stark? das ist die Frage, die man zuerst entschei- den muß. Ich setze mich in die Stelle des Va- ters und Lehrers, und folge dem Kinde in allen seinen Bewegungen.
1. Das erste, worauf ich Acht haben werde, ist, ob das Kind die Sachen, die es einmal em- pfunden hat, geschwind und leicht wieder er- kennt. Diese Beobachtung werde ich selbst zu der Zeit anstellen, wo das Kind für diese Empfin- dungen noch keine Worte hat. Der Schluß selbst ist klar. Um eine Sache wiederzuerken- nen, ist nöthig, den alten und den gegenwärti- gen Eindruck zu vergleichen. Je geschwinder diese Vergleichung geschieht, desto merklicher müs- sen die Spuren seyn, die die Sache in der Seele zurückgelassen hat. Man sieht zugleich, warum dieses Merkmal bey Kindern richtig ist, und bey Erwachsenen trügt. Die Seele der ersten be- schäftigt sich ganz allein mit Empfindungen; ihre Aufmerksamkeit ist niemals zwischen den sinnli- chen Gegenständen und allgemeinen Ideen ge- theilt; und das Maaß der Stärke also, mit wel-
Ueber die Pruͤfung
ſtark? das iſt die Frage, die man zuerſt entſchei- den muß. Ich ſetze mich in die Stelle des Va- ters und Lehrers, und folge dem Kinde in allen ſeinen Bewegungen.
1. Das erſte, worauf ich Acht haben werde, iſt, ob das Kind die Sachen, die es einmal em- pfunden hat, geſchwind und leicht wieder er- kennt. Dieſe Beobachtung werde ich ſelbſt zu der Zeit anſtellen, wo das Kind fuͤr dieſe Empfin- dungen noch keine Worte hat. Der Schluß ſelbſt iſt klar. Um eine Sache wiederzuerken- nen, iſt noͤthig, den alten und den gegenwaͤrti- gen Eindruck zu vergleichen. Je geſchwinder dieſe Vergleichung geſchieht, deſto merklicher muͤſ- ſen die Spuren ſeyn, die die Sache in der Seele zuruͤckgelaſſen hat. Man ſieht zugleich, warum dieſes Merkmal bey Kindern richtig iſt, und bey Erwachſenen truͤgt. Die Seele der erſten be- ſchaͤftigt ſich ganz allein mit Empfindungen; ihre Aufmerkſamkeit iſt niemals zwiſchen den ſinnli- chen Gegenſtaͤnden und allgemeinen Ideen ge- theilt; und das Maaß der Staͤrke alſo, mit wel-
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Ueber die Pruͤfung
ſtark? das iſt die Frage, die man zuerſt entſchei-
den muß. Ich ſetze mich in die Stelle des Va-
ters und Lehrers, und folge dem Kinde in allen
ſeinen Bewegungen.
1. Das erſte, worauf ich Acht haben werde,
iſt, ob das Kind die Sachen, die es einmal em-
pfunden hat, geſchwind und leicht wieder er-
kennt. Dieſe Beobachtung werde ich ſelbſt zu
der Zeit anſtellen, wo das Kind fuͤr dieſe Empfin-
dungen noch keine Worte hat. Der Schluß
ſelbſt iſt klar. Um eine Sache wiederzuerken-
nen, iſt noͤthig, den alten und den gegenwaͤrti-
gen Eindruck zu vergleichen. Je geſchwinder
dieſe Vergleichung geſchieht, deſto merklicher muͤſ-
ſen die Spuren ſeyn, die die Sache in der Seele
zuruͤckgelaſſen hat. Man ſieht zugleich, warum
dieſes Merkmal bey Kindern richtig iſt, und bey
Erwachſenen truͤgt. Die Seele der erſten be-
ſchaͤftigt ſich ganz allein mit Empfindungen; ihre
Aufmerkſamkeit iſt niemals zwiſchen den ſinnli-
chen Gegenſtaͤnden und allgemeinen Ideen ge-
theilt; und das Maaß der Staͤrke alſo, mit wel-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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