uns ist fast das einzige Mittel das Lernen. Un- terricht und Lesen lehren uns meistentheils alles kennen, was wir wissen; und beides unterneh- men wir nicht anders, als in so fern wir es zur Ausführung eines gewissen Plans brauchen. Bey den Alten scheint diese Erlernung weniger Stu- dium als instinktmäßige Beschäftigung gewesen zu seyn. Ihre Sinnen waren ihre Lehrer, sie sahen, sie hörten, sie dachten zu Folge der Eindrücke, die die Natur und ihre Verhältnisse mit andern Men- schen auf sie gemacht hatten.
Was erstlich die sichtbare körperliche Natur betrifft, so weit sie durch den Anblick erkannt wer- den kann: so kannten sie sie in der That besser, als wir, und diese Kenntniß kostete ihnen keine Arbeit. Wir werden von Kindheit an erst durch unsere Erziehung, dann durch unsere Lebensart und Geschäfte von dem Anblicke der Natur abge- halten; und viel also von dem, was wir durch unsere eignen Augen lernen könnten, müssen wir erst von unsern Lehrern und aus Büchern erfah- ren. Die Klasse von Menschen, unter welchen es
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der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.
uns iſt faſt das einzige Mittel das Lernen. Un- terricht und Leſen lehren uns meiſtentheils alles kennen, was wir wiſſen; und beides unterneh- men wir nicht anders, als in ſo fern wir es zur Ausfuͤhrung eines gewiſſen Plans brauchen. Bey den Alten ſcheint dieſe Erlernung weniger Stu- dium als inſtinktmaͤßige Beſchaͤftigung geweſen zu ſeyn. Ihre Sinnen waren ihre Lehrer, ſie ſahen, ſie hoͤrten, ſie dachten zu Folge der Eindruͤcke, die die Natur und ihre Verhaͤltniſſe mit andern Men- ſchen auf ſie gemacht hatten.
Was erſtlich die ſichtbare koͤrperliche Natur betrifft, ſo weit ſie durch den Anblick erkannt wer- den kann: ſo kannten ſie ſie in der That beſſer, als wir, und dieſe Kenntniß koſtete ihnen keine Arbeit. Wir werden von Kindheit an erſt durch unſere Erziehung, dann durch unſere Lebensart und Geſchaͤfte von dem Anblicke der Natur abge- halten; und viel alſo von dem, was wir durch unſere eignen Augen lernen koͤnnten, muͤſſen wir erſt von unſern Lehrern und aus Buͤchern erfah- ren. Die Klaſſe von Menſchen, unter welchen es
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der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.
uns iſt faſt das einzige Mittel das Lernen. Un-
terricht und Leſen lehren uns meiſtentheils alles
kennen, was wir wiſſen; und beides unterneh-
men wir nicht anders, als in ſo fern wir es zur
Ausfuͤhrung eines gewiſſen Plans brauchen. Bey
den Alten ſcheint dieſe Erlernung weniger Stu-
dium als inſtinktmaͤßige Beſchaͤftigung geweſen
zu ſeyn. Ihre Sinnen waren ihre Lehrer, ſie ſahen,
ſie hoͤrten, ſie dachten zu Folge der Eindruͤcke, die
die Natur und ihre Verhaͤltniſſe mit andern Men-
ſchen auf ſie gemacht hatten.
Was erſtlich die ſichtbare koͤrperliche Natur
betrifft, ſo weit ſie durch den Anblick erkannt wer-
den kann: ſo kannten ſie ſie in der That beſſer,
als wir, und dieſe Kenntniß koſtete ihnen keine
Arbeit. Wir werden von Kindheit an erſt durch
unſere Erziehung, dann durch unſere Lebensart
und Geſchaͤfte von dem Anblicke der Natur abge-
halten; und viel alſo von dem, was wir durch
unſere eignen Augen lernen koͤnnten, muͤſſen wir
erſt von unſern Lehrern und aus Buͤchern erfah-
ren. Die Klaſſe von Menſchen, unter welchen es
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/127>, abgerufen am 16.07.2024.
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