viel unmöglicher also muß es nicht seyn, ein rich- tiges Gemälde von dem gesammten Zustande eines Volks oder eines Zeitalters auf einzelne Stellen von Schriftstellern zu gründen, die davon im Vorbeygehen geredet haben.
Es sind seit einiger Zeit unter uns die Bar- den- und Skaldengesänge aufgekommen. Wenn man damit nichts weiter zur Absicht hat, als was Kleist bey seinem Liede eines Lappländers, und Gray bey seiner Herabkunft des Odins zur Absicht hatte, uns auf eine lebhaftere Art, als durch die bloße Erzählung geschehen kann, das Eigenthüm- liche und Sonderbare der Lebensart, der Sitten und der Dichtkunst eines merkwürdigen Volks zu zeigen: so ist die Wahl unsrer Bardensänger die glücklichste, weil uns dieses Volkes Eigenthüm- lichkeiten am erheblichsten vorkommen müssen, da wir uns für desselben Nachkommen halten kön- nen. Aber wollte man so weit gehen, daß man die wahre deutsche Poesie dadurch erst wieder auf- zuwecken glaubte, daß man dieß als die einzigen Originalgedichte, und alles Uebrige als franzö-
uͤber das Intereſſirende.
viel unmoͤglicher alſo muß es nicht ſeyn, ein rich- tiges Gemaͤlde von dem geſammten Zuſtande eines Volks oder eines Zeitalters auf einzelne Stellen von Schriftſtellern zu gruͤnden, die davon im Vorbeygehen geredet haben.
Es ſind ſeit einiger Zeit unter uns die Bar- den- und Skaldengeſaͤnge aufgekommen. Wenn man damit nichts weiter zur Abſicht hat, als was Kleiſt bey ſeinem Liede eines Lapplaͤnders, und Gray bey ſeiner Herabkunft des Odins zur Abſicht hatte, uns auf eine lebhaftere Art, als durch die bloße Erzaͤhlung geſchehen kann, das Eigenthuͤm- liche und Sonderbare der Lebensart, der Sitten und der Dichtkunſt eines merkwuͤrdigen Volks zu zeigen: ſo iſt die Wahl unſrer Bardenſaͤnger die gluͤcklichſte, weil uns dieſes Volkes Eigenthuͤm- lichkeiten am erheblichſten vorkommen muͤſſen, da wir uns fuͤr deſſelben Nachkommen halten koͤn- nen. Aber wollte man ſo weit gehen, daß man die wahre deutſche Poeſie dadurch erſt wieder auf- zuwecken glaubte, daß man dieß als die einzigen Originalgedichte, und alles Uebrige als franzoͤ-
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uͤber das Intereſſirende.
viel unmoͤglicher alſo muß es nicht ſeyn, ein rich-
tiges Gemaͤlde von dem geſammten Zuſtande eines
Volks oder eines Zeitalters auf einzelne Stellen
von Schriftſtellern zu gruͤnden, die davon im
Vorbeygehen geredet haben.
Es ſind ſeit einiger Zeit unter uns die Bar-
den- und Skaldengeſaͤnge aufgekommen. Wenn
man damit nichts weiter zur Abſicht hat, als was
Kleiſt bey ſeinem Liede eines Lapplaͤnders, und
Gray bey ſeiner Herabkunft des Odins zur Abſicht
hatte, uns auf eine lebhaftere Art, als durch die
bloße Erzaͤhlung geſchehen kann, das Eigenthuͤm-
liche und Sonderbare der Lebensart, der Sitten
und der Dichtkunſt eines merkwuͤrdigen Volks zu
zeigen: ſo iſt die Wahl unſrer Bardenſaͤnger die
gluͤcklichſte, weil uns dieſes Volkes Eigenthuͤm-
lichkeiten am erheblichſten vorkommen muͤſſen, da
wir uns fuͤr deſſelben Nachkommen halten koͤn-
nen. Aber wollte man ſo weit gehen, daß man
die wahre deutſche Poeſie dadurch erſt wieder auf-
zuwecken glaubte, daß man dieß als die einzigen
Originalgedichte, und alles Uebrige als franzoͤ-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/293>, abgerufen am 23.11.2024.
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