Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.der ältesten und neuern Schriftsteller. Die Sprachen sind für den einzelnen Menschen,der durch die Geburt in eine schon civilisirte Ge- sellschaft eintritt, eben so viel schon zubereitete Formen, nach welchen er seine Begriffe zu model- liren genöthigt ist, oder unter welchen sie ihm al- lein bekannt werden. Und da der Verstand die Wörter braucht, nicht bloß andern zu sagen, was er denkt, sondern es sich auch erst selbst deut- lich vorzustellen; da die Sprache nicht bloß das Werkzeug der Mittheilung, sondern auch der Bildung der Gedanken ist: so muß der Geist, der in den Werken jeder Nation herrscht, eben so verschieden seyn, als das Naturell ihrer Sprache. Wenn wir die älteste griechische Sprache mit der aͤlteſten und neuern Schriftſteller. Die Sprachen ſind fuͤr den einzelnen Menſchen,der durch die Geburt in eine ſchon civiliſirte Ge- ſellſchaft eintritt, eben ſo viel ſchon zubereitete Formen, nach welchen er ſeine Begriffe zu model- liren genoͤthigt iſt, oder unter welchen ſie ihm al- lein bekannt werden. Und da der Verſtand die Woͤrter braucht, nicht bloß andern zu ſagen, was er denkt, ſondern es ſich auch erſt ſelbſt deut- lich vorzuſtellen; da die Sprache nicht bloß das Werkzeug der Mittheilung, ſondern auch der Bildung der Gedanken iſt: ſo muß der Geiſt, der in den Werken jeder Nation herrſcht, eben ſo verſchieden ſeyn, als das Naturell ihrer Sprache. Wenn wir die aͤlteſte griechiſche Sprache mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0145" n="139"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.</hi></fw><lb/> Die Sprachen ſind fuͤr den einzelnen Menſchen,<lb/> der durch die Geburt in eine ſchon civiliſirte Ge-<lb/> ſellſchaft eintritt, eben ſo viel ſchon zubereitete<lb/> Formen, nach welchen er ſeine Begriffe zu model-<lb/> liren genoͤthigt iſt, oder unter welchen ſie ihm al-<lb/> lein bekannt werden. Und da der Verſtand die<lb/> Woͤrter braucht, nicht bloß andern zu ſagen,<lb/> was er denkt, ſondern es ſich auch erſt ſelbſt deut-<lb/> lich vorzuſtellen; da die Sprache nicht bloß das<lb/> Werkzeug der Mittheilung, ſondern auch der<lb/> Bildung der Gedanken iſt: ſo muß der Geiſt,<lb/> der in den Werken jeder Nation herrſcht, eben<lb/> ſo verſchieden ſeyn, als das Naturell ihrer<lb/> Sprache.</p><lb/> <p>Wenn wir die aͤlteſte griechiſche Sprache mit<lb/> der unſrigen vergleichen, ſo finden wir, erſtlich,<lb/> was natuͤrlicherweiſe bey Menſchen ſeyn mußte,<lb/> die beſtaͤndig unter dem Anblicke der Natur leb-<lb/> ten, und ſie alſo uͤberhaupt genommen beſſer kann-<lb/> ten, als unſere immer eingeſchloßne Menſchen;<lb/> wir finden, ſage ich, die Sprache, in Abſicht der<lb/> natuͤrlichen Dinge und ihrer ſichtbaren Veraͤnde-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [139/0145]
der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.
Die Sprachen ſind fuͤr den einzelnen Menſchen,
der durch die Geburt in eine ſchon civiliſirte Ge-
ſellſchaft eintritt, eben ſo viel ſchon zubereitete
Formen, nach welchen er ſeine Begriffe zu model-
liren genoͤthigt iſt, oder unter welchen ſie ihm al-
lein bekannt werden. Und da der Verſtand die
Woͤrter braucht, nicht bloß andern zu ſagen,
was er denkt, ſondern es ſich auch erſt ſelbſt deut-
lich vorzuſtellen; da die Sprache nicht bloß das
Werkzeug der Mittheilung, ſondern auch der
Bildung der Gedanken iſt: ſo muß der Geiſt,
der in den Werken jeder Nation herrſcht, eben
ſo verſchieden ſeyn, als das Naturell ihrer
Sprache.
Wenn wir die aͤlteſte griechiſche Sprache mit
der unſrigen vergleichen, ſo finden wir, erſtlich,
was natuͤrlicherweiſe bey Menſchen ſeyn mußte,
die beſtaͤndig unter dem Anblicke der Natur leb-
ten, und ſie alſo uͤberhaupt genommen beſſer kann-
ten, als unſere immer eingeſchloßne Menſchen;
wir finden, ſage ich, die Sprache, in Abſicht der
natuͤrlichen Dinge und ihrer ſichtbaren Veraͤnde-
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