innern Seite, die Philosophie seines Herzens, in den Alten mehr oder nur eben so gut kennen lern- te, als in einigen vortreflichen Werken der Neuern. Vielleicht sind dafür Handlungen und Reden bey jenen genauere Kopien der damaligen Natur, als sie es bey unsern Dichtern von der unstigen sind. Unsere Imagination bekömmt dort vielleicht ge- treuere Bilder: aber unser Verstand erhält weni- ger Begriffe, oder weniger Unterschiede unter ähn- lichen Begriffen. Unser Herz wird vielleicht hef- tiger angegriffen; aber die Schläge sind einförmi- ger, und zielen mehr darauf ab, das Ganze un- serer Empfindungen überhaupt in Bewegung zu setzen, als eine jede einzelne Saite derselben beson- ders zu rühren.
Kein Unterschied zwischen den alten und neuen Dichtern ist sichtbarer als der, daß jene mehr Dinge wußten und schilderten, dieser ihre Kennt- nisse eingeschränkter, aber tiefer sind.
Es giebt izt unter dem Haufen der wißbaren Dinge einen Theil, der, so zu sagen, das gemein- schaftliche Gut aller menschlichen Geister aus-
Verſchiedenheiten in den Werken
innern Seite, die Philoſophie ſeines Herzens, in den Alten mehr oder nur eben ſo gut kennen lern- te, als in einigen vortreflichen Werken der Neuern. Vielleicht ſind dafuͤr Handlungen und Reden bey jenen genauere Kopien der damaligen Natur, als ſie es bey unſern Dichtern von der unſtigen ſind. Unſere Imagination bekoͤmmt dort vielleicht ge- treuere Bilder: aber unſer Verſtand erhaͤlt weni- ger Begriffe, oder weniger Unterſchiede unter aͤhn- lichen Begriffen. Unſer Herz wird vielleicht hef- tiger angegriffen; aber die Schlaͤge ſind einfoͤrmi- ger, und zielen mehr darauf ab, das Ganze un- ſerer Empfindungen uͤberhaupt in Bewegung zu ſetzen, als eine jede einzelne Saite derſelben beſon- ders zu ruͤhren.
Kein Unterſchied zwiſchen den alten und neuen Dichtern iſt ſichtbarer als der, daß jene mehr Dinge wußten und ſchilderten, dieſer ihre Kennt- niſſe eingeſchraͤnkter, aber tiefer ſind.
Es giebt izt unter dem Haufen der wißbaren Dinge einen Theil, der, ſo zu ſagen, das gemein- ſchaftliche Gut aller menſchlichen Geiſter auſ-
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Verſchiedenheiten in den Werken
innern Seite, die Philoſophie ſeines Herzens, in
den Alten mehr oder nur eben ſo gut kennen lern-
te, als in einigen vortreflichen Werken der Neuern.
Vielleicht ſind dafuͤr Handlungen und Reden bey
jenen genauere Kopien der damaligen Natur, als
ſie es bey unſern Dichtern von der unſtigen ſind.
Unſere Imagination bekoͤmmt dort vielleicht ge-
treuere Bilder: aber unſer Verſtand erhaͤlt weni-
ger Begriffe, oder weniger Unterſchiede unter aͤhn-
lichen Begriffen. Unſer Herz wird vielleicht hef-
tiger angegriffen; aber die Schlaͤge ſind einfoͤrmi-
ger, und zielen mehr darauf ab, das Ganze un-
ſerer Empfindungen uͤberhaupt in Bewegung zu
ſetzen, als eine jede einzelne Saite derſelben beſon-
ders zu ruͤhren.
Kein Unterſchied zwiſchen den alten und neuen
Dichtern iſt ſichtbarer als der, daß jene mehr
Dinge wußten und ſchilderten, dieſer ihre Kennt-
niſſe eingeſchraͤnkter, aber tiefer ſind.
Es giebt izt unter dem Haufen der wißbaren
Dinge einen Theil, der, ſo zu ſagen, das gemein-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/178>, abgerufen am 21.07.2024.
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