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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Verschiedenheiten in den Werken
System der Alten war rein, einfach, ganz allein
durch ihre eignen Umstände bestimmt; das unsrige
ist vermischt, zusammengesezt, der Abdruck zweyer
verschiedenen Gestalten des menschlichen Geschlech-
tes zugleich.

Es ist eine bekannte Anmerkung, daß es sehr
wenig schön gesagte Gedanken giebt, die nicht et-
was Falsches enthielten, die nicht, um schön zu
werden, etwas hätten müssen übertrieben werden.
Man muß entweder das in der vollkommensten
Allgemeinheit ausdrücken, was nur auf einige
Fälle paßt, oder man muß den höchsten Grad
nennen, wo nur ein niedrigerer vorhanden ist.
Ideen, die nur einige Verschiedenheiten haben,
müssen durch die Verbergung ihrer Aehnlichkeiten
zu einem vollkommnen Kontraste erhöht, andere,
die sich nur in einigen Merkmalen ähnlich sind,
zur vollkommnen Uebereinstimmung gebracht wer-
den. Man untersuche einmal die glänzendsten
Ideen aus den besten philosophischen Dichtern
unsers Jahrhunderts, aus den Philosophen selbst,
die aber zugleich schön schreiben wollen, und frage

Verſchiedenheiten in den Werken
Syſtem der Alten war rein, einfach, ganz allein
durch ihre eignen Umſtaͤnde beſtimmt; das unſrige
iſt vermiſcht, zuſammengeſezt, der Abdruck zweyer
verſchiedenen Geſtalten des menſchlichen Geſchlech-
tes zugleich.

Es iſt eine bekannte Anmerkung, daß es ſehr
wenig ſchoͤn geſagte Gedanken giebt, die nicht et-
was Falſches enthielten, die nicht, um ſchoͤn zu
werden, etwas haͤtten muͤſſen uͤbertrieben werden.
Man muß entweder das in der vollkommenſten
Allgemeinheit ausdruͤcken, was nur auf einige
Faͤlle paßt, oder man muß den hoͤchſten Grad
nennen, wo nur ein niedrigerer vorhanden iſt.
Ideen, die nur einige Verſchiedenheiten haben,
muͤſſen durch die Verbergung ihrer Aehnlichkeiten
zu einem vollkommnen Kontraſte erhoͤht, andere,
die ſich nur in einigen Merkmalen aͤhnlich ſind,
zur vollkommnen Uebereinſtimmung gebracht wer-
den. Man unterſuche einmal die glaͤnzendſten
Ideen aus den beſten philoſophiſchen Dichtern
unſers Jahrhunderts, aus den Philoſophen ſelbſt,
die aber zugleich ſchoͤn ſchreiben wollen, und frage

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[188/0194] Verſchiedenheiten in den Werken Syſtem der Alten war rein, einfach, ganz allein durch ihre eignen Umſtaͤnde beſtimmt; das unſrige iſt vermiſcht, zuſammengeſezt, der Abdruck zweyer verſchiedenen Geſtalten des menſchlichen Geſchlech- tes zugleich. Es iſt eine bekannte Anmerkung, daß es ſehr wenig ſchoͤn geſagte Gedanken giebt, die nicht et- was Falſches enthielten, die nicht, um ſchoͤn zu werden, etwas haͤtten muͤſſen uͤbertrieben werden. Man muß entweder das in der vollkommenſten Allgemeinheit ausdruͤcken, was nur auf einige Faͤlle paßt, oder man muß den hoͤchſten Grad nennen, wo nur ein niedrigerer vorhanden iſt. Ideen, die nur einige Verſchiedenheiten haben, muͤſſen durch die Verbergung ihrer Aehnlichkeiten zu einem vollkommnen Kontraſte erhoͤht, andere, die ſich nur in einigen Merkmalen aͤhnlich ſind, zur vollkommnen Uebereinſtimmung gebracht wer- den. Man unterſuche einmal die glaͤnzendſten Ideen aus den beſten philoſophiſchen Dichtern unſers Jahrhunderts, aus den Philoſophen ſelbſt, die aber zugleich ſchoͤn ſchreiben wollen, und frage

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/194>, abgerufen am 23.11.2024.