gehabt haben. Wir wollen jetzt sehen, was sie für Wirkungen hervorbrachten.
Sowohl seine natürlichen Kräfte, als seine erworbene Einsichten, hatten den eignen Charakter der Gemeinnützigkeit. Seine Wissenschaft und sein Genie, anstatt daß sie sonst den Mann, dem sie in einem vorzüglichen Grade eigen werden, von den übrigen gemeinern Menschen entfernen, dienten nur dazu, ihn genauer mit denselben zu vereinigen. Da sie sonst oft nichts als eine Hochachtung auflegen, die immer mit einiger Ei- fersucht, und also mit einer Art von Widerwillen verbunden ist, so sollten sie bey ihm nur seiner Tugend Zutritt verschaffen. Sie leuchteten gleich- sam vor ihm her, damit die Wirkung seines Cha- rakters und seiner Menschenliebe sich auf mehrere erstrecken könnte.
Zu dem Ende mußten seine Einsichten am mei- sten auf das praktische Leben gerichtet, sie muß- ten nicht sowohl Wissenschaft als Weisheit seyn; er mußte weniger erlernte, als Erfahrungsideen, mehr richtige Beurtheilungskraft in einzelnen
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
gehabt haben. Wir wollen jetzt ſehen, was ſie fuͤr Wirkungen hervorbrachten.
Sowohl ſeine natuͤrlichen Kraͤfte, als ſeine erworbene Einſichten, hatten den eignen Charakter der Gemeinnuͤtzigkeit. Seine Wiſſenſchaft und ſein Genie, anſtatt daß ſie ſonſt den Mann, dem ſie in einem vorzuͤglichen Grade eigen werden, von den uͤbrigen gemeinern Menſchen entfernen, dienten nur dazu, ihn genauer mit denſelben zu vereinigen. Da ſie ſonſt oft nichts als eine Hochachtung auflegen, die immer mit einiger Ei- ferſucht, und alſo mit einer Art von Widerwillen verbunden iſt, ſo ſollten ſie bey ihm nur ſeiner Tugend Zutritt verſchaffen. Sie leuchteten gleich- ſam vor ihm her, damit die Wirkung ſeines Cha- rakters und ſeiner Menſchenliebe ſich auf mehrere erſtrecken koͤnnte.
Zu dem Ende mußten ſeine Einſichten am mei- ſten auf das praktiſche Leben gerichtet, ſie muß- ten nicht ſowohl Wiſſenſchaft als Weisheit ſeyn; er mußte weniger erlernte, als Erfahrungsideen, mehr richtige Beurtheilungskraft in einzelnen
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Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
gehabt haben. Wir wollen jetzt ſehen, was ſie
fuͤr Wirkungen hervorbrachten.
Sowohl ſeine natuͤrlichen Kraͤfte, als ſeine
erworbene Einſichten, hatten den eignen Charakter
der Gemeinnuͤtzigkeit. Seine Wiſſenſchaft und
ſein Genie, anſtatt daß ſie ſonſt den Mann, dem
ſie in einem vorzuͤglichen Grade eigen werden,
von den uͤbrigen gemeinern Menſchen entfernen,
dienten nur dazu, ihn genauer mit denſelben zu
vereinigen. Da ſie ſonſt oft nichts als eine
Hochachtung auflegen, die immer mit einiger Ei-
ferſucht, und alſo mit einer Art von Widerwillen
verbunden iſt, ſo ſollten ſie bey ihm nur ſeiner
Tugend Zutritt verſchaffen. Sie leuchteten gleich-
ſam vor ihm her, damit die Wirkung ſeines Cha-
rakters und ſeiner Menſchenliebe ſich auf mehrere
erſtrecken koͤnnte.
Zu dem Ende mußten ſeine Einſichten am mei-
ſten auf das praktiſche Leben gerichtet, ſie muß-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/230>, abgerufen am 23.11.2024.
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