die ersten Gründe von Verbindlichkeit erwarten: aber er konnte wissen, daß er die Religion zum Grunde der Moral gesetzt; daß er die einzelnen Tugenden sorgfältig erklärt; ihre Bewegungs- gründe auf die eindringendste Art eingeschärft; die Mittel zu ihrer leichtern Ausübung aus der Erfahrung geschöpft; daß er durchgängig Eifer für die Religion, Zärtlichkeit für die, welche er belehrte; daß er in den Begriffen Deutlichkeit ohne mühsame Zergliederungen, und Ordnung ohne strenge Methode; daß er im Vortrage An- muth und Beredsamkeit, den rührenden Ton vä- terlicher Ermahnungen und die eindringende Stimme eines tugendhaften Freundes finden würde. Wer dieß in diesem Werke sucht, der findet es gewiß, und er wird Gellerten darinn erkennen.
Wir haben schon oft, dünkt uns, das Urtheil gehört und gelesen: daß diese Moral kein System sey. Wir sollten denken, wenn ein System eine Reihe von Wahrheiten ist, die zusammenhängen, und davon die vorhergehenden zum Verstande
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deſſen Schriften und Charakter.
die erſten Gruͤnde von Verbindlichkeit erwarten: aber er konnte wiſſen, daß er die Religion zum Grunde der Moral geſetzt; daß er die einzelnen Tugenden ſorgfaͤltig erklaͤrt; ihre Bewegungs- gruͤnde auf die eindringendſte Art eingeſchaͤrft; die Mittel zu ihrer leichtern Ausuͤbung aus der Erfahrung geſchoͤpft; daß er durchgaͤngig Eifer fuͤr die Religion, Zaͤrtlichkeit fuͤr die, welche er belehrte; daß er in den Begriffen Deutlichkeit ohne muͤhſame Zergliederungen, und Ordnung ohne ſtrenge Methode; daß er im Vortrage An- muth und Beredſamkeit, den ruͤhrenden Ton vaͤ- terlicher Ermahnungen und die eindringende Stimme eines tugendhaften Freundes finden wuͤrde. Wer dieß in dieſem Werke ſucht, der findet es gewiß, und er wird Gellerten darinn erkennen.
Wir haben ſchon oft, duͤnkt uns, das Urtheil gehoͤrt und geleſen: daß dieſe Moral kein Syſtem ſey. Wir ſollten denken, wenn ein Syſtem eine Reihe von Wahrheiten iſt, die zuſammenhaͤngen, und davon die vorhergehenden zum Verſtande
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deſſen Schriften und Charakter.
die erſten Gruͤnde von Verbindlichkeit erwarten:
aber er konnte wiſſen, daß er die Religion zum
Grunde der Moral geſetzt; daß er die einzelnen
Tugenden ſorgfaͤltig erklaͤrt; ihre Bewegungs-
gruͤnde auf die eindringendſte Art eingeſchaͤrft;
die Mittel zu ihrer leichtern Ausuͤbung aus der
Erfahrung geſchoͤpft; daß er durchgaͤngig Eifer
fuͤr die Religion, Zaͤrtlichkeit fuͤr die, welche er
belehrte; daß er in den Begriffen Deutlichkeit
ohne muͤhſame Zergliederungen, und Ordnung
ohne ſtrenge Methode; daß er im Vortrage An-
muth und Beredſamkeit, den ruͤhrenden Ton vaͤ-
terlicher Ermahnungen und die eindringende
Stimme eines tugendhaften Freundes finden
wuͤrde. Wer dieß in dieſem Werke ſucht, der
findet es gewiß, und er wird Gellerten darinn
erkennen.
Wir haben ſchon oft, duͤnkt uns, das Urtheil
gehoͤrt und geleſen: daß dieſe Moral kein Syſtem
ſey. Wir ſollten denken, wenn ein Syſtem eine
Reihe von Wahrheiten iſt, die zuſammenhaͤngen,
und davon die vorhergehenden zum Verſtande
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/205>, abgerufen am 16.02.2025.
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