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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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der Arzt um seiner eigenen Ehre, und um das Heil
des Kranken willen, sich hüten, nicht zu voreilig den
Stab zu brechen. Bey einer etliche und vierzigjähri-
gen Frau schien den zwanzigsten Tag in einem faulich-
ten Gallfieber die höchste Todesgefahr zugegen zu seyn.
Der Bauch war angeschwollen, gespannt, und die
Kranke faselte; kein Aderschlag, Schläfrigkeit, Un-
ruhe, sehr beschwerliches Athmen und Schlucken. Da
aber Tissot die Haut weich fand, keine Petechien da
waren, Winde abgiengen, und der ein und zwanzig-
ste Tag bevorstunde, so urtheilte er, daß der Krank-
heitsstoff gekocht und beweglich wäre, und die Krank-
heit sich zur Entscheidung anschicke. Er half der käm-
pfenden Natur mit Limonade und Wein. Zur Zeit
der instehenden Entscheidung ließ er mit Bedacht die
mineralischen Säuren weg. Mitten in der Nacht ent-
giengen ihr ohne Wissen und Wollen häufige, gewalt-
same Stühle eine halbe Stunde lang unabläßlich.
Die Entkräftung war dadurch aufs äusserste gebracht.
Es erfolgten mehrere schwere Ohnmachten; der
Athem blieb fast ganz aus, und die Kranke konnte
so wenig von der Betäubung erweckt werden, daß
man gar nicht mehr am Todenkampf zweifelte: der
Wundarzt hielt es für überflüssig, die Wunde noch
ferners zu verbinden. Tissot fand indessen vielmehr
eine Art Schlaf, als den Tod. Das Athmen war
jetzt sehr langsam, aber leicht; der Puls äufferst
klein, aber weich; die Schwulst des Bauches hatte
abgenommen. Er ließ ihr Limonade mit der Hälfte

Wein

der Arzt um ſeiner eigenen Ehre, und um das Heil
des Kranken willen, ſich huͤten, nicht zu voreilig den
Stab zu brechen. Bey einer etliche und vierzigjaͤhri-
gen Frau ſchien den zwanzigſten Tag in einem faulich-
ten Gallfieber die hoͤchſte Todesgefahr zugegen zu ſeyn.
Der Bauch war angeſchwollen, geſpannt, und die
Kranke faſelte; kein Aderſchlag, Schlaͤfrigkeit, Un-
ruhe, ſehr beſchwerliches Athmen und Schlucken. Da
aber Tiſſot die Haut weich fand, keine Petechien da
waren, Winde abgiengen, und der ein und zwanzig-
ſte Tag bevorſtunde, ſo urtheilte er, daß der Krank-
heitsſtoff gekocht und beweglich waͤre, und die Krank-
heit ſich zur Entſcheidung anſchicke. Er half der kaͤm-
pfenden Natur mit Limonade und Wein. Zur Zeit
der inſtehenden Entſcheidung ließ er mit Bedacht die
mineraliſchen Saͤuren weg. Mitten in der Nacht ent-
giengen ihr ohne Wiſſen und Wollen haͤufige, gewalt-
ſame Stuͤhle eine halbe Stunde lang unablaͤßlich.
Die Entkraͤftung war dadurch aufs aͤuſſerſte gebracht.
Es erfolgten mehrere ſchwere Ohnmachten; der
Athem blieb faſt ganz aus, und die Kranke konnte
ſo wenig von der Betaͤubung erweckt werden, daß
man gar nicht mehr am Todenkampf zweifelte: der
Wundarzt hielt es fuͤr uͤberfluͤſſig, die Wunde noch
ferners zu verbinden. Tiſſot fand indeſſen vielmehr
eine Art Schlaf, als den Tod. Das Athmen war
jetzt ſehr langſam, aber leicht; der Puls aͤufferſt
klein, aber weich; die Schwulſt des Bauches hatte
abgenommen. Er ließ ihr Limonade mit der Haͤlfte

Wein
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[710/0729] der Arzt um ſeiner eigenen Ehre, und um das Heil des Kranken willen, ſich huͤten, nicht zu voreilig den Stab zu brechen. Bey einer etliche und vierzigjaͤhri- gen Frau ſchien den zwanzigſten Tag in einem faulich- ten Gallfieber die hoͤchſte Todesgefahr zugegen zu ſeyn. Der Bauch war angeſchwollen, geſpannt, und die Kranke faſelte; kein Aderſchlag, Schlaͤfrigkeit, Un- ruhe, ſehr beſchwerliches Athmen und Schlucken. Da aber Tiſſot die Haut weich fand, keine Petechien da waren, Winde abgiengen, und der ein und zwanzig- ſte Tag bevorſtunde, ſo urtheilte er, daß der Krank- heitsſtoff gekocht und beweglich waͤre, und die Krank- heit ſich zur Entſcheidung anſchicke. Er half der kaͤm- pfenden Natur mit Limonade und Wein. Zur Zeit der inſtehenden Entſcheidung ließ er mit Bedacht die mineraliſchen Saͤuren weg. Mitten in der Nacht ent- giengen ihr ohne Wiſſen und Wollen haͤufige, gewalt- ſame Stuͤhle eine halbe Stunde lang unablaͤßlich. Die Entkraͤftung war dadurch aufs aͤuſſerſte gebracht. Es erfolgten mehrere ſchwere Ohnmachten; der Athem blieb faſt ganz aus, und die Kranke konnte ſo wenig von der Betaͤubung erweckt werden, daß man gar nicht mehr am Todenkampf zweifelte: der Wundarzt hielt es fuͤr uͤberfluͤſſig, die Wunde noch ferners zu verbinden. Tiſſot fand indeſſen vielmehr eine Art Schlaf, als den Tod. Das Athmen war jetzt ſehr langſam, aber leicht; der Puls aͤufferſt klein, aber weich; die Schwulſt des Bauches hatte abgenommen. Er ließ ihr Limonade mit der Haͤlfte Wein

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/729>, abgerufen am 25.11.2024.