einem vortreflichen Herzen kann dieß Principium die Religion seyn.
Von Jugend auf scheinen die unangenehmen Empfindungen, nicht die, welche Zorn, sondern die, welche Traurigkeit erregen, bey Gellerten ge- herrscht zu haben. Sein körperliches Leiden fieng zeitig an, und seine dürftigen Umstände dauerten lange. Dieser Theil des Temperaments unter- stüzte und bestimmte manche Tugend; und wenn er einige Mängel hervorbrachte, so waren es sol- che, die nur ihm den Genuß seiner Verdienste raubten, nicht solche, die die Wirksamkeit dersel- ben verhinderten.
Das beständige Gefühl von Schwachheit oder von Schmerz hat die natürliche Wirkung, daß es den Muth schwächt, das Gemüth mit der Idee von künftigen noch größern Uebeln erfüllt, und dem Menschen ein Mistrauen gegen seine Kräfte und gegen seinen Werth beybringt. Gellert hat- te in der That eine Kraft in der Seele, die, wenn sie sich bey außerordentlichen Gelegenheiten auf eine kurze Zeit sammlete, ihn getrost und beherzt
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deſſen Schriften und Charakter.
einem vortreflichen Herzen kann dieß Principium die Religion ſeyn.
Von Jugend auf ſcheinen die unangenehmen Empfindungen, nicht die, welche Zorn, ſondern die, welche Traurigkeit erregen, bey Gellerten ge- herrſcht zu haben. Sein koͤrperliches Leiden fieng zeitig an, und ſeine duͤrftigen Umſtaͤnde dauerten lange. Dieſer Theil des Temperaments unter- ſtuͤzte und beſtimmte manche Tugend; und wenn er einige Maͤngel hervorbrachte, ſo waren es ſol- che, die nur ihm den Genuß ſeiner Verdienſte raubten, nicht ſolche, die die Wirkſamkeit derſel- ben verhinderten.
Das beſtaͤndige Gefuͤhl von Schwachheit oder von Schmerz hat die natuͤrliche Wirkung, daß es den Muth ſchwaͤcht, das Gemuͤth mit der Idee von kuͤnftigen noch groͤßern Uebeln erfuͤllt, und dem Menſchen ein Mistrauen gegen ſeine Kraͤfte und gegen ſeinen Werth beybringt. Gellert hat- te in der That eine Kraft in der Seele, die, wenn ſie ſich bey außerordentlichen Gelegenheiten auf eine kurze Zeit ſammlete, ihn getroſt und beherzt
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deſſen Schriften und Charakter.
einem vortreflichen Herzen kann dieß Principium
die Religion ſeyn.
Von Jugend auf ſcheinen die unangenehmen
Empfindungen, nicht die, welche Zorn, ſondern
die, welche Traurigkeit erregen, bey Gellerten ge-
herrſcht zu haben. Sein koͤrperliches Leiden fieng
zeitig an, und ſeine duͤrftigen Umſtaͤnde dauerten
lange. Dieſer Theil des Temperaments unter-
ſtuͤzte und beſtimmte manche Tugend; und wenn
er einige Maͤngel hervorbrachte, ſo waren es ſol-
che, die nur ihm den Genuß ſeiner Verdienſte
raubten, nicht ſolche, die die Wirkſamkeit derſel-
ben verhinderten.
Das beſtaͤndige Gefuͤhl von Schwachheit oder
von Schmerz hat die natuͤrliche Wirkung, daß es
den Muth ſchwaͤcht, das Gemuͤth mit der Idee
von kuͤnftigen noch groͤßern Uebeln erfuͤllt, und
dem Menſchen ein Mistrauen gegen ſeine Kraͤfte
und gegen ſeinen Werth beybringt. Gellert hat-
te in der That eine Kraft in der Seele, die, wenn
ſie ſich bey außerordentlichen Gelegenheiten auf
eine kurze Zeit ſammlete, ihn getroſt und beherzt
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/247>, abgerufen am 22.11.2024.
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