ben koͤnnen: weil ſie ſo zu ſagen alle die von ein-
ander gerißnen Theile der Sache, die uns das
Raͤſonnement einzeln und nach und nach gewieſen
hatte, wieder zuſammenſetzen, und uns den gan-
zen Koͤrper auf einmal uͤberſehen laſſen. Solche
Beyſpiele nun, fuͤr die meiſten, fuͤr die brauchbar-
ſten unſrer allgemeinen Begriffe, ſoll uns der Dich-
ter durch ſeine Nachahmungen geben; und eben
dadurch werden dieſelben einer moraliſchen Abſicht
faͤhig, weil ſie alle die Grundſaͤtze der Tugend und
alle die Regeln der Klugheit, die in unſerm Ge-
daͤchtniſſe todt liegen, gerade auf diejenige Art uns
eingedenk machen koͤnnen, auf welche allein ſie ei-
nen Einfluß auf unſer Verhalten haben. Eine
Poeſie, die dieſen Endzweck nicht hat, die keiner
wichtigen Lehre, keinem nuͤzlichen Begriffe Leben
und anſchauende Klarheit verſchafft, iſt nicht nur
ein bloßes Spiel, und ein ſehr koſtbares zeitver-
derbendes Spiel, ſondern es iſt auch groͤßtentheils
ein mattes langweiliges Vergnuͤgen.
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/310>, abgerufen am 16.02.2025.
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