sehr auf das Einzelne, und bestimmen jeden Theil der Sache, wenn ihr Anblick geschildert werden soll; sie halten sich bloß an das Allgemeine, und geben nur überhaupt die Gattung an, wenn ihre Kräfte und Gesetze berührt werden: wir hingegen geben von den sichtbaren Veränderungen nur un- gefähre schwankende Bilder, von den geistigen ge- naue zergliederte Begriffe.
Aus dem Haufen dieser Verschiedenheiten wol- len wir noch besonders zwey herausheben.
Erstlich: Alle alte Gedichte der Griechen sind eine Art von Denkmälern, die zwar nicht die ge- naue Wahrheit und die wirkliche Geschichte ent- halten, aber doch etwas ihr Aehnliches überlie- fern. Alles, was ihre Dichter von ihren Göt- tern und Helden erzählen, so unwahrscheinlich es auch seyn mag, wenn es mit der Natur der Dinge und des Menschen überhaupt verglichen wird, be- kömmt doch eine Art von Glaubwürdigkeit, wenn man es mit der Natur und der besondern Ge- schichte des Landes vergleicht. Das System ih- rer politischen und gottesdienstlichen Einrichtun-
Verſchiedenheiten in den Werken
ſehr auf das Einzelne, und beſtimmen jeden Theil der Sache, wenn ihr Anblick geſchildert werden ſoll; ſie halten ſich bloß an das Allgemeine, und geben nur uͤberhaupt die Gattung an, wenn ihre Kraͤfte und Geſetze beruͤhrt werden: wir hingegen geben von den ſichtbaren Veraͤnderungen nur un- gefaͤhre ſchwankende Bilder, von den geiſtigen ge- naue zergliederte Begriffe.
Aus dem Haufen dieſer Verſchiedenheiten wol- len wir noch beſonders zwey herausheben.
Erſtlich: Alle alte Gedichte der Griechen ſind eine Art von Denkmaͤlern, die zwar nicht die ge- naue Wahrheit und die wirkliche Geſchichte ent- halten, aber doch etwas ihr Aehnliches uͤberlie- fern. Alles, was ihre Dichter von ihren Goͤt- tern und Helden erzaͤhlen, ſo unwahrſcheinlich es auch ſeyn mag, wenn es mit der Natur der Dinge und des Menſchen uͤberhaupt verglichen wird, be- koͤmmt doch eine Art von Glaubwuͤrdigkeit, wenn man es mit der Natur und der beſondern Ge- ſchichte des Landes vergleicht. Das Syſtem ih- rer politiſchen und gottesdienſtlichen Einrichtun-
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Verſchiedenheiten in den Werken
ſehr auf das Einzelne, und beſtimmen jeden Theil
der Sache, wenn ihr Anblick geſchildert werden
ſoll; ſie halten ſich bloß an das Allgemeine, und
geben nur uͤberhaupt die Gattung an, wenn ihre
Kraͤfte und Geſetze beruͤhrt werden: wir hingegen
geben von den ſichtbaren Veraͤnderungen nur un-
gefaͤhre ſchwankende Bilder, von den geiſtigen ge-
naue zergliederte Begriffe.
Aus dem Haufen dieſer Verſchiedenheiten wol-
len wir noch beſonders zwey herausheben.
Erſtlich: Alle alte Gedichte der Griechen ſind
eine Art von Denkmaͤlern, die zwar nicht die ge-
naue Wahrheit und die wirkliche Geſchichte ent-
halten, aber doch etwas ihr Aehnliches uͤberlie-
fern. Alles, was ihre Dichter von ihren Goͤt-
tern und Helden erzaͤhlen, ſo unwahrſcheinlich es
auch ſeyn mag, wenn es mit der Natur der Dinge
und des Menſchen uͤberhaupt verglichen wird, be-
koͤmmt doch eine Art von Glaubwuͤrdigkeit, wenn
man es mit der Natur und der beſondern Ge-
ſchichte des Landes vergleicht. Das Syſtem ih-
rer politiſchen und gottesdienſtlichen Einrichtun-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/186>, abgerufen am 23.11.2024.
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