Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Verschiedenheiten in den Werken zu finden im Stande sind. Denn die Sprachen,in denen sie geschrieben sind, erfordern ein langes Studium; und wenige gelangen dazu, sie bis auf den Grad zu kennen, daß das Lesen des Ori- ginals auf sie denjenigen unmittelbaren Eindruck des Vergnügens macht, nach welchem wir ohne weitere Regeln von dem Vorzuge eines Werks ur- theilen können. Dasjenige, wovon dieser Ein- druck abhängt, liegt in der That bey den Alten wie bey den Neuen weit weniger in dem, was sich durch allgemeine Regeln sagen, erklären und fin- den läßt, als in der unnennbaren Richtigkeit und Malerey des Ausdrucks; in tausend Kleinigkei- ten, die so in das Innere der Sprache verwebt sind, daß nicht der Verstand, sondern nur das Gefühl sie bemerken kann. Man darf sicher aus der Schwierigkeit, die es kostet, sich ein solches Gefühl zu erwerben, und der Menge der Bewun- derer, die dem unerachtet die Alten haben, schlies- sen, daß der größte Theil es nur aus einer falschen Scham ist; sie fürchten durch einen öffentlichen Widerspruch gegen die allgemeine Meynung sich Verſchiedenheiten in den Werken zu finden im Stande ſind. Denn die Sprachen,in denen ſie geſchrieben ſind, erfordern ein langes Studium; und wenige gelangen dazu, ſie bis auf den Grad zu kennen, daß das Leſen des Ori- ginals auf ſie denjenigen unmittelbaren Eindruck des Vergnuͤgens macht, nach welchem wir ohne weitere Regeln von dem Vorzuge eines Werks ur- theilen koͤnnen. Dasjenige, wovon dieſer Ein- druck abhaͤngt, liegt in der That bey den Alten wie bey den Neuen weit weniger in dem, was ſich durch allgemeine Regeln ſagen, erklaͤren und fin- den laͤßt, als in der unnennbaren Richtigkeit und Malerey des Ausdrucks; in tauſend Kleinigkei- ten, die ſo in das Innere der Sprache verwebt ſind, daß nicht der Verſtand, ſondern nur das Gefuͤhl ſie bemerken kann. Man darf ſicher aus der Schwierigkeit, die es koſtet, ſich ein ſolches Gefuͤhl zu erwerben, und der Menge der Bewun- derer, die dem unerachtet die Alten haben, ſchlieſ- ſen, daß der groͤßte Theil es nur aus einer falſchen Scham iſt; ſie fuͤrchten durch einen oͤffentlichen Widerſpruch gegen die allgemeine Meynung ſich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0192" n="186"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Verſchiedenheiten in den Werken</hi></fw><lb/> zu finden im Stande ſind. Denn die Sprachen,<lb/> in denen ſie geſchrieben ſind, erfordern ein langes<lb/> Studium; und wenige gelangen dazu, ſie bis<lb/> auf den Grad zu kennen, daß das Leſen des Ori-<lb/> ginals auf ſie denjenigen unmittelbaren Eindruck<lb/> des Vergnuͤgens macht, nach welchem wir ohne<lb/> weitere Regeln von dem Vorzuge eines Werks ur-<lb/> theilen koͤnnen. Dasjenige, wovon dieſer Ein-<lb/> druck abhaͤngt, liegt in der That bey den Alten<lb/> wie bey den Neuen weit weniger in dem, was ſich<lb/> durch allgemeine Regeln ſagen, erklaͤren und fin-<lb/> den laͤßt, als in der unnennbaren Richtigkeit und<lb/> Malerey des Ausdrucks; in tauſend Kleinigkei-<lb/> ten, die ſo in das Innere der Sprache verwebt<lb/> ſind, daß nicht der Verſtand, ſondern nur das<lb/> Gefuͤhl ſie bemerken kann. Man darf ſicher aus<lb/> der Schwierigkeit, die es koſtet, ſich ein ſolches<lb/> Gefuͤhl zu erwerben, und der Menge der Bewun-<lb/> derer, die dem unerachtet die Alten haben, ſchlieſ-<lb/> ſen, daß der groͤßte Theil es nur aus einer falſchen<lb/> Scham iſt; ſie fuͤrchten durch einen oͤffentlichen<lb/> Widerſpruch gegen die allgemeine Meynung ſich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [186/0192]
Verſchiedenheiten in den Werken
zu finden im Stande ſind. Denn die Sprachen,
in denen ſie geſchrieben ſind, erfordern ein langes
Studium; und wenige gelangen dazu, ſie bis
auf den Grad zu kennen, daß das Leſen des Ori-
ginals auf ſie denjenigen unmittelbaren Eindruck
des Vergnuͤgens macht, nach welchem wir ohne
weitere Regeln von dem Vorzuge eines Werks ur-
theilen koͤnnen. Dasjenige, wovon dieſer Ein-
druck abhaͤngt, liegt in der That bey den Alten
wie bey den Neuen weit weniger in dem, was ſich
durch allgemeine Regeln ſagen, erklaͤren und fin-
den laͤßt, als in der unnennbaren Richtigkeit und
Malerey des Ausdrucks; in tauſend Kleinigkei-
ten, die ſo in das Innere der Sprache verwebt
ſind, daß nicht der Verſtand, ſondern nur das
Gefuͤhl ſie bemerken kann. Man darf ſicher aus
der Schwierigkeit, die es koſtet, ſich ein ſolches
Gefuͤhl zu erwerben, und der Menge der Bewun-
derer, die dem unerachtet die Alten haben, ſchlieſ-
ſen, daß der groͤßte Theil es nur aus einer falſchen
Scham iſt; ſie fuͤrchten durch einen oͤffentlichen
Widerſpruch gegen die allgemeine Meynung ſich
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