Richter über seine Aufführung oder seine Schriften zu haben, die man nicht so weit über sich setzet, daß ihr Rath ein Befehl und ihr Tadel ein Vorwurf würde, und die man doch auch so weit hochachtet, daß man ihr Urtheil für gültig hält, und zuweilen dem seinigen vorzieht; Freun- de von gleichem Grade des Verstandes und von gleichen Absichten, die man nicht erst in seinem männlichen Alter sich erwirbt, als wo immer die neuentstandene Vertraulichkeit Behutsamkeit und Schonung, und die Freymüthigkeit die Decke der Höflichkeit verlangt; sondern die man aus sei- nem Jünglingsalter mitbringt, in welchem man dreisten Widerspruch zu hören am leichtesten ge- wohnt wird: solche Richter, solche Freunde zu haben, ist zur Ausbildung und zur Besserung des Menschen gleich vortheilhaft. Die Correction, die in Gellerts Werken herrscht, hatte er gewiß diesen zu danken.
So weit können wir die Ursachen errathen, die auf die Denkungsart Gellerts einen Einfluß
deſſen Schriften und Charakter.
Richter uͤber ſeine Auffuͤhrung oder ſeine Schriften zu haben, die man nicht ſo weit uͤber ſich ſetzet, daß ihr Rath ein Befehl und ihr Tadel ein Vorwurf wuͤrde, und die man doch auch ſo weit hochachtet, daß man ihr Urtheil fuͤr guͤltig haͤlt, und zuweilen dem ſeinigen vorzieht; Freun- de von gleichem Grade des Verſtandes und von gleichen Abſichten, die man nicht erſt in ſeinem maͤnnlichen Alter ſich erwirbt, als wo immer die neuentſtandene Vertraulichkeit Behutſamkeit und Schonung, und die Freymuͤthigkeit die Decke der Hoͤflichkeit verlangt; ſondern die man aus ſei- nem Juͤnglingsalter mitbringt, in welchem man dreiſten Widerſpruch zu hoͤren am leichteſten ge- wohnt wird: ſolche Richter, ſolche Freunde zu haben, iſt zur Ausbildung und zur Beſſerung des Menſchen gleich vortheilhaft. Die Correction, die in Gellerts Werken herrſcht, hatte er gewiß dieſen zu danken.
So weit koͤnnen wir die Urſachen errathen, die auf die Denkungsart Gellerts einen Einfluß
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deſſen Schriften und Charakter.
Richter uͤber ſeine Auffuͤhrung oder ſeine
Schriften zu haben, die man nicht ſo weit uͤber
ſich ſetzet, daß ihr Rath ein Befehl und ihr Tadel
ein Vorwurf wuͤrde, und die man doch auch ſo
weit hochachtet, daß man ihr Urtheil fuͤr guͤltig
haͤlt, und zuweilen dem ſeinigen vorzieht; Freun-
de von gleichem Grade des Verſtandes und von
gleichen Abſichten, die man nicht erſt in ſeinem
maͤnnlichen Alter ſich erwirbt, als wo immer die
neuentſtandene Vertraulichkeit Behutſamkeit und
Schonung, und die Freymuͤthigkeit die Decke der
Hoͤflichkeit verlangt; ſondern die man aus ſei-
nem Juͤnglingsalter mitbringt, in welchem man
dreiſten Widerſpruch zu hoͤren am leichteſten ge-
wohnt wird: ſolche Richter, ſolche Freunde zu
haben, iſt zur Ausbildung und zur Beſſerung des
Menſchen gleich vortheilhaft. Die Correction,
die in Gellerts Werken herrſcht, hatte er gewiß
dieſen zu danken.
So weit koͤnnen wir die Urſachen errathen,
die auf die Denkungsart Gellerts einen Einfluß
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/229>, abgerufen am 23.11.2024.
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