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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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traurigen Vorfällen von einem 1756 herrschenden,
rheumatischen Fieber befallen, welches das Zwergfell
einzunehmen pflegte. Tissot ließ einige Unzen Blut
weg, um einen Dunst zu bewirken. Den fünften
Tag ließ der Kranke viel Harn, der einen Bodensatz
machte; er schwitzte stark, und es gieng alles gut.
Den sechsten war er zwar fieberfrey, aber ein zu-
weilen gähling zurückkehrendes Hüpfen der Glieder
ließ ein in den ersten Weegen verborgenes Uebel ver-
muthen, welches man morgen auszuleeren gesinnt war.
Aber den Abend entstunden nach einer heftigen Lei-
denschaft ganz andere Zufälle. Der Puls, der zu-
vor noch regelmäßig, erhaben und kraftvoll war,
wurde jetzt geschwind, äusserst schnell und klein; der
Kranke wurde gählings irre, was zwar bald vorüber
war; der Harn wässericht; die Haut trocken, der
Stuhl roh und weiß, das Athmen beschwert. Tissot
verordnete Klystiere, Gerstenwasser mit Hoffmanns
schmerzstillendem Geist, welchen er in Gemüthsbewe-
gungen vortrefflich fand, wenn etwas laues darauf
getr[u]nken wird. Die Zufälle ließen nach. Den sie-
benten Tag gab er Manna, Tamarinden mit einer
kleinen Gabe Brechweinstein, weil dieser gelinder als
die Mittelsalzen auf den Stuhl wirkt. Dann gab er
wie den übrigen zu gleicher Zeit Kranken, einen Ab-
sud mit Graswurzel und Sauerampfer mit Zitronen-
saft. Den Abend hatte der Kranke nur wenig ge-
trunken, aber öfter den schmerzstillenden Geist genom-
men. Jetzt waren die Sinne betäubt, der Puls sehr
schnell, die Nacht schlaflos, mit zunehmendem Irre-

seyn.

traurigen Vorfaͤllen von einem 1756 herrſchenden,
rheumatiſchen Fieber befallen, welches das Zwergfell
einzunehmen pflegte. Tiſſot ließ einige Unzen Blut
weg, um einen Dunſt zu bewirken. Den fuͤnften
Tag ließ der Kranke viel Harn, der einen Bodenſatz
machte; er ſchwitzte ſtark, und es gieng alles gut.
Den ſechſten war er zwar fieberfrey, aber ein zu-
weilen gaͤhling zuruͤckkehrendes Huͤpfen der Glieder
ließ ein in den erſten Weegen verborgenes Uebel ver-
muthen, welches man morgen auszuleeren geſinnt war.
Aber den Abend entſtunden nach einer heftigen Lei-
denſchaft ganz andere Zufaͤlle. Der Puls, der zu-
vor noch regelmaͤßig, erhaben und kraftvoll war,
wurde jetzt geſchwind, aͤuſſerſt ſchnell und klein; der
Kranke wurde gaͤhlings irre, was zwar bald voruͤber
war; der Harn waͤſſericht; die Haut trocken, der
Stuhl roh und weiß, das Athmen beſchwert. Tiſſot
verordnete Klyſtiere, Gerſtenwaſſer mit Hoffmanns
ſchmerzſtillendem Geiſt, welchen er in Gemuͤthsbewe-
gungen vortrefflich fand, wenn etwas laues darauf
getr[u]nken wird. Die Zufaͤlle ließen nach. Den ſie-
benten Tag gab er Manna, Tamarinden mit einer
kleinen Gabe Brechweinſtein, weil dieſer gelinder als
die Mittelſalzen auf den Stuhl wirkt. Dann gab er
wie den uͤbrigen zu gleicher Zeit Kranken, einen Ab-
ſud mit Graswurzel und Sauerampfer mit Zitronen-
ſaft. Den Abend hatte der Kranke nur wenig ge-
trunken, aber oͤfter den ſchmerzſtillenden Geiſt genom-
men. Jetzt waren die Sinne betaͤubt, der Puls ſehr
ſchnell, die Nacht ſchlaflos, mit zunehmendem Irre-

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[597/0616] traurigen Vorfaͤllen von einem 1756 herrſchenden, rheumatiſchen Fieber befallen, welches das Zwergfell einzunehmen pflegte. Tiſſot ließ einige Unzen Blut weg, um einen Dunſt zu bewirken. Den fuͤnften Tag ließ der Kranke viel Harn, der einen Bodenſatz machte; er ſchwitzte ſtark, und es gieng alles gut. Den ſechſten war er zwar fieberfrey, aber ein zu- weilen gaͤhling zuruͤckkehrendes Huͤpfen der Glieder ließ ein in den erſten Weegen verborgenes Uebel ver- muthen, welches man morgen auszuleeren geſinnt war. Aber den Abend entſtunden nach einer heftigen Lei- denſchaft ganz andere Zufaͤlle. Der Puls, der zu- vor noch regelmaͤßig, erhaben und kraftvoll war, wurde jetzt geſchwind, aͤuſſerſt ſchnell und klein; der Kranke wurde gaͤhlings irre, was zwar bald voruͤber war; der Harn waͤſſericht; die Haut trocken, der Stuhl roh und weiß, das Athmen beſchwert. Tiſſot verordnete Klyſtiere, Gerſtenwaſſer mit Hoffmanns ſchmerzſtillendem Geiſt, welchen er in Gemuͤthsbewe- gungen vortrefflich fand, wenn etwas laues darauf getrunken wird. Die Zufaͤlle ließen nach. Den ſie- benten Tag gab er Manna, Tamarinden mit einer kleinen Gabe Brechweinſtein, weil dieſer gelinder als die Mittelſalzen auf den Stuhl wirkt. Dann gab er wie den uͤbrigen zu gleicher Zeit Kranken, einen Ab- ſud mit Graswurzel und Sauerampfer mit Zitronen- ſaft. Den Abend hatte der Kranke nur wenig ge- trunken, aber oͤfter den ſchmerzſtillenden Geiſt genom- men. Jetzt waren die Sinne betaͤubt, der Puls ſehr ſchnell, die Nacht ſchlaflos, mit zunehmendem Irre- ſeyn.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/616>, abgerufen am 24.11.2024.