Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

heiten stets vor Augen hat, meistentheils mit einer
einfachen und angemessenen Heilart seinen Zweck er-
reichen wird, wenn er je erreichbar ist.

Warnung.
§. 120.

Es ist zwar ein allgemein anerkannter Grund-
satz, daß die Vorherkündigungen, besonders in hitzi-
gen Krankheiten ungewiß sind; daß manche Kranke
bey lauter guten Zeichen sterben, und andern bey lau-
ter schlimmen davon kommen. Dem zufolge sollte
man glauben, kein Arzt werde aufhören, seinem
Kranken thätige Hilfe zu leisten, bis er wahrhaft er-
blichen ist. Kann er auch nimmer helfen, so kann er
beobachten.

Allein der so oft und so lange in seiner Hoff-
nung getäuschte Kranke, die vor Kleinmuth verzwei-
felten, gegen manchmal schmerzhafte Hilfleistungen zu
empfindsamen Hausgenoßen, oder die ungeduldigen
Erben sind nicht selten so schwach, alle Rettung für
unmöglich, und folglich alles fernere Bestreben des
Arztes für unnütz zu halten. Der Kranke, die
Freunde und nur gar zu oft auch der Arzt glauben
alles Mögliche gethan zu haben, wenn sie ein oder
mehrere Male Adergelassen, purgirt, zum Erbrechen ge-
geben, Senfteige und Blasenpflaster aufgelegt haben;
wenn der Kranke recht oft mit den wirksamsten Arz-
neyen gewechselt hat -- überhaupt, wenn alles ge-

sche-

heiten ſtets vor Augen hat, meiſtentheils mit einer
einfachen und angemeſſenen Heilart ſeinen Zweck er-
reichen wird, wenn er je erreichbar iſt.

Warnung.
§. 120.

Es iſt zwar ein allgemein anerkannter Grund-
ſatz, daß die Vorherkuͤndigungen, beſonders in hitzi-
gen Krankheiten ungewiß ſind; daß manche Kranke
bey lauter guten Zeichen ſterben, und andern bey lau-
ter ſchlimmen davon kommen. Dem zufolge ſollte
man glauben, kein Arzt werde aufhoͤren, ſeinem
Kranken thaͤtige Hilfe zu leiſten, bis er wahrhaft er-
blichen iſt. Kann er auch nimmer helfen, ſo kann er
beobachten.

Allein der ſo oft und ſo lange in ſeiner Hoff-
nung getaͤuſchte Kranke, die vor Kleinmuth verzwei-
felten, gegen manchmal ſchmerzhafte Hilfleiſtungen zu
empfindſamen Hausgenoßen, oder die ungeduldigen
Erben ſind nicht ſelten ſo ſchwach, alle Rettung fuͤr
unmoͤglich, und folglich alles fernere Beſtreben des
Arztes fuͤr unnuͤtz zu halten. Der Kranke, die
Freunde und nur gar zu oft auch der Arzt glauben
alles Moͤgliche gethan zu haben, wenn ſie ein oder
mehrere Male Adergelaſſen, purgirt, zum Erbrechen ge-
geben, Senfteige und Blaſenpflaſter aufgelegt haben;
wenn der Kranke recht oft mit den wirkſamſten Arz-
neyen gewechſelt hat — uͤberhaupt, wenn alles ge-

ſche-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0720" n="701"/>
heiten &#x017F;tets vor Augen hat, mei&#x017F;tentheils mit einer<lb/>
einfachen und angeme&#x017F;&#x017F;enen Heilart &#x017F;einen Zweck er-<lb/>
reichen wird, wenn er je erreichbar i&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#b">Warnung.</hi><lb/>
§. 120.</head><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t zwar ein allgemein anerkannter Grund-<lb/>
&#x017F;atz, daß die Vorherku&#x0364;ndigungen, be&#x017F;onders in hitzi-<lb/>
gen Krankheiten ungewiß &#x017F;ind; daß manche Kranke<lb/>
bey lauter guten Zeichen &#x017F;terben, und andern bey lau-<lb/>
ter &#x017F;chlimmen davon kommen. Dem zufolge &#x017F;ollte<lb/>
man glauben, kein Arzt werde aufho&#x0364;ren, &#x017F;einem<lb/>
Kranken tha&#x0364;tige Hilfe zu lei&#x017F;ten, bis er wahrhaft er-<lb/>
blichen i&#x017F;t. Kann er auch nimmer helfen, &#x017F;o kann er<lb/>
beobachten.</p><lb/>
            <p>Allein der &#x017F;o oft und &#x017F;o lange in &#x017F;einer Hoff-<lb/>
nung geta&#x0364;u&#x017F;chte Kranke, die vor Kleinmuth verzwei-<lb/>
felten, gegen manchmal &#x017F;chmerzhafte Hilflei&#x017F;tungen zu<lb/>
empfind&#x017F;amen Hausgenoßen, oder die ungeduldigen<lb/>
Erben &#x017F;ind nicht &#x017F;elten &#x017F;o &#x017F;chwach, alle Rettung fu&#x0364;r<lb/>
unmo&#x0364;glich, und folglich alles fernere Be&#x017F;treben des<lb/>
Arztes fu&#x0364;r unnu&#x0364;tz zu halten. Der Kranke, die<lb/>
Freunde und nur gar zu oft auch der Arzt glauben<lb/>
alles Mo&#x0364;gliche gethan zu haben, wenn &#x017F;ie ein oder<lb/>
mehrere Male Adergela&#x017F;&#x017F;en, purgirt, zum Erbrechen ge-<lb/>
geben, Senfteige und Bla&#x017F;enpfla&#x017F;ter aufgelegt haben;<lb/>
wenn der Kranke recht oft mit den wirk&#x017F;am&#x017F;ten Arz-<lb/>
neyen gewech&#x017F;elt hat &#x2014; u&#x0364;berhaupt, wenn alles ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;che-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[701/0720] heiten ſtets vor Augen hat, meiſtentheils mit einer einfachen und angemeſſenen Heilart ſeinen Zweck er- reichen wird, wenn er je erreichbar iſt. Warnung. §. 120. Es iſt zwar ein allgemein anerkannter Grund- ſatz, daß die Vorherkuͤndigungen, beſonders in hitzi- gen Krankheiten ungewiß ſind; daß manche Kranke bey lauter guten Zeichen ſterben, und andern bey lau- ter ſchlimmen davon kommen. Dem zufolge ſollte man glauben, kein Arzt werde aufhoͤren, ſeinem Kranken thaͤtige Hilfe zu leiſten, bis er wahrhaft er- blichen iſt. Kann er auch nimmer helfen, ſo kann er beobachten. Allein der ſo oft und ſo lange in ſeiner Hoff- nung getaͤuſchte Kranke, die vor Kleinmuth verzwei- felten, gegen manchmal ſchmerzhafte Hilfleiſtungen zu empfindſamen Hausgenoßen, oder die ungeduldigen Erben ſind nicht ſelten ſo ſchwach, alle Rettung fuͤr unmoͤglich, und folglich alles fernere Beſtreben des Arztes fuͤr unnuͤtz zu halten. Der Kranke, die Freunde und nur gar zu oft auch der Arzt glauben alles Moͤgliche gethan zu haben, wenn ſie ein oder mehrere Male Adergelaſſen, purgirt, zum Erbrechen ge- geben, Senfteige und Blaſenpflaſter aufgelegt haben; wenn der Kranke recht oft mit den wirkſamſten Arz- neyen gewechſelt hat — uͤberhaupt, wenn alles ge- ſche-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/720
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 701. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/720>, abgerufen am 22.11.2024.