Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
der ältesten und neuern Schriftsteller.

Wir finden einen großen Theil dieser Anmer-
kungen durch eine Art von Originalen bestätigt,
die aus den alten Zeiten zu uns gekommen sind;
ich meyne die Stücke der alten hebräischen Poesie.
Hier sehen wir eine andre Natur, andre Meynun-
gen, andre Begebenheiten, eine andre Verfassung
eben so ungehindert auf den Geist des Dichters
wirken. In der That sind auch die Werke, die
er hervorbringt, eben so originell, eben so seinem
Volke und Lande angemessen, als die Werke der
Griechen den ihrigen. Nur ist hier die Denkungs-
art noch antiker, die Einbildungskraft noch ge-
schäftiger, der Bilder noch mehr, der abstrakten
Begriffe noch weniger, und diese noch schwanken-
der; die Sprache nicht bloß allegorisch, sondern
zum Theil noch hieroglyphisch; noch mehr Feuer
und Enthusiasmus in der Beschreibung der sicht-
baren Natur; noch weniger Kenntniß des innern
Menschen, seiner Fähigkeiten und Neigungen; die
Ideen noch alle mehr einzeln, alle gleichsam noch
einfache Erschütterungen der Empfindung, ohne
bemerkte Verhältnisse; aber alle diese Gegenstände

N
der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.

Wir finden einen großen Theil dieſer Anmer-
kungen durch eine Art von Originalen beſtaͤtigt,
die aus den alten Zeiten zu uns gekommen ſind;
ich meyne die Stuͤcke der alten hebraͤiſchen Poeſie.
Hier ſehen wir eine andre Natur, andre Meynun-
gen, andre Begebenheiten, eine andre Verfaſſung
eben ſo ungehindert auf den Geiſt des Dichters
wirken. In der That ſind auch die Werke, die
er hervorbringt, eben ſo originell, eben ſo ſeinem
Volke und Lande angemeſſen, als die Werke der
Griechen den ihrigen. Nur iſt hier die Denkungs-
art noch antiker, die Einbildungskraft noch ge-
ſchaͤftiger, der Bilder noch mehr, der abſtrakten
Begriffe noch weniger, und dieſe noch ſchwanken-
der; die Sprache nicht bloß allegoriſch, ſondern
zum Theil noch hieroglyphiſch; noch mehr Feuer
und Enthuſiaſmus in der Beſchreibung der ſicht-
baren Natur; noch weniger Kenntniß des innern
Menſchen, ſeiner Faͤhigkeiten und Neigungen; die
Ideen noch alle mehr einzeln, alle gleichſam noch
einfache Erſchuͤtterungen der Empfindung, ohne
bemerkte Verhaͤltniſſe; aber alle dieſe Gegenſtaͤnde

N
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0199" n="193"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der a&#x0364;lte&#x017F;ten und neuern Schrift&#x017F;teller.</hi> </fw><lb/>
        <p>Wir finden einen großen Theil die&#x017F;er Anmer-<lb/>
kungen durch eine Art von Originalen be&#x017F;ta&#x0364;tigt,<lb/>
die aus den alten Zeiten zu uns gekommen &#x017F;ind;<lb/>
ich meyne die Stu&#x0364;cke der alten hebra&#x0364;i&#x017F;chen Poe&#x017F;ie.<lb/>
Hier &#x017F;ehen wir eine andre Natur, andre Meynun-<lb/>
gen, andre Begebenheiten, eine andre Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
eben &#x017F;o ungehindert auf den Gei&#x017F;t des Dichters<lb/>
wirken. In der That &#x017F;ind auch die Werke, die<lb/>
er hervorbringt, eben &#x017F;o originell, eben &#x017F;o &#x017F;einem<lb/>
Volke und Lande angeme&#x017F;&#x017F;en, als die Werke der<lb/>
Griechen den ihrigen. Nur i&#x017F;t hier die Denkungs-<lb/>
art noch antiker, die Einbildungskraft noch ge-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftiger, der Bilder noch mehr, der ab&#x017F;trakten<lb/>
Begriffe noch weniger, und die&#x017F;e noch &#x017F;chwanken-<lb/>
der; die Sprache nicht bloß allegori&#x017F;ch, &#x017F;ondern<lb/>
zum Theil noch hieroglyphi&#x017F;ch; noch mehr Feuer<lb/>
und Enthu&#x017F;ia&#x017F;mus in der Be&#x017F;chreibung der &#x017F;icht-<lb/>
baren Natur; noch weniger Kenntniß des innern<lb/>
Men&#x017F;chen, &#x017F;einer Fa&#x0364;higkeiten und Neigungen; die<lb/>
Ideen noch alle mehr einzeln, alle gleich&#x017F;am noch<lb/>
einfache Er&#x017F;chu&#x0364;tterungen der Empfindung, ohne<lb/>
bemerkte Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e; aber alle die&#x017F;e Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0199] der aͤlteſten und neuern Schriftſteller. Wir finden einen großen Theil dieſer Anmer- kungen durch eine Art von Originalen beſtaͤtigt, die aus den alten Zeiten zu uns gekommen ſind; ich meyne die Stuͤcke der alten hebraͤiſchen Poeſie. Hier ſehen wir eine andre Natur, andre Meynun- gen, andre Begebenheiten, eine andre Verfaſſung eben ſo ungehindert auf den Geiſt des Dichters wirken. In der That ſind auch die Werke, die er hervorbringt, eben ſo originell, eben ſo ſeinem Volke und Lande angemeſſen, als die Werke der Griechen den ihrigen. Nur iſt hier die Denkungs- art noch antiker, die Einbildungskraft noch ge- ſchaͤftiger, der Bilder noch mehr, der abſtrakten Begriffe noch weniger, und dieſe noch ſchwanken- der; die Sprache nicht bloß allegoriſch, ſondern zum Theil noch hieroglyphiſch; noch mehr Feuer und Enthuſiaſmus in der Beſchreibung der ſicht- baren Natur; noch weniger Kenntniß des innern Menſchen, ſeiner Faͤhigkeiten und Neigungen; die Ideen noch alle mehr einzeln, alle gleichſam noch einfache Erſchuͤtterungen der Empfindung, ohne bemerkte Verhaͤltniſſe; aber alle dieſe Gegenſtaͤnde N

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/199
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/199>, abgerufen am 24.11.2024.