brühe, die man ihm die letzten Tage eingoß, ver- ursachte ihm Erbrechen. Auf einmal bekam er durch den Anblick eines Mädchens, das ein Stück Brod mit Käse in der Hand hielt, heftige Begierde nach Brod und festen Speisen, die ihm wahrscheinlich nicht so gleich würden gut bekommen seyn.*) Verschleim~te, fette Leute sind den Bewegungen und der Arbeit sehr abge- neigt, obschon diese ihnen sehr dienlich wären. So war es auch Persects dritter Kranke, bey dessen Hei- lung doch diese Bewegung in freyer Luft eine Haupt- sache seyn mußte. Der Soldat bey Pringle, in des- sen Gehirn ein Absceß von der Größe eines Eyes ge- funden wurde, wollte einige Tage vor seinem Tode nichts als kaltes Wasser trinken. Zu was hätte ihm das helfen können! Zwey Reuter wurden plötzlich mit Raserey befallen, und stürzten sich von ihren Pfer- den ins Wasser, weil sie glaubten, sie müßten nach ihren Quartieren schwimmen. Die Rasenden, wo- von Diemerbröck erzählt, liefen herum, und schlu- gen alle, die ihnen begegneten; die meisten starben den 5ten oder 6ten Tag.*) -- Wenn Verrückte un- abläßlich eine gewisse Zahl zählen, auf dem Spalte zweyer Dielen auf und ab gehen: was soll dieser in- nere Antrieb heißen? -- So viel mag genug seyn, um zu zeigen, daß es auch einen unnützen und schäd- lichen Instinkt gibt, und folglich nicht jeder blind- lings befolgt werden darf.
§. 114.
*) Pringle a. a. O.
*) Pringle a. a. O.
bruͤhe, die man ihm die letzten Tage eingoß, ver- urſachte ihm Erbrechen. Auf einmal bekam er durch den Anblick eines Maͤdchens, das ein Stuͤck Brod mit Kaͤſe in der Hand hielt, heftige Begierde nach Brod und feſten Speiſen, die ihm wahrſcheinlich nicht ſo gleich wuͤrden gut bekommen ſeyn.*) Verſchleim~te, fette Leute ſind den Bewegungen und der Arbeit ſehr abge- neigt, obſchon dieſe ihnen ſehr dienlich waͤren. So war es auch Perſects dritter Kranke, bey deſſen Hei- lung doch dieſe Bewegung in freyer Luft eine Haupt- ſache ſeyn mußte. Der Soldat bey Pringle, in deſ- ſen Gehirn ein Abſceß von der Groͤße eines Eyes ge- funden wurde, wollte einige Tage vor ſeinem Tode nichts als kaltes Waſſer trinken. Zu was haͤtte ihm das helfen koͤnnen! Zwey Reuter wurden ploͤtzlich mit Raſerey befallen, und ſtuͤrzten ſich von ihren Pfer- den ins Waſſer, weil ſie glaubten, ſie muͤßten nach ihren Quartieren ſchwimmen. Die Raſenden, wo- von Diemerbroͤck erzaͤhlt, liefen herum, und ſchlu- gen alle, die ihnen begegneten; die meiſten ſtarben den 5ten oder 6ten Tag.*) — Wenn Verruͤckte un- ablaͤßlich eine gewiſſe Zahl zaͤhlen, auf dem Spalte zweyer Dielen auf und ab gehen: was ſoll dieſer in- nere Antrieb heißen? — So viel mag genug ſeyn, um zu zeigen, daß es auch einen unnuͤtzen und ſchaͤd- lichen Inſtinkt gibt, und folglich nicht jeder blind- lings befolgt werden darf.
§. 114.
*) Pringle a. a. O.
*) Pringle a. a. O.
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bruͤhe, die man ihm die letzten Tage eingoß, ver-
urſachte ihm Erbrechen. Auf einmal bekam er durch
den Anblick eines Maͤdchens, das ein Stuͤck Brod mit
Kaͤſe in der Hand hielt, heftige Begierde nach Brod
und feſten Speiſen, die ihm wahrſcheinlich nicht ſo
gleich wuͤrden gut bekommen ſeyn. *) Verſchleim~te, fette
Leute ſind den Bewegungen und der Arbeit ſehr abge-
neigt, obſchon dieſe ihnen ſehr dienlich waͤren. So
war es auch Perſects dritter Kranke, bey deſſen Hei-
lung doch dieſe Bewegung in freyer Luft eine Haupt-
ſache ſeyn mußte. Der Soldat bey Pringle, in deſ-
ſen Gehirn ein Abſceß von der Groͤße eines Eyes ge-
funden wurde, wollte einige Tage vor ſeinem Tode
nichts als kaltes Waſſer trinken. Zu was haͤtte ihm
das helfen koͤnnen! Zwey Reuter wurden ploͤtzlich
mit Raſerey befallen, und ſtuͤrzten ſich von ihren Pfer-
den ins Waſſer, weil ſie glaubten, ſie muͤßten nach
ihren Quartieren ſchwimmen. Die Raſenden, wo-
von Diemerbroͤck erzaͤhlt, liefen herum, und ſchlu-
gen alle, die ihnen begegneten; die meiſten ſtarben
den 5ten oder 6ten Tag. *) — Wenn Verruͤckte un-
ablaͤßlich eine gewiſſe Zahl zaͤhlen, auf dem Spalte
zweyer Dielen auf und ab gehen: was ſoll dieſer in-
nere Antrieb heißen? — So viel mag genug ſeyn,
um zu zeigen, daß es auch einen unnuͤtzen und ſchaͤd-
lichen Inſtinkt gibt, und folglich nicht jeder blind-
lings befolgt werden darf.
§. 114.
*) Pringle a. a. O.
*) Pringle a. a. O.
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/688>, abgerufen am 25.11.2024.
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