Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Anmerkungen über Gellerts Moral, an das Vergnügen des Trinkens, ehe er nach derFlasche greift. Wäre nun in diesem Augenblicke das Bild von dem Uebel oder dem Schmerze, der aus der Befriedigung folgen wird, eben so leb- haft, so wäre die Begierde überwunden. Aber das Unglück ist, daß dieses Bild gemeiniglich schwerer für die Einbildungskraft, und oft un- möglich, immer aber unbestimmt und dunkel ist. Als in unserm Falle wäre es das Bild einer künf- tigen Krankheit, aber doch keiner gewissen, zu kei- ner gewissen Zeit; oder es wäre das Bild eines Menschen, der verachtet wird, oder der sich Vor- würfe macht; aber wie wenig sinnlich ist nicht dieses Bild? Also ist nur dieß Mittel wider die Leidenschaft, entweder der Einbildungskraft alle Arten von sehr lebhaften und ausführlichen Schil- derungen, angenehmer oder verdrießlicher Gegen- stände, zu verwehren, und nur deutlichen Ueber- legungen Platz zu lassen; oder ihr die Fertigkeit zu erwerben, sich beide Arten von Bildern, die, welche der Leidenschaft, und die, welche der Tu- gend zu Diensten sind, gleich lebhaft vorzustellen. Anmerkungen uͤber Gellerts Moral, an das Vergnuͤgen des Trinkens, ehe er nach derFlaſche greift. Waͤre nun in dieſem Augenblicke das Bild von dem Uebel oder dem Schmerze, der aus der Befriedigung folgen wird, eben ſo leb- haft, ſo waͤre die Begierde uͤberwunden. Aber das Ungluͤck iſt, daß dieſes Bild gemeiniglich ſchwerer fuͤr die Einbildungskraft, und oft un- moͤglich, immer aber unbeſtimmt und dunkel iſt. Als in unſerm Falle waͤre es das Bild einer kuͤnf- tigen Krankheit, aber doch keiner gewiſſen, zu kei- ner gewiſſen Zeit; oder es waͤre das Bild eines Menſchen, der verachtet wird, oder der ſich Vor- wuͤrfe macht; aber wie wenig ſinnlich iſt nicht dieſes Bild? Alſo iſt nur dieß Mittel wider die Leidenſchaft, entweder der Einbildungskraft alle Arten von ſehr lebhaften und ausfuͤhrlichen Schil- derungen, angenehmer oder verdrießlicher Gegen- ſtaͤnde, zu verwehren, und nur deutlichen Ueber- legungen Platz zu laſſen; oder ihr die Fertigkeit zu erwerben, ſich beide Arten von Bildern, die, welche der Leidenſchaft, und die, welche der Tu- gend zu Dienſten ſind, gleich lebhaft vorzuſtellen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0218" n="212"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,</hi></fw><lb/> an das Vergnuͤgen des Trinkens, ehe er nach der<lb/> Flaſche greift. Waͤre nun in dieſem Augenblicke<lb/> das Bild von dem Uebel oder dem Schmerze, der<lb/> aus der Befriedigung folgen wird, eben ſo leb-<lb/> haft, ſo waͤre die Begierde uͤberwunden. Aber<lb/> das Ungluͤck iſt, daß dieſes Bild gemeiniglich<lb/> ſchwerer fuͤr die Einbildungskraft, und oft un-<lb/> moͤglich, immer aber unbeſtimmt und dunkel iſt.<lb/> Als in unſerm Falle waͤre es das Bild einer kuͤnf-<lb/> tigen Krankheit, aber doch keiner gewiſſen, zu kei-<lb/> ner gewiſſen Zeit; oder es waͤre das Bild eines<lb/> Menſchen, der verachtet wird, oder der ſich Vor-<lb/> wuͤrfe macht; aber wie wenig ſinnlich iſt nicht<lb/> dieſes Bild? Alſo iſt nur dieß Mittel wider die<lb/> Leidenſchaft, entweder der Einbildungskraft alle<lb/> Arten von ſehr lebhaften und ausfuͤhrlichen Schil-<lb/> derungen, angenehmer oder verdrießlicher Gegen-<lb/> ſtaͤnde, zu verwehren, und nur deutlichen Ueber-<lb/> legungen Platz zu laſſen; oder ihr die Fertigkeit<lb/> zu erwerben, ſich beide Arten von Bildern, die,<lb/> welche der Leidenſchaft, und die, welche der Tu-<lb/> gend zu Dienſten ſind, gleich lebhaft vorzuſtellen.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [212/0218]
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
an das Vergnuͤgen des Trinkens, ehe er nach der
Flaſche greift. Waͤre nun in dieſem Augenblicke
das Bild von dem Uebel oder dem Schmerze, der
aus der Befriedigung folgen wird, eben ſo leb-
haft, ſo waͤre die Begierde uͤberwunden. Aber
das Ungluͤck iſt, daß dieſes Bild gemeiniglich
ſchwerer fuͤr die Einbildungskraft, und oft un-
moͤglich, immer aber unbeſtimmt und dunkel iſt.
Als in unſerm Falle waͤre es das Bild einer kuͤnf-
tigen Krankheit, aber doch keiner gewiſſen, zu kei-
ner gewiſſen Zeit; oder es waͤre das Bild eines
Menſchen, der verachtet wird, oder der ſich Vor-
wuͤrfe macht; aber wie wenig ſinnlich iſt nicht
dieſes Bild? Alſo iſt nur dieß Mittel wider die
Leidenſchaft, entweder der Einbildungskraft alle
Arten von ſehr lebhaften und ausfuͤhrlichen Schil-
derungen, angenehmer oder verdrießlicher Gegen-
ſtaͤnde, zu verwehren, und nur deutlichen Ueber-
legungen Platz zu laſſen; oder ihr die Fertigkeit
zu erwerben, ſich beide Arten von Bildern, die,
welche der Leidenſchaft, und die, welche der Tu-
gend zu Dienſten ſind, gleich lebhaft vorzuſtellen.
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