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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Anmerkungen über Gellerts Moral,
beschäftigt. Wem bey jeder Sache eine Menge
interessanter Gedanken und Bilder zu Gebote ste-
hen, der wird leicht den ersten Gedanken vertrei-
ben können, dessen schädliche Wirksamkeit er kennt.
2) Man muß, ohne besondere Absichten, seiner
Einbildungskraft nicht gestatten, auch die sinn-
lichen Objekte anders als im Großen sich vorzu-
stellen. Wenn einmal die Seele den Hang hat,
ihre Gemälde bis auf die kleinsten Züge auszufüh-
ren, so wird ihre Begierde immer nur durch das
Einzelne, nur durch Einen Gegenstand, nur durch
Einen Umstand der Sache bestimmt seyn, und die
Tugend geht aufs Allgemeine, umfaßt Alle Ge-
genstände, zieht Alle Umstände zugleich zu Rathe.
Alles, was die Leidenschaft reizt, läßt sich so ganz
umständlich vorstellen; aber die Ideen, die zur
Tugend antreiben, sind die Ideen des Vaterlan-
des, der ganzen menschlichen Gesellschaft, der gan-
zen Natur, der ganzen Zeit, der Zukunft, die alle,
entweder nur mit dem Verstande, oder nur durch
einige große und allgemeine Züge der Einbildungs-
kraft vorgestellt werden können.

Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
beſchaͤftigt. Wem bey jeder Sache eine Menge
intereſſanter Gedanken und Bilder zu Gebote ſte-
hen, der wird leicht den erſten Gedanken vertrei-
ben koͤnnen, deſſen ſchaͤdliche Wirkſamkeit er kennt.
2) Man muß, ohne beſondere Abſichten, ſeiner
Einbildungskraft nicht geſtatten, auch die ſinn-
lichen Objekte anders als im Großen ſich vorzu-
ſtellen. Wenn einmal die Seele den Hang hat,
ihre Gemaͤlde bis auf die kleinſten Zuͤge auszufuͤh-
ren, ſo wird ihre Begierde immer nur durch das
Einzelne, nur durch Einen Gegenſtand, nur durch
Einen Umſtand der Sache beſtimmt ſeyn, und die
Tugend geht aufs Allgemeine, umfaßt Alle Ge-
genſtaͤnde, zieht Alle Umſtaͤnde zugleich zu Rathe.
Alles, was die Leidenſchaft reizt, laͤßt ſich ſo ganz
umſtaͤndlich vorſtellen; aber die Ideen, die zur
Tugend antreiben, ſind die Ideen des Vaterlan-
des, der ganzen menſchlichen Geſellſchaft, der gan-
zen Natur, der ganzen Zeit, der Zukunft, die alle,
entweder nur mit dem Verſtande, oder nur durch
einige große und allgemeine Zuͤge der Einbildungs-
kraft vorgeſtellt werden koͤnnen.

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[214/0220] Anmerkungen uͤber Gellerts Moral, beſchaͤftigt. Wem bey jeder Sache eine Menge intereſſanter Gedanken und Bilder zu Gebote ſte- hen, der wird leicht den erſten Gedanken vertrei- ben koͤnnen, deſſen ſchaͤdliche Wirkſamkeit er kennt. 2) Man muß, ohne beſondere Abſichten, ſeiner Einbildungskraft nicht geſtatten, auch die ſinn- lichen Objekte anders als im Großen ſich vorzu- ſtellen. Wenn einmal die Seele den Hang hat, ihre Gemaͤlde bis auf die kleinſten Zuͤge auszufuͤh- ren, ſo wird ihre Begierde immer nur durch das Einzelne, nur durch Einen Gegenſtand, nur durch Einen Umſtand der Sache beſtimmt ſeyn, und die Tugend geht aufs Allgemeine, umfaßt Alle Ge- genſtaͤnde, zieht Alle Umſtaͤnde zugleich zu Rathe. Alles, was die Leidenſchaft reizt, laͤßt ſich ſo ganz umſtaͤndlich vorſtellen; aber die Ideen, die zur Tugend antreiben, ſind die Ideen des Vaterlan- des, der ganzen menſchlichen Geſellſchaft, der gan- zen Natur, der ganzen Zeit, der Zukunft, die alle, entweder nur mit dem Verſtande, oder nur durch einige große und allgemeine Zuͤge der Einbildungs- kraft vorgeſtellt werden koͤnnen.

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/220>, abgerufen am 23.11.2024.