gangenen erinnern; kannte, sah, hörte und fühlte al- les, was um ihn herum war; er sprach vernünftig von der Zukunft, insofern sie seine Haußgeschäften be- traf; er legte sich, kehrte sich um, richtete sich auf alles nach meinem Begehren. Dennoch sah er im Gesichte verloren aus, als wenn er in das tiefeste Nachdenken, ohne seinen Gegenstand erreichen zu kön- nen, versunken wäre. Als ich ihn darum befragte, antwortete er: Man hat mir etwas in den Kopf ge- setzt, das mir schwer auf dem Herzen liegt; wenn mir nur ein Mensch auf Gottes Erdboden das benehmen könnte, so wäre ich gesund. Ich drang in ihn, sich zu erklären. Allein es war ihm unmöglich, sich der Sache zu erinnern. Er sann nach mit starren Augen, wischte die Stirne; machte mit den Händen die Ge- berden der äußersten Verlegenheit; wollte reden, stockte wieder, und brach endlich über Klagen seines jämmerlichen Zustandes aus. Ich fragte ihn, ob ihm bang, schwer wäre? Nein. Ob ihm etwas weh thue? Nein. Obs ihm kalt oder heiß seye? Nichts, gar nichts, als daß er sich der Sache, die ihn so kränket, nicht erinnern kann. Ob er fürchte, daß er sterben müsse? O nein; aber jezt, sagt er eilends, wills kom- men; er öffnete den Mund, um es zu sagen und wu- ste es nicht. So etwas von Gleichheit und Ungleich- heit; schwieg und machte wieder die vorigen Geber- den. Sein Puls war doppelt schlagend, doch so, daß er nicht so weich war, wie wenn er Schweiß ver- kündigt; vorzüglich war der Nachschlag geschnürt, setzte aus. Sie haben gesagt, sagte ich, es liege ih-
nen
gangenen erinnern; kannte, ſah, hoͤrte und fuͤhlte al- les, was um ihn herum war; er ſprach vernuͤnftig von der Zukunft, inſofern ſie ſeine Haußgeſchaͤften be- traf; er legte ſich, kehrte ſich um, richtete ſich auf alles nach meinem Begehren. Dennoch ſah er im Geſichte verloren aus, als wenn er in das tiefeſte Nachdenken, ohne ſeinen Gegenſtand erreichen zu koͤn- nen, verſunken waͤre. Als ich ihn darum befragte, antwortete er: Man hat mir etwas in den Kopf ge- ſetzt, das mir ſchwer auf dem Herzen liegt; wenn mir nur ein Menſch auf Gottes Erdboden das benehmen koͤnnte, ſo waͤre ich geſund. Ich drang in ihn, ſich zu erklaͤren. Allein es war ihm unmoͤglich, ſich der Sache zu erinnern. Er ſann nach mit ſtarren Augen, wiſchte die Stirne; machte mit den Haͤnden die Ge- berden der aͤußerſten Verlegenheit; wollte reden, ſtockte wieder, und brach endlich uͤber Klagen ſeines jaͤmmerlichen Zuſtandes aus. Ich fragte ihn, ob ihm bang, ſchwer waͤre? Nein. Ob ihm etwas weh thue? Nein. Obs ihm kalt oder heiß ſeye? Nichts, gar nichts, als daß er ſich der Sache, die ihn ſo kraͤnket, nicht erinnern kann. Ob er fuͤrchte, daß er ſterben muͤſſe? O nein; aber jezt, ſagt er eilends, wills kom- men; er oͤffnete den Mund, um es zu ſagen und wu- ſte es nicht. So etwas von Gleichheit und Ungleich- heit; ſchwieg und machte wieder die vorigen Geber- den. Sein Puls war doppelt ſchlagend, doch ſo, daß er nicht ſo weich war, wie wenn er Schweiß ver- kuͤndigt; vorzuͤglich war der Nachſchlag geſchnuͤrt, ſetzte aus. Sie haben geſagt, ſagte ich, es liege ih-
nen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0083"n="64"/>
gangenen erinnern; kannte, ſah, hoͤrte und fuͤhlte al-<lb/>
les, was um ihn herum war; er ſprach vernuͤnftig<lb/>
von der Zukunft, inſofern ſie ſeine Haußgeſchaͤften be-<lb/>
traf; er legte ſich, kehrte ſich um, richtete ſich auf<lb/>
alles nach meinem Begehren. Dennoch ſah er im<lb/>
Geſichte verloren aus, als wenn er in das tiefeſte<lb/>
Nachdenken, ohne ſeinen Gegenſtand erreichen zu koͤn-<lb/>
nen, verſunken waͤre. Als ich ihn darum befragte,<lb/>
antwortete er: Man hat mir etwas in den Kopf ge-<lb/>ſetzt, das mir ſchwer auf dem Herzen liegt; wenn mir<lb/>
nur ein Menſch auf Gottes Erdboden das benehmen<lb/>
koͤnnte, ſo waͤre ich geſund. Ich drang in ihn, ſich<lb/>
zu erklaͤren. Allein es war ihm unmoͤglich, ſich der<lb/>
Sache zu erinnern. Er ſann nach mit ſtarren Augen,<lb/>
wiſchte die Stirne; machte mit den Haͤnden die Ge-<lb/>
berden der aͤußerſten Verlegenheit; wollte reden,<lb/>ſtockte wieder, und brach endlich uͤber Klagen ſeines<lb/>
jaͤmmerlichen Zuſtandes aus. Ich fragte ihn, ob ihm<lb/>
bang, ſchwer waͤre? Nein. Ob ihm etwas weh thue?<lb/>
Nein. Obs ihm kalt oder heiß ſeye? Nichts, gar<lb/>
nichts, als daß er ſich der Sache, die ihn ſo kraͤnket,<lb/>
nicht erinnern kann. Ob er fuͤrchte, daß er ſterben<lb/>
muͤſſe? O nein; aber jezt, ſagt er eilends, wills kom-<lb/>
men; er oͤffnete den Mund, um es zu ſagen und wu-<lb/>ſte es nicht. So etwas von Gleichheit und Ungleich-<lb/>
heit; ſchwieg und machte wieder die vorigen Geber-<lb/>
den. Sein Puls war doppelt ſchlagend, doch ſo,<lb/>
daß er nicht ſo weich war, wie wenn er Schweiß ver-<lb/>
kuͤndigt; vorzuͤglich war der Nachſchlag geſchnuͤrt,<lb/>ſetzte aus. Sie haben geſagt, ſagte ich, es liege ih-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nen</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[64/0083]
gangenen erinnern; kannte, ſah, hoͤrte und fuͤhlte al-
les, was um ihn herum war; er ſprach vernuͤnftig
von der Zukunft, inſofern ſie ſeine Haußgeſchaͤften be-
traf; er legte ſich, kehrte ſich um, richtete ſich auf
alles nach meinem Begehren. Dennoch ſah er im
Geſichte verloren aus, als wenn er in das tiefeſte
Nachdenken, ohne ſeinen Gegenſtand erreichen zu koͤn-
nen, verſunken waͤre. Als ich ihn darum befragte,
antwortete er: Man hat mir etwas in den Kopf ge-
ſetzt, das mir ſchwer auf dem Herzen liegt; wenn mir
nur ein Menſch auf Gottes Erdboden das benehmen
koͤnnte, ſo waͤre ich geſund. Ich drang in ihn, ſich
zu erklaͤren. Allein es war ihm unmoͤglich, ſich der
Sache zu erinnern. Er ſann nach mit ſtarren Augen,
wiſchte die Stirne; machte mit den Haͤnden die Ge-
berden der aͤußerſten Verlegenheit; wollte reden,
ſtockte wieder, und brach endlich uͤber Klagen ſeines
jaͤmmerlichen Zuſtandes aus. Ich fragte ihn, ob ihm
bang, ſchwer waͤre? Nein. Ob ihm etwas weh thue?
Nein. Obs ihm kalt oder heiß ſeye? Nichts, gar
nichts, als daß er ſich der Sache, die ihn ſo kraͤnket,
nicht erinnern kann. Ob er fuͤrchte, daß er ſterben
muͤſſe? O nein; aber jezt, ſagt er eilends, wills kom-
men; er oͤffnete den Mund, um es zu ſagen und wu-
ſte es nicht. So etwas von Gleichheit und Ungleich-
heit; ſchwieg und machte wieder die vorigen Geber-
den. Sein Puls war doppelt ſchlagend, doch ſo,
daß er nicht ſo weich war, wie wenn er Schweiß ver-
kuͤndigt; vorzuͤglich war der Nachſchlag geſchnuͤrt,
ſetzte aus. Sie haben geſagt, ſagte ich, es liege ih-
nen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/83>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.