stimmt ist: so ist es doch gewiß auch für den auf- geklärten Leser noch lehrreich, wofern er nur das Gemeine von dem Leichtbegreiflichen zu unter- scheiden, wofern er nur die Begriffe zu entwickeln weiß, deren Saame in den Betrachtungen des Verfassers liegt. Ein Beyspiel davon müssen wir nothwendig anführen.
"Die Einbildungskraft, sagt Gellert, ent- "zündet die Leidenschaften, indem sie uns die ge- "noßne Lust, oder den erlittnen Schmerz, entwe- "der größer vorstellt, als er war, oder allein vor- "stellt, da er doch mit gegenseitigen Empfindun- "gen vermischt war."
Diese Anmerkung scheint alt und bekannt; aber die Ausführung derselben leitet auf Betrachtungen, die weniger bekannt, oder weniger bemerkt sind. Dieß nämlich ist der vollständige Sinn dieser Regel. Vor jeder Be- gierde nach einem gewissen Vortheile oder Vergnü- gen geht die Vorstellung, und zwar eine bildliche Vorstellung, des vollkommnern und angenehmern Zustandes, in welchen wir uns setzen wollen, vor- her. So denkt der, welcher den Wein liebt, erst
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deſſen Schriften und Charakter.
ſtimmt iſt: ſo iſt es doch gewiß auch fuͤr den auf- geklaͤrten Leſer noch lehrreich, wofern er nur das Gemeine von dem Leichtbegreiflichen zu unter- ſcheiden, wofern er nur die Begriffe zu entwickeln weiß, deren Saame in den Betrachtungen des Verfaſſers liegt. Ein Beyſpiel davon muͤſſen wir nothwendig anfuͤhren.
„Die Einbildungskraft, ſagt Gellert, ent- „zuͤndet die Leidenſchaften, indem ſie uns die ge- „noßne Luſt, oder den erlittnen Schmerz, entwe- „der groͤßer vorſtellt, als er war, oder allein vor- „ſtellt, da er doch mit gegenſeitigen Empfindun- „gen vermiſcht war.“
Dieſe Anmerkung ſcheint alt und bekannt; aber die Ausfuͤhrung derſelben leitet auf Betrachtungen, die weniger bekannt, oder weniger bemerkt ſind. Dieß naͤmlich iſt der vollſtaͤndige Sinn dieſer Regel. Vor jeder Be- gierde nach einem gewiſſen Vortheile oder Vergnuͤ- gen geht die Vorſtellung, und zwar eine bildliche Vorſtellung, des vollkommnern und angenehmern Zuſtandes, in welchen wir uns ſetzen wollen, vor- her. So denkt der, welcher den Wein liebt, erſt
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deſſen Schriften und Charakter.
ſtimmt iſt: ſo iſt es doch gewiß auch fuͤr den auf-
geklaͤrten Leſer noch lehrreich, wofern er nur das
Gemeine von dem Leichtbegreiflichen zu unter-
ſcheiden, wofern er nur die Begriffe zu entwickeln
weiß, deren Saame in den Betrachtungen des
Verfaſſers liegt. Ein Beyſpiel davon muͤſſen
wir nothwendig anfuͤhren.
„Die Einbildungskraft, ſagt Gellert, ent-
„zuͤndet die Leidenſchaften, indem ſie uns die ge-
„noßne Luſt, oder den erlittnen Schmerz, entwe-
„der groͤßer vorſtellt, als er war, oder allein vor-
„ſtellt, da er doch mit gegenſeitigen Empfindun-
„gen vermiſcht war.“Dieſe Anmerkung ſcheint
alt und bekannt; aber die Ausfuͤhrung derſelben
leitet auf Betrachtungen, die weniger bekannt,
oder weniger bemerkt ſind. Dieß naͤmlich iſt der
vollſtaͤndige Sinn dieſer Regel. Vor jeder Be-
gierde nach einem gewiſſen Vortheile oder Vergnuͤ-
gen geht die Vorſtellung, und zwar eine bildliche
Vorſtellung, des vollkommnern und angenehmern
Zuſtandes, in welchen wir uns ſetzen wollen, vor-
her. So denkt der, welcher den Wein liebt, erſt
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/217>, abgerufen am 25.11.2024.
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