ten,) alle übrigen werden ohne Vergleich schlech- ter seyn. Ueberdieß wird es an der Verbindung und dem gehörigen Verhältnisse der Theile fehlen; und eben in dieser gleichen Ausarbeitung aller Stücke und in der richtigen Zusammenfügung derselben liegt das Geschmackvolle. Man kann also wohl sagen, daß vielleicht kein deutscher Schriftsteller diese Eigenschaft so sehr seinen Wer- ken mitgetheilt habe, als Gellert. Wenn seine Werke nicht alle von gleicher Vortrefflichkeit sind, so ist doch das Unanständige, Unschickliche in keinem.
Diesen so von Natur gleichsam gemäßigten Geist findet man gewiß auch in seiner Moral wie- der. Die Grundsätze der Pflichten sind alle da, sind bis auf einen gewissen Grad entwickelt, aber sie sind nur so weit verfolgt, als sie ohne Mühe erklärt und verstanden, nnd ohne Streitigkeiten festgesetzt werden können. Allenthalben findet man in den Abhandlungen der einzelnen Pflich- ten, daß der Verfasser ein Mann ist, der die Tu- gend kennt, weil er sie ausübt; daß er sich selbst
deſſen Schriften und Charakter.
ten,) alle uͤbrigen werden ohne Vergleich ſchlech- ter ſeyn. Ueberdieß wird es an der Verbindung und dem gehoͤrigen Verhaͤltniſſe der Theile fehlen; und eben in dieſer gleichen Ausarbeitung aller Stuͤcke und in der richtigen Zuſammenfuͤgung derſelben liegt das Geſchmackvolle. Man kann alſo wohl ſagen, daß vielleicht kein deutſcher Schriftſteller dieſe Eigenſchaft ſo ſehr ſeinen Wer- ken mitgetheilt habe, als Gellert. Wenn ſeine Werke nicht alle von gleicher Vortrefflichkeit ſind, ſo iſt doch das Unanſtaͤndige, Unſchickliche in keinem.
Dieſen ſo von Natur gleichſam gemaͤßigten Geiſt findet man gewiß auch in ſeiner Moral wie- der. Die Grundſaͤtze der Pflichten ſind alle da, ſind bis auf einen gewiſſen Grad entwickelt, aber ſie ſind nur ſo weit verfolgt, als ſie ohne Muͤhe erklaͤrt und verſtanden, nnd ohne Streitigkeiten feſtgeſetzt werden koͤnnen. Allenthalben findet man in den Abhandlungen der einzelnen Pflich- ten, daß der Verfaſſer ein Mann iſt, der die Tu- gend kennt, weil er ſie ausuͤbt; daß er ſich ſelbſt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0213"n="207"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">deſſen Schriften und Charakter.</hi></fw><lb/>
ten,) alle uͤbrigen werden ohne Vergleich ſchlech-<lb/>
ter ſeyn. Ueberdieß wird es an der Verbindung<lb/>
und dem gehoͤrigen Verhaͤltniſſe der Theile fehlen;<lb/>
und eben in dieſer gleichen Ausarbeitung aller<lb/>
Stuͤcke und in der richtigen Zuſammenfuͤgung<lb/>
derſelben liegt das Geſchmackvolle. Man kann<lb/>
alſo wohl ſagen, daß vielleicht kein deutſcher<lb/>
Schriftſteller dieſe Eigenſchaft ſo ſehr ſeinen Wer-<lb/>
ken mitgetheilt habe, als Gellert. Wenn ſeine<lb/>
Werke nicht alle von gleicher Vortrefflichkeit ſind,<lb/>ſo iſt doch das Unanſtaͤndige, Unſchickliche in<lb/>
keinem.</p><lb/><p>Dieſen ſo von Natur gleichſam gemaͤßigten<lb/>
Geiſt findet man gewiß auch in ſeiner Moral wie-<lb/>
der. Die Grundſaͤtze der Pflichten ſind alle da,<lb/>ſind bis auf einen gewiſſen Grad entwickelt, aber<lb/>ſie ſind nur ſo weit verfolgt, als ſie ohne Muͤhe<lb/>
erklaͤrt und verſtanden, nnd ohne Streitigkeiten<lb/>
feſtgeſetzt werden koͤnnen. Allenthalben findet<lb/>
man in den Abhandlungen der einzelnen Pflich-<lb/>
ten, daß der Verfaſſer ein Mann iſt, der die Tu-<lb/>
gend kennt, weil er ſie ausuͤbt; daß er ſich ſelbſt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[207/0213]
deſſen Schriften und Charakter.
ten,) alle uͤbrigen werden ohne Vergleich ſchlech-
ter ſeyn. Ueberdieß wird es an der Verbindung
und dem gehoͤrigen Verhaͤltniſſe der Theile fehlen;
und eben in dieſer gleichen Ausarbeitung aller
Stuͤcke und in der richtigen Zuſammenfuͤgung
derſelben liegt das Geſchmackvolle. Man kann
alſo wohl ſagen, daß vielleicht kein deutſcher
Schriftſteller dieſe Eigenſchaft ſo ſehr ſeinen Wer-
ken mitgetheilt habe, als Gellert. Wenn ſeine
Werke nicht alle von gleicher Vortrefflichkeit ſind,
ſo iſt doch das Unanſtaͤndige, Unſchickliche in
keinem.
Dieſen ſo von Natur gleichſam gemaͤßigten
Geiſt findet man gewiß auch in ſeiner Moral wie-
der. Die Grundſaͤtze der Pflichten ſind alle da,
ſind bis auf einen gewiſſen Grad entwickelt, aber
ſie ſind nur ſo weit verfolgt, als ſie ohne Muͤhe
erklaͤrt und verſtanden, nnd ohne Streitigkeiten
feſtgeſetzt werden koͤnnen. Allenthalben findet
man in den Abhandlungen der einzelnen Pflich-
ten, daß der Verfaſſer ein Mann iſt, der die Tu-
gend kennt, weil er ſie ausuͤbt; daß er ſich ſelbſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/213>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.