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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Hier ist es also Pflicht, daß der Arzt den Muth
seines Kranken nicht sinken lasse. Ohne die Angele-
genheiten der Verlassenschaften und der Zukunft zu
vernachläßigen, wisse er, manchmal gegen seine eig-
ne Ueberzeugung, mit offner Zuversicht einen glück-
lichen Ausgang zu versprechen. In zweifelhaften oder
unheilbaren Fällen aber schränke er seine Verheißun-
gen auf keine bestimmte Zeit ein, damit, wenn diese
Zeit ohne Besserung herannaht, der Kranke nicht
alles für verloren halte. Der Arzt wisse, das schwan-
kende Vertrauen durch mannigfaltige Abänderungen
zu unterstützen; und lasse ja nicht merken, daß die
Hilfsmittel der Natur oder der Kunst zu Ende sind.
Er seye auf jeden unglücklichen Vorfall gefaßt, und
wisse ihm, wenn der Kranke die Wahrheit nicht er-
tragen kann, ein günstige Wendung zu geben. -- --
Hier ist der einzige Fall, wo manchmal eine Alles
verheißende Pralerey zur Pflicht wird, und Wun-
der thut. So wie wir von der äußersten Spitze einer
Anhöhe in den Abgrund hinabsehen, ohne das Gleich-
gewicht zu verlieren, wenn wir im Nothfalle einer
Haltung versichert sind; hingegen sobald wir uns der
Rettung beraubt glauben, von einem weit grössern
Standpunkte hinabschwindlen: -- Eben so erliegt der
muthlose Kranke einem schwachen Uebel, und trotzt
der verheerenden Macht des Todes, wenn der Arzt
die gesammten Kräfte seines Geistes und seines Kör-
pers mit jenen der Kunst zur wechselseitigen Unterstü-

tzung

Hier iſt es alſo Pflicht, daß der Arzt den Muth
ſeines Kranken nicht ſinken laſſe. Ohne die Angele-
genheiten der Verlaſſenſchaften und der Zukunft zu
vernachlaͤßigen, wiſſe er, manchmal gegen ſeine eig-
ne Ueberzeugung, mit offner Zuverſicht einen gluͤck-
lichen Ausgang zu verſprechen. In zweifelhaften oder
unheilbaren Faͤllen aber ſchraͤnke er ſeine Verheißun-
gen auf keine beſtimmte Zeit ein, damit, wenn dieſe
Zeit ohne Beſſerung herannaht, der Kranke nicht
alles fuͤr verloren halte. Der Arzt wiſſe, das ſchwan-
kende Vertrauen durch mannigfaltige Abaͤnderungen
zu unterſtuͤtzen; und laſſe ja nicht merken, daß die
Hilfsmittel der Natur oder der Kunſt zu Ende ſind.
Er ſeye auf jeden ungluͤcklichen Vorfall gefaßt, und
wiſſe ihm, wenn der Kranke die Wahrheit nicht er-
tragen kann, ein guͤnſtige Wendung zu geben. — —
Hier iſt der einzige Fall, wo manchmal eine Alles
verheißende Pralerey zur Pflicht wird, und Wun-
der thut. So wie wir von der aͤußerſten Spitze einer
Anhoͤhe in den Abgrund hinabſehen, ohne das Gleich-
gewicht zu verlieren, wenn wir im Nothfalle einer
Haltung verſichert ſind; hingegen ſobald wir uns der
Rettung beraubt glauben, von einem weit groͤſſern
Standpunkte hinabſchwindlen: — Eben ſo erliegt der
muthloſe Kranke einem ſchwachen Uebel, und trotzt
der verheerenden Macht des Todes, wenn der Arzt
die geſammten Kraͤfte ſeines Geiſtes und ſeines Koͤr-
pers mit jenen der Kunſt zur wechſelſeitigen Unterſtuͤ-

tzung
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[319/0738] Hier iſt es alſo Pflicht, daß der Arzt den Muth ſeines Kranken nicht ſinken laſſe. Ohne die Angele- genheiten der Verlaſſenſchaften und der Zukunft zu vernachlaͤßigen, wiſſe er, manchmal gegen ſeine eig- ne Ueberzeugung, mit offner Zuverſicht einen gluͤck- lichen Ausgang zu verſprechen. In zweifelhaften oder unheilbaren Faͤllen aber ſchraͤnke er ſeine Verheißun- gen auf keine beſtimmte Zeit ein, damit, wenn dieſe Zeit ohne Beſſerung herannaht, der Kranke nicht alles fuͤr verloren halte. Der Arzt wiſſe, das ſchwan- kende Vertrauen durch mannigfaltige Abaͤnderungen zu unterſtuͤtzen; und laſſe ja nicht merken, daß die Hilfsmittel der Natur oder der Kunſt zu Ende ſind. Er ſeye auf jeden ungluͤcklichen Vorfall gefaßt, und wiſſe ihm, wenn der Kranke die Wahrheit nicht er- tragen kann, ein guͤnſtige Wendung zu geben. — — Hier iſt der einzige Fall, wo manchmal eine Alles verheißende Pralerey zur Pflicht wird, und Wun- der thut. So wie wir von der aͤußerſten Spitze einer Anhoͤhe in den Abgrund hinabſehen, ohne das Gleich- gewicht zu verlieren, wenn wir im Nothfalle einer Haltung verſichert ſind; hingegen ſobald wir uns der Rettung beraubt glauben, von einem weit groͤſſern Standpunkte hinabſchwindlen: — Eben ſo erliegt der muthloſe Kranke einem ſchwachen Uebel, und trotzt der verheerenden Macht des Todes, wenn der Arzt die geſammten Kraͤfte ſeines Geiſtes und ſeines Koͤr- pers mit jenen der Kunſt zur wechſelſeitigen Unterſtuͤ- tzung

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/738>, abgerufen am 22.11.2024.