Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Anmerkungen über Gellerts Moral, alsdann an, wenn diese Gedanken Folgen ande-rer Gedanken, mit einem Worte Wirkungen der Reflexion und des Nachdenkens sind. Aber wenn sie unmittelbar aus der Kraft der Seele zu ent- stehen scheinen, wenn sich die veranlassenden hö- hern oder frühern Ideen nicht finden, selbst von dem Menschen, der jene hat, nicht bemerken las- sen: dann ist, so wie allenthalben, wo wir in unserer Erklärung der Phänomene nicht mehr Wirkungen aus Wirkungen herleiten können, son- dern bis zur wirkenden Kraft selbst kommen, un- sere Untersuchung zu Ende. Und gerade diese letzte Art vortrefflicher Gedanken ist es, die wir dem Genie zuschreiben; gerade die Quelle solcher Ideen soll dieß Wort ausdrücken, die nicht durch Fleiß nach und nach ausgebildet worden, son- dern die aus dem Grunde der Seele plötzlich ent- sprungen sind. Wenn wir also hier etwas erklären, und da- Anmerkungen uͤber Gellerts Moral, alsdann an, wenn dieſe Gedanken Folgen ande-rer Gedanken, mit einem Worte Wirkungen der Reflexion und des Nachdenkens ſind. Aber wenn ſie unmittelbar aus der Kraft der Seele zu ent- ſtehen ſcheinen, wenn ſich die veranlaſſenden hoͤ- hern oder fruͤhern Ideen nicht finden, ſelbſt von dem Menſchen, der jene hat, nicht bemerken laſ- ſen: dann iſt, ſo wie allenthalben, wo wir in unſerer Erklaͤrung der Phaͤnomene nicht mehr Wirkungen aus Wirkungen herleiten koͤnnen, ſon- dern bis zur wirkenden Kraft ſelbſt kommen, un- ſere Unterſuchung zu Ende. Und gerade dieſe letzte Art vortrefflicher Gedanken iſt es, die wir dem Genie zuſchreiben; gerade die Quelle ſolcher Ideen ſoll dieß Wort ausdruͤcken, die nicht durch Fleiß nach und nach ausgebildet worden, ſon- dern die aus dem Grunde der Seele ploͤtzlich ent- ſprungen ſind. Wenn wir alſo hier etwas erklaͤren, und da- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0222" n="216"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,</hi></fw><lb/> alsdann an, wenn dieſe Gedanken Folgen ande-<lb/> rer Gedanken, mit einem Worte Wirkungen der<lb/> Reflexion und des Nachdenkens ſind. Aber wenn<lb/> ſie unmittelbar aus der Kraft der Seele zu ent-<lb/> ſtehen ſcheinen, wenn ſich die veranlaſſenden hoͤ-<lb/> hern oder fruͤhern Ideen nicht finden, ſelbſt von<lb/> dem Menſchen, der jene hat, nicht bemerken laſ-<lb/> ſen: dann iſt, ſo wie allenthalben, wo wir in<lb/> unſerer Erklaͤrung der Phaͤnomene nicht mehr<lb/> Wirkungen aus Wirkungen herleiten koͤnnen, ſon-<lb/> dern bis zur wirkenden Kraft ſelbſt kommen, un-<lb/> ſere Unterſuchung zu Ende. Und gerade dieſe<lb/> letzte Art vortrefflicher Gedanken iſt es, die wir<lb/> dem Genie zuſchreiben; gerade die Quelle ſolcher<lb/> Ideen ſoll dieß Wort ausdruͤcken, die nicht durch<lb/> Fleiß nach und nach ausgebildet worden, ſon-<lb/> dern die aus dem Grunde der Seele ploͤtzlich ent-<lb/> ſprungen ſind.</p><lb/> <p>Wenn wir alſo hier etwas erklaͤren, und da-<lb/> zu Urſachen aufſuchen wollen: ſo duͤrfen wir uns<lb/> in der Seele ſelbſt nicht mehr darnach umſehen;<lb/> ſondern wir muͤſſen die Umſtaͤnde des Menſchen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [216/0222]
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
alsdann an, wenn dieſe Gedanken Folgen ande-
rer Gedanken, mit einem Worte Wirkungen der
Reflexion und des Nachdenkens ſind. Aber wenn
ſie unmittelbar aus der Kraft der Seele zu ent-
ſtehen ſcheinen, wenn ſich die veranlaſſenden hoͤ-
hern oder fruͤhern Ideen nicht finden, ſelbſt von
dem Menſchen, der jene hat, nicht bemerken laſ-
ſen: dann iſt, ſo wie allenthalben, wo wir in
unſerer Erklaͤrung der Phaͤnomene nicht mehr
Wirkungen aus Wirkungen herleiten koͤnnen, ſon-
dern bis zur wirkenden Kraft ſelbſt kommen, un-
ſere Unterſuchung zu Ende. Und gerade dieſe
letzte Art vortrefflicher Gedanken iſt es, die wir
dem Genie zuſchreiben; gerade die Quelle ſolcher
Ideen ſoll dieß Wort ausdruͤcken, die nicht durch
Fleiß nach und nach ausgebildet worden, ſon-
dern die aus dem Grunde der Seele ploͤtzlich ent-
ſprungen ſind.
Wenn wir alſo hier etwas erklaͤren, und da-
zu Urſachen aufſuchen wollen: ſo duͤrfen wir uns
in der Seele ſelbſt nicht mehr darnach umſehen;
ſondern wir muͤſſen die Umſtaͤnde des Menſchen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |