auf einmal anschauend gemacht wird; dieß ist das Interesse der poetischen Schilderung selbst.
Erweitert werden unsre Begriffe, indem uns entweder von den Dingen solche Theile und Ei- genschaften gezeigt werden, die wir selbst gar nicht bemerkt hatten, die wir aber, fogleich als sie uns bekannt werden, der Sache gemäß und mit allen ihren übrigen Theilen und Eigenschaften überein- stimmend finden; oder indem uns die feinern Züge, die einfachern Elemente, die innern Kräfte der Dinge, die in unserm eignen Begriffe zwar la- gen, aber von uns nicht unterschieden, nicht aus einander gebracht werden konnten, entdeckt und kenntlich gemacht werden. Wenn wir uns unsre Begriffe von den Dingen von der wirklichen Welt abstrahiren wollen, so müssen wir sehr aufmerksam seyn, um die Sache, die wir beobachten, nicht unter der Menge der andern, die mit ihr zugleich da sind, zu verlieren; um uns nicht durch den schnellen Fluß der äußern Veränderungen und un- srer eignen Begierden von ihr eher wegtreiben zu lassen, ehe wir noch ihre Gestalt gefaßt haben.
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uͤber das Intereſſirende.
auf einmal anſchauend gemacht wird; dieß iſt das Intereſſe der poetiſchen Schilderung ſelbſt.
Erweitert werden unſre Begriffe, indem uns entweder von den Dingen ſolche Theile und Ei- genſchaften gezeigt werden, die wir ſelbſt gar nicht bemerkt hatten, die wir aber, fogleich als ſie uns bekannt werden, der Sache gemaͤß und mit allen ihren uͤbrigen Theilen und Eigenſchaften uͤberein- ſtimmend finden; oder indem uns die feinern Zuͤge, die einfachern Elemente, die innern Kraͤfte der Dinge, die in unſerm eignen Begriffe zwar la- gen, aber von uns nicht unterſchieden, nicht aus einander gebracht werden konnten, entdeckt und kenntlich gemacht werden. Wenn wir uns unſre Begriffe von den Dingen von der wirklichen Welt abſtrahiren wollen, ſo muͤſſen wir ſehr aufmerkſam ſeyn, um die Sache, die wir beobachten, nicht unter der Menge der andern, die mit ihr zugleich da ſind, zu verlieren; um uns nicht durch den ſchnellen Fluß der aͤußern Veraͤnderungen und un- ſrer eignen Begierden von ihr eher wegtreiben zu laſſen, ehe wir noch ihre Geſtalt gefaßt haben.
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uͤber das Intereſſirende.
auf einmal anſchauend gemacht wird; dieß iſt das
Intereſſe der poetiſchen Schilderung ſelbſt.
Erweitert werden unſre Begriffe, indem uns
entweder von den Dingen ſolche Theile und Ei-
genſchaften gezeigt werden, die wir ſelbſt gar nicht
bemerkt hatten, die wir aber, fogleich als ſie uns
bekannt werden, der Sache gemaͤß und mit allen
ihren uͤbrigen Theilen und Eigenſchaften uͤberein-
ſtimmend finden; oder indem uns die feinern
Zuͤge, die einfachern Elemente, die innern Kraͤfte
der Dinge, die in unſerm eignen Begriffe zwar la-
gen, aber von uns nicht unterſchieden, nicht aus
einander gebracht werden konnten, entdeckt und
kenntlich gemacht werden. Wenn wir uns unſre
Begriffe von den Dingen von der wirklichen Welt
abſtrahiren wollen, ſo muͤſſen wir ſehr aufmerkſam
ſeyn, um die Sache, die wir beobachten, nicht
unter der Menge der andern, die mit ihr zugleich
da ſind, zu verlieren; um uns nicht durch den
ſchnellen Fluß der aͤußern Veraͤnderungen und un-
ſrer eignen Begierden von ihr eher wegtreiben zu
laſſen, ehe wir noch ihre Geſtalt gefaßt haben.
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/301>, abgerufen am 25.11.2024.
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